Das Weltkapital. Robert Kurz

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Das Weltkapital - Robert Kurz

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seinen auf der Mikroebene eingelagerten geschlechtlichen Abspaltungsverhältnissen in Gegensatz zum unbegrenzten, von allen sozialen Voraussetzungen »befreiten«, nackten Funktionsraum des Weltmarkts. Grundsätzlich wird dabei eine wiederum paradoxe Verschränkung sichtbar: Der Staat bzw. die damit verbundene Nationalökonomie mit ihren staatlichen Regularien (einschließlich juristischer Kodifizierungen des Geschlechter- und damit zumindest indirekt des Abspaltungsverhältnisses, etwa im bürgerlichen Recht, Familienrecht etc.) vertritt dem partikularen betriebswirtschaftlichen Subjekt gegenüber die gesamtgesellschaftliche Universalität – aber nur innerhalb des jeweiligen abgesteckten Territoriums. Gleichzeitig repräsentiert aber eben deshalb das partikulare betriebswirtschaftliche Subjekt umgekehrt den begrenzten staatlich-nationalökonomischen Institutionen und der dazugehörigen, davon eingefärbten geschlechtlichen Abspaltungsstruktur gegenüber die grenzenlose, negativ-irrationale und ungesellschaftliche Universalität des Kapitals.

      Wir haben es also mit zwei verschiedenen Ebenen oder Formen der kapitalistischen »Totalität« zu tun: einmal mit der »inneren« Totalität des nationalökonomischen Reproduktionssystems unter Einschluss seiner geschlechtlich bestimmten, informellen Reproduktionsmomente; und einmal mit der »äußeren« Totalität des sozial völlig leeren kapitalistischen Weltganzen oder Weltsystems.

       Ein verkürzter Begriff des Weltsystems

      Den Topos des »Weltsystems« hat insbesondere der US-amerikanische marxistische Sozialtheoretiker und Afrikanist Immanuel Wallerstein in den 70er Jahren mit seinem mehrbändigen Werk »Das moderne Weltsystem« (Wallerstein 1986/1974; Wallerstein 1998/1974) und zahlreichen einschlägigen Publikationen eingeführt. Da es dabei um die Herausbildungsgeschichte des modernen Kapitalismus vom 16. Jahrhundert bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts geht, hat Wallerstein wichtiges und teilweise überraschendes Material über den Konstitutionsund Disziplinierungsprozeß des Kapitals zutage gefördert, das zum Beispiel die liebevoll ausgemalte Legende von der »wohlfahrtssteigernden Wirkung« der wunderbaren Marktwirtschaft über lange Zeiträume hinweg aufs Ganze gesehen widerlegt. Schon in der damaligen Debatte, die den Terminus der »Globalisierung« noch nicht inflationär gebrauchte, wohl aber den der »multinationalen Konzerne« (Multis), war das Verhältnis der beiden Totalitätsformen von »Nationalökonomie« und »Weltsystem« ein Streitgegenstand. Wallerstein äußerte sich zu diesem Aspekt, indem er seine Kategorie des »Weltsystems« in eigentümlicher Weise gewissermaßen überdehnte:

