Harras - Alles wird böse. Winfried Thamm

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Harras - Alles wird böse - Winfried Thamm

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verschwinden. In diesem Augenblick betrat Helen den Raum.

      „Henning, ich bin so glücklich, dass du endlich nach Hause kommst.“

      Sie hielten einander und küssten sich. Es sah sehr innig aus.

      „Wo ist Karl? Wollte er mich nicht abholen?“, fragte er sie.

      „Doch, eigentlich ja, aber ... es ist ... frag nicht. Dich erwartet eine Überraschung, okay?“, erklärte sie freudig.

      „Da bin ich aber gespannt“, antwortete er gut gelaunt.

      Sie verließen die Klinik, nicht ohne sich von der Stationsschwester Sabine, dem Pfleger Heinrich und dem behandelnden Arzt Dr. Dassler zu verabschieden und sich ausdrücklich zu bedanken. Sie setzten sich in den Passat Kombi und fuhren nach Hause.

      Auf dem Weg schauten sie sich immer wieder an und lächelten sich zu, wechselten jedoch kaum ein Wort.

      Henning brannte die Visitenkarte ein Loch in den Oberschenkel.

      Helen parkte vor dem Haus, nicht in der Garage, zu eng für ihn und seine Krücken. Sie gingen auf die Haustür zu.

      „Du wirst staunen, Henning!“, strahlte sie und schloss die Haustür auf. Karl kam den Flur entlanggelaufen. Henning ließ die Krücken fallen. Sein Sohn sprang ihm in die Arme, er konnte ihn halten ohne zu fallen und drückte ihn fest an sich.

      „Papa, ich bin so froh, dass du wieder da bist!“, sagte Karl freudestrahlend.

      „Ach Karl, ich auch. Nichts habe ich mir mehr gewünscht.“ Henning war ehrlich gerührt.

      „Und jetzt die Überraschung!“, sagte Helen hinter ihm. „Rate mal, wer da ist?“

      „Keine Ahnung. Dein Vater?“, war seine Antwort auf dem Weg zum Wohnzimmer. Seine Frau überholte ihn und stand in stolzer Haltung neben dem Sofa.

      „Schau, dein Freund Harras. Ich habe ihn eingeladen. Und er hat seine Freundin mitgebracht. Darf ich vorstellen: Henning, mein Mann! Anna, Harras Freundin.“

      Auf seiner Couch saßen: Harras und Stasia

      Alles wird gut

      „Freundschaft ist wie Heimat“

       Kurt Tucholsky

      Misslungene Überraschung

      Wie einen arktischen Strom spürte er die Angst durch seinen Körper fluten, als er Harras und Stasia erblickte. Sie schwemmte jede Farbe aus seinem Gesicht und sog ihm alle Kraft aus den Knochen, sodass er seitlich wegknickte und zu fallen drohte. Jegliche Empfindung war vereist. Nur seine Angst strahlte kalt.

      Harras fing ihn auf, bevor er fiel. Auch Stasia war aufgesprungen. Henning machte sich von Harras los und ließ sich von Helen zu seinem großen Lesesessel führen. Vorsichtig setzte er sich hin und atmete hörbar aus.

      „Ja, so ganz der Alte bin ich noch nicht, wie man sieht“, sagte er ernst.

      „Das wird schon wieder, Schatz, Hauptsache, du bist erst mal zu Hause. Alles wird gut!“, lächelte Helen und spürte sofort, welchen Schwachsinn sie da von sich gab. Sie wandte sich ab vor Scham.

      Harras und Stasia standen verloren im Raum und wussten nicht, wohin mit ihren Blicken. Nur Karl war bei sich, lief zu seinem Vater und sagte: „Papa, wir haben dich sooo viel vermisst“, und breitete seine Arme so weit aus, wie er nur konnte.

      „Ja, ich euch auch. Na, komm mal her, kleiner Mann“, sagte er und nahm ihn vorsichtig auf den Schoß. Karl legte den Kopf an seine Brust und spielte mit den Knöpfen an seinem Hemd. Seine Nähe taute Hennings Angst mit jedem Atemzug.

