Harras - Alles wird böse. Winfried Thamm
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„Prima, ich gehe mal zu Karl. Der will mir bestimmt ganz viel zeigen und erzählen.“
Henning spielte mit Karl, bis das Essen fertig war. Dann aßen sie gemeinsam. Karl erzählte von der Schule, von seinen Freunden und vom Fußballverein. Nach dem Essen brachte Henning Karl zu Bett und las ihm eine Seeräubergeschichte vor. Dann nahm er ihn in den Arm und küsste ihn auf die Wange: „Es ist so, so gut, dass es dich gibt, Karlchen.“
„Ich hab dich lieb, Papa“, strahlte er seinen Vater an.
Henning spürte, dass er noch nicht richtig angekommen war, zu Hause, in seiner Familie. Karl war ihm ein Trost. Aber wieso brauchte er ihn, diesen Trost? In sich spürte er eine ungewisse Trauer, als sei jemand, den er liebte, nicht mehr da. Zwischen ihm und Helen war eine Distanz, wie eine Panzerglasscheibe. Er konnte sie sehen, sehnte sich nach ihrer Nähe, erreichte sie aber nicht. Der Kuss vorhin hatte gut getan, er hatte ihn aber nicht geschmeckt.
Langsam stelzte Henning die Treppen hinunter – die Beine taten ihm weh – und setzte sich wieder in seinen Sessel. Helen nahm auf dem Sofa Platz. Beide hatten ein Glas Rotwein vor sich.
Sie berichtete ihm das Neueste aus dem Institut: Zwei kleinere Kunden seien abgesprungen. Sie ständen kurz vor der Pleite. Aber das Honorar von der letzten Fortbildung hätten sie noch bekommen. Ansonsten lief der Laden wie immer. Eine Menge Büroarbeit sei liegen geblieben. Das Dringendste habe sie mit Walter, seinem Organisationsleiter und Stellvertreter, weggearbeitet, aber an einige Verträge und Entscheidungen hätten sie sich nicht herangetraut, ohne ihn.
Helen trank einen Schluck von ihrem Wein und wechselte das Thema: „Henning, das mit Harras will ich dir erklären. Er war in letzter Zeit häufiger hier. Wir haben viel über diese schreckliche Geschichte geredet. Ihm tut …“
„Helen, warte mal!“, unterbrach sie Henning. „Das ist mir jetzt alles zu viel. Jedenfalls war diese“, er lachte freudlos, „Überraschung keine gute Idee. Und dann bringt er auch noch diese Stasia mit. Die hat mit allem doch gar nichts zu tun.“
„Wieso Stasia? Ich denke, sie heißt Anna?“, warf Helen ein.
„Sie heißt Anastasia. Ich kenne sie von einer Fete bei Harras. Da hat er sie noch Stasia genannt. Was das soll, weiß der Himmel. So, und jetzt muss ich ins Bett.“
„Ja, Schatz, ich helfe dir.“
„Lass mal, ich muss langsam wieder auf eigenen Beinen stehen, im wahrsten Sinne des Wortes.“
Sie lagen im Bett, seine Schulter in ihrem Arm, sein Kopf an ihrer Brust, sein Arm auf ihrem Bauch, sein Bein zwischen ihren beiden. Ein schönes Bild. Doch nichts war schön. Alles wird gut. Der dumme Satz von Helen am Nachmittag. Er weinte lautlos. Sie spürte es, sagte aber nichts. Es gab nichts zu sagen. Auch nicht zu tun. Sie schwiegen sich in den Schlaf.
Kapitel 2
Der erste Tag zu Hause
Helen stand wie immer um sieben Uhr auf, um Karl das Frühstück zu machen, die Schulbrote zu schmieren und ihn gut in den Tag zu bringen. Dann frühstückte sie selbst, schaute kurz in die Zeitung. Sie wollte um neun in der Buchhandlung ihres Vaters sein, in der sie zwei- bis dreimal in der Woche arbeitete. Später, wenn Karl älter war und ihr Vater nicht mehr so konnte, wollte sie den Buchladen übernehmen, aber noch war ihr alter Herr fit genug. Bevor sie aufbrach, schrieb sie für Henning eine kurze Nachricht und legte sie auf den Küchentisch.