      »Was in Europa vom 16. bis zum 18. Jahrhundert zu beobachten war, ist, dass in einem großen geographischen Gebiet, das sich von Polen im Nordosten in westlicher und südlicher Richtung über ganz Europa erstreckte und große Teile der westlichen Hemisphäre einschloss, eine Weltwirtschaft mit einer einzigen Arbeitsteilung heranwuchs, innerhalb derer es einen Weltmarkt gab, für den die Menschen größtenteils landwirtschaftliche Erzeugnisse zu Verkaufs- und Gewinn-zwecken produzierten. Ich denke, dass es am besten wäre, dies als Agrarkapitalismus zu bezeichnen ... Der Kapitalismus war von Anfang an eine Sache der Weltwirtschaft, nicht eine Sache von Nationalstaaten. Es ist eine falsche Deutung der Lage zu behaupten, dass der Kapitalismus erst im 20. Jahrhundert ›weltweit‹ geworden sei, wiewohl diese Behauptung häufig aufgestellt wird, insbesondere von Marxisten ... Hier wird übersehen, dass das Kapital in einer kapitalistischen Weltwirtschaft die Beschränkung seiner ehrgeizigen Ziele durch nationale Grenzen niemals zulässt und dass die Aufrichtung ›nationaler‹ Schranken – generell: des Merkantilismus – historisch betrachtet eine Verteidigungsmaßnahme jener Kapitalisten ist, die in Staaten ansässig sind, welche auf der Rangliste der Stärksten des Systems den zweiten Platz einnehmen. Dies war der Fall bei England gegenüber den Niederlanden 1660-1715, Frankreich gegenüber England 1715-1815, Deutschland gegenüber England im 19. und der Sowjetunion gegenüber den USA im 20. Jahrhundert. Der Prozess beginnt damit, dass zahlreiche Länder nationale Wirtschaftsschranken aufrichten, eine Maßnahme, deren Folgen häufig noch anhalten, wenn die ursprünglichen Ziele längst erreicht sind. An diesem späteren Punkt des Prozesses empfinden die nämlichen Kapitalisten, die ihre nationale Regierung ehedem dazu drängten, die Restriktionen zu verfügen, diese selben Schranken nun als beengend. Das ist keine ›Internationalisierung‹ des ›nationalen‹ Kapitals. Das ist schlicht eine neue politische Forderung bestimmter Gruppen der Kapitalistenklassen, denen es zu allen Zeiten darauf ankam, ihre Profite innerhalb des realen ökonomischen Marktes, des Marktes der Weltwirtschaft, zu maximieren...« (Wallerstein 1979, 45 ff.).

      Es ist nicht zu übersehen, dass diese Argumentation Wallersteins derjenigen Krugmans 20 Jahre später durchaus verwandt ist, wenn auch in Gegensatz zu diesem aus kapitalismuskritischer Sicht entwickelt. Er erklärt Nationalökonomie und Nationalstaat kurzerhand zu unwesentlichen, bloß manipulativen Bezugsgrößen für das grundsätzlich und von Haus aus global orientierte Kapital: Das »Weltsystem« erscheint so als der Raum, in dem sich das Kapital immer schon unmittelbar bewegt.

      Das erkenntnisleitende Interesse ist dabei ein durchaus ehrenwertes: Wallerstein äußert sich vom Standpunkt der Dritten Welt, der damals der Standpunkt auch der westlichen Linken war; ja überhaupt der »Weltstandpunkt« der Kapitalismuskritik in einer kurz vor ihrem Ende stehenden Epoche, die durch den Prozess der »nachholenden Modernisierung« an der kapitalistischen Peripherie geprägt war. Wallerstein hat zwar durchaus einen kritischen Begriff des modernen warenproduzierenden Systems, der ihn immerhin dazu befähigt, etwa die Sowjetunion, das Flaggschiff der »nachholenden Modernisierung« im

      20. Jahrhundert, als integralen Bestandteil des kapitalistischen Weltsystems einzuordnen. Dennoch bleibt seine Perspektive zeitbedingt auf den Horizont der »nationalrevolutionären« historischen Nachzügler, der abhängigen Weltregionen und ihrer durchaus systemimmanenten Interessen beschränkt; zumindest streckenweise stellt sich der Wallersteinsche marxistische Hintergrund dabei als eine Art »reflektierter Maoismus« dar.

      Das wird besonders deutlich, wenn er die strukturellen »Ungleichheiten« innerhalb des von ihm in Zentrum, Peripherie und Semiperipherie eingeteilten Weltsystems erfassen will:

      »Sobald es einen Unterschied in der Stärke der Staatsapparate gibt, beginnt auch der Mechanismus des ›ungleichen Tausches‹ zu wirken, ein Mechanismus, den starke Staaten gegen schwache, Länder des Zentrums gegen periphere Gebiete einsetzen. Kapitalismus bedeutet also nicht nur, dