Das Weltkapital. Robert Kurz

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Das Weltkapital - Robert Kurz

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»Macher« der sozialen Bewegung dazu in der Lage sein, wenn sie sich auf die falsche Unmittelbarkeit der »Erfahrungen« beschränken. Die affirmativen Instinkte der bloßen Selbsterhaltung im Dschungel der »zweiten Natur« kapitalistischer Gesellschaftsformen sind so nicht zu überwinden.

      Aus tausend bloß aufsummierten Erfahrungen des sozialen Leidens wird ebenso wenig eine zureichende neue Theorie wie aus tausend demokratischen Meetings und Abstimmungen von vor sich hin räsonierenden Meinungsidioten. Heute sperrt sich die Aufgabe der Theoriebildung mehr denn je dem Fetisch der Demokratie, der selber der obsoleten politischen Form angehört und rein formal ist wie das bürgerliche Recht überhaupt. Das hat nichts mit »zentralisierten Machtsystemen« zu tun oder damit, dass den Aktivisten des Widerstands angeblich »abgehobene« theoretische Dogmen »übergestülpt« würden. Theorie ist ihrem Wesen nach machtlos im äußeren Sinne. Dies konnten die Modernisierungsdiktaturen nicht ungestraft ignorieren, aber dasselbe gilt für die globale soziale Bewegung.

      Theorie im Sinne kritischer und selbstkritischer Reflexion weiß um ihre eigene Beschränktheit, aber sie ist auch nicht zu umgehen. Nach dem Ende der linken Modernisierungstheorien im Kontext von Arbeiterparteien und Entwicklungsdiktaturen gibt es keine mit administrativer Macht ausgestattete Theorie mehr. Niemand kann dazu gezwungen werden, irgendein Dogma nachzubeten. Es sind die berühmten Erfahrungen selbst, die heute das Bedürfnis nach theoretischer Reflexion über den eigenen Horizont hinaus wecken. Es genügt nicht, das unmittelbare Erleben mit einem vagen antikapitalistischen Gefühl zu verbinden. Eine neue Erklärung der Logik und Geschichte des Kapitalismus ist gefragt, eine neue Analyse der Entwicklung des Weltmarkts, die heute den seit dem 19. Jahrhundert ausgebildeten nationalökonomischen Rahmen sprengt.

       Kapitalismus als Weltsystem

      Die Vorstufen der Globalisierung: Geschichte und Theorie des Weltmarkts in der Epoche der Nationalökonomien

      Eine Darstellung des Kapitalismus und seiner Entwicklung ist auf verschiedenen Ebenen der Abstraktion und Konkretion möglich, die oft nicht klar auseinandergehalten werden. Marx bezeichnete die Ebene seiner Darstellung im »Kapital« als diejenige des »Kapitals im Allgemeinen«, das heißt der allgemeinen kapitalistischen Logik und der Ableitung ihrer Kategorien – zunächst ohne Betrachtung eines bestimmten Bezugsrahmens. Tatsächlich bewegt sich der reale kapitalistische Reproduktionsprozess aber in einem solchen Rahmen, der irgendwann auch auf der allgemeinen Ebene im Aufbau der theoretischen Architektur erscheinen muss. Dabei sieht die Vermittlung von betriebswirtschaftlichem Einzelkapital und Gesamtkapital je nach der Ebene der Darstellung unterschiedlich aus. Soweit es um die grundsätzliche Logik des »Kapitals im Allgemeinen« geht, gewissermaßen um die Anfangsgründe der begrifflichen Darstellung (etwa des Verhältnisses von »abstrakter Arbeit« und Wert), kann auch der Begriff des Gesamtkapitals über weite Strecken allgemein und unbestimmt bleiben. Sobald jedoch ein bestimmter Bezugsrahmen gewählt werden muss (was oft schon bei der Auswahl von Beispielen unvermeidlich ist), zeigt sich, dass es dabei wiederum zwei Möglichkeiten gibt: Zum einen ist es die sogenannte Volkswirtschaft oder Nationalökonomie, die den jeweils bestimmten Bezugsrahmen des Gesamtkapitals bildet; zum andern ist es der Weltmarkt.

      Marx war, nebenbei bemerkt, nicht mehr dazu in der Lage, die als vierter Band des »Kapitals« geplante Darstellung des Verhältnisses von Nationalökonomie, Staat und Weltmarkt auf der Ebene des »Kapitals im Allgemeinen« in Angriff zu nehmen. Da diese Lücke weder in der marxistischen noch in der bürgerlich-akademischen Theoriebildung jemals geschlossen wurde und der ominöse vierte Band des »Kapitals« bestimmt nicht als Kollektivprodukt der endgültig reflexionslos gewordenen kapitalistischen Funktionseliten oder als anonymes Gemeinschaftswerk von bornierten Erfahrungsfetischisten erscheinen wird, findet die laufende Globalisierungsdebatte in dieser entscheidenden Hinsicht nicht einmal einen verlassenen theoretischen Steinbruch vor, aus dem sie sich mit Begriffs-brocken bedienen könnte. Auch eine Darstellung, die sich wie die vorliegende nicht auf der (ableitungslogisch-werttheoretischen) Ebene des »Kapitals im Allgemeinen« bewegt, sondern ein bestimmtes konkret-historisches Entwicklungsstadium des Kapitalismus analysiert, muss deshalb das grundsätzliche Verhältnis der verschiedenen Bezugsebenen erörtern.

       Weltmarkt, Nationalökonomie und geschlechtliches Abspaltungsverhältnis

      Seinem Begriff nach ist der sozialökonomische Aktionsraum des Kapitals grenzenlos, beschränkt allein durch die jeweiligen technischen (und auch militärisch-weltpolizeilichen) Zugriffsmöglichkeiten. Wenn es könnte, würde das Kapital nicht nur die gesamte Erde, sondern alle Welten und das gesamte Universum seiner betriebswirtschaftlichen Vernutzungslogik der »abstrakten Arbeit« unterwerfen, also (wie besonders in der angelsächsischen Science Fiction gelegentlich ganz naiv ausgemalt) noch die »Arbeitskraft« der Geschöpfe fremder Sternensysteme ausbeuten und in Geld (Mehrwert/Profit) verwandeln. Insofern ist das Kapital per se nicht nur »vaterlandslos«, sondern überhaupt jeder sozialen Verpflichtung, jeder kulturellen Beziehung, jeder Art von Ordnung außerhalb seines unmittelbaren ökonomischen Imperativs gegenüber prinzipiell illoyal. Kapitalismus ist ein paradoxer Fremdkörper in der Gesellschaft, der diese zu seinem Funktionsmaterial gemacht hat, aber ihrer besonderen Existenz gegenüber gleichgültig ist.

      Andererseits ist dieser aus allen menschlichen Bindungen herausgelöste hybride Fremdkörper des Kapitals mit seinem selbstbezüglichen Imperativ der endlosen Plusmacherei in der Form des Geldes jedoch ein äußerst bedürftiges Wesen. Denn das Kapital ist für seinen Akkumulationsprozess, der in grotesker Weise das Leben der Menschheit verwurstet, auf bestimmte Rahmenbedingungen angewiesen, die es selber in seiner ökonomischen Unmittelbarkeit nicht schaffen kann.

      In der Struktur der sozialen Beziehungen sind dies zum einen alle Tätigkeiten, Verhaltensweisen, Zuwendungen und kulturell-symbolischen Ausdrucksformen, die nicht im System der »abstrakten Arbeit« aufgehen, sich nicht oder nur teilweise in die Geldform übersetzen lassen und dennoch unerlässliche (und meistens »stumme«) Voraussetzungen dafür sind, dass überhaupt eine Reproduktion des sozialen Lebens stattfinden kann. Traditionellerweise ist dieser Lebens- und Reproduktionsaspekt, der für die kapitalistische Logik nur lästigen Ballast darstellt, den Frauen zugeschrieben worden und figuriert als vielfältige »Abspaltung« von der offiziellen Gesellschaftlichkeit (vgl. Scholz 2000). Es handelt sich dabei keineswegs bloß um die nicht in Wertform/Geldform darstellbare »Hausarbeit«, familiäre und nachbarschaftliche »Zuwendung«, weibliche »Liebesarbeit«, Fürsorgehaltung usw., sondern auch um diverse in den Institutionen der »abstrakten Arbeit« und des Marktes selbst angesiedelte, weiblich konnotierte soziale »Schmiermittelfunktionen«, soziopsychische Vermittlungstätigkeiten und dazugehörige emotionale Haltungen etc. Inzwischen wird sogar in Managementtheorien versucht, diese Aspekte unter dem Stichwort der »emotionalen Intelligenz« bewusst zu instrumentalisieren.

      Da die verschiedenen Momente eines sozial-materiellen, sozialpsychologischen und kulturell-symbolischen »Abspaltungsverhältnisses« (Roswitha Scholz) durchwegs informell, also nicht institutionalisiert und nicht formal kodifiziert sind, sich auch ihrer Natur nach dagegen sperren, kommen sie in der bürgerlichen Theorie seit der Aufklärung entweder gar nicht vor oder bleiben unterbelichtet; dies gilt besonders für den Begriffsapparat der politischen Ökonomie und auch noch weitgehend für die Marxsche Kritik derselben. Dennoch handelt es sich um höchst reale Voraussetzungen des betriebswirtschaftlichen Verwertungsprozesses, ohne die der globale Kapitalismus an seiner allen sozialen und sinnlichen Bezügen gegenüber gleichgültigen Destruktionslogik zugrunde gegangen wäre.

      Zum andern aber sind es innerhalb des institutionellen Gefüges kapitalistischer »negativer Vergesellschaftung« selbst die als »außerökonomisch« geltenden staatlich-politischen Funktionen, die einen Rahmen für den Verwertungsprozess setzen müssen, ohne den dieser auf Dauer nicht vor sich gehen kann. Das Kapital bedarf nicht nur seines eigenen »inneren« betriebswirtschaftlichen Funktionsraums, sondern auch eines »äußeren« nationalstaatlich-nationalökonomischen

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