Sie warf sich ihren Trenchcoat über, griff ihre Tasche und mit der anderen Hand wählte sie Harras’ Nummer auf ihrem Handy.
„Hey, Helen“, meldete er sich.
„Deine Aktion gestern war ja wohl gar keine gute Idee. Das hab ich dir doch im Voraus gesagt. Henning war ganz fertig.“
„Ja, klüger ist man hinterher immer. Aber was willst du? Er hat mich nicht für immer und ewig aus seinem Leben geschmissen, sondern will mit mir reden. Wollte ich mehr?“
„Du kannst so schäbig sein. Den ganzen Abend hast du versaut. Zählt das nicht?“
„Ja, das tut mir leid“, sagte er wenig überzeugend, „aber damit habe ich nicht gerechnet.“
„Und warum hast du deine neue Flamme, diese Anna, mitgebracht, die ja eigentlich Stasia heißt?“
„Also, das muss ich dir erklären. Erstens heißt sie Anastasia, da sind ja wohl beide Kürzel nachvollziehbar. Zweitens nennen sie alle zwar Stasia, ich aber Anna, weil ich nun mal ein besonderes Verhältnis zu ihr habe. Das verstehst du doch hoffentlich. Dass ich sie mitgenommen habe, liegt daran, dass eben diese, nennen wir sie Stasia, mit Henning in einem Jazz-Klub einen kleinen, aber sehr netten Spontan-Auftritt hatte. Er hat Klavier gespielt und sie dazu gesungen. Das hatte ihm viel Spaß gemacht und daran sollte er sich gestern erinnern. Das war also nur gut gemeint. Ach, Helen, das passiert mir mit Henning so oft. Ich meine was gut und es geht daneben.“
„Das war wirklich alles? Du verschweigst mir nicht noch irgendwas?“, fragte sie nach.
„Nein, glaub mir. Du traust mir doch, oder?“
„Ja, ja, ist schon gut. Und bevor Henning mit dir gesprochen hat, lässt du dich bei uns nicht blicken, versprochen?“
„Versprochen, großes Indianer…“
„Lass deine Karl-May-Kindereien und …“, das klang schon versöhnlicher, „schöne Grüße von Karl. Du bist für ihn ein Held.“
„Och, nicht für dich?“, flachste er.
„Nee, erst wenn du mit Henning wieder im Reinen bist. Ciao und hab Geduld.“
Während des Gesprächs hatte sie im Auto gesessen, ohne losgefahren zu sein. Sie hasste diese unkonzentrierten, telefonierenden Autofahrer, die vielleicht irgendwann ihren Karl übersehen würden, nur weil … Daran durfte sie gar nicht denken. Wer Kinder hat, hat immer Angst.
Dann gab sie Gas. Ihr Vater wartete schon.
Henning wachte erst gegen elf Uhr auf. Die Schmerzen in seinen Beinen hatten ihn geweckt. Er quälte sich aus dem Bett und machte die gymnastischen Übungen, die sein Physiotherapeut ihm gezeigt hatte. Die Muskeln wurden geschmeidiger, die Bewegungen fließender und die Schmerzen verschwanden. Er ging unter die Dusche und fühlte sich wach und agil.
Als er in die Küche kam, fand er Helens Zettel auf dem Tisch: Sie sei im Buchladen und gegen zwölf wieder zurück. Er warf die Espressomaschine an, machte sich einen Cappuccino, fütterte den Toaster mit zwei Scheiben, stellte Butter, Wurst und Marmelade auf den Tisch. Ihm ging es gut und er freute sich auf sein erstes ausgiebiges Frühstück zu Hause.
Dann verabredete er um 14 Uhr ein Treffen mit Walter. Er solle die wichtigsten Unterlagen mitbringen. Nein, er komme nicht ins Institut, er dürfe noch nicht Auto fahren.
Anschließend fuhr er den Laptop hoch und checkte seine E-Mails. Einige Kunden fragten nach Terminen für Verhandlungen über neue Verträge und wünschten ihm gute Besserung. Eine lange Liste von Mails fand er von alten und neuen Freunden und deren Familien, die fragten, wie es ihm ginge und wann man sich endlich wiedersehen würde. Henning war gerührt wegen dieser herzlichen Anteilnahme. Er beantwortete sie alle, zum