      „Nehmt Platz, meine Lieben, willkommen in meinem Haus. Steht der Champagner hier auf dem Tisch nur zur Dekoration?“, versuchte Henning einen schalen Scherz.

      Stasia setzte sich auf die Sofakante, wie eine Novizin zur Beichte bei der strengen Mutter Oberin. Helen und Harras stießen peinlich zusammen, als sie beide zum Champagner griffen. Sie überließ ihm schließlich das Einschenken und sagte: „Entschuldige Henning, ich bin ein bisschen durcheinander. Dein …, ja, was war es, … Schwächeanfall hat mich ein bisschen erschreckt. Also, es ist schön, dass du wieder da bist, ich finde keine Worte dafür.“

      Sie ging zu ihm, setzte sich auf die Sessellehne, ihr Gesicht ganz nah an seinem. Sie fuhr ihm durchs Haar, über die Schläfe und Wange und küsste ihn ganz zart, ganz warm, ganz sacht. Jetzt fühlte sie sich nicht mehr dumm. Henning nahm sie in die Arme, roch ihr Haar, spürte ihre Wärme und einen Hauch von Glück.

      „Wenn ihr jetzt hier rumknutscht, gehe ich besser auf mein Zimmer, darf ich?“, fragte Karl.

      „Klar. Du musst eh von meinen Beinen runter, die halten noch nicht so viel aus.“

      Harras hatte die Gläser gefüllt und reichte sie den anderen.

      „Auf dich, mein Freund, dass du bald wieder der Alte bist.“

      Sie prosteten sich zu und tranken.

      „Du hast dich bestimmt gewundert, uns beide hier anzutreffen“, fuhr Harras fort.

      „Das kannst du wohl sagen“, unterbrach ihn Henning. „Was wollt ihr eigentlich hier? Einen Asylantrag stellen. Oder Familienanschluss? Soll ich euch adoptieren?“ Hennings Tonfall war weit davon entfernt zu scherzen.

      „Du wolltest nicht, dass ich dich im Krankenhaus besuche. Deshalb bin ich jetzt hier. Ich wollte dich sehen. Ich wollte dir sagen, wie unendlich leid mir das alles tut. Und ich wollte dich bitten, mir noch eine Chance zu geben“, erklärte sich Harras. Seine Bitte lag auch in seinem Blick. Seine Finger rangen miteinander.

      „Ich höre immer nur: Ich wollte, ich wollte, ich wollte ... Ich wollte dich nicht mehr sehen. Das zählt wohl gar nicht?! Bitte geht jetzt. Harras, lass uns später darüber reden. Ja, ich glaube, das kann ich dir nicht verwehren. Ich muss mich jetzt ausruhen.“

      Harras und Stasia standen auf und schlichen hinaus wie geprügelte Hunde. Auf dem niedrigen Couchtisch blieb eine Visitenkarte zurück von Hans-Joachim Stelzer mit Adresse, E-Mail-Adresse, Festnetz- und Handy-Nummer. Auf der Rückseite stand in krakeliger Handschrift: Harras (Dein Freund).

      „Das hatte ich mir anders vorgestellt mit meiner Heimkehr“, sagte Henning mit einem Seitenblick auf Helen.

      Sie setzte sich wieder auf seine Lehne strich ihm durchs Haar und sagte: „Ja, du hast recht. Verzeih. Ich hätte ihm nicht erlauben sollen zu kommen. Aber er hat so gebettelt. Da konnte ich nicht Nein sagen. Du weißt ja, wie er ist. Aber kannst du ihm nicht noch eine Chance geben? Er hat viel falsch gemacht, aber doch nicht mit Absicht. Oder glaubst du das immer noch? Eigentlich ist er doch ein netter Kerl. Und eine arme Wurst.“

      „Nein, das glaube ich jetzt nicht mehr. Er tut mir nicht gut. Das waren übrigens deine Worte, Helen. Das weißt du.“

      „Ja, das habe ich mal gesagt. Aber jetzt sehe ich das anders. Er hat mir sehr geholfen in letzter Zeit, besonders mit Karl. Ja, ich habe ihn schätzen gelernt.“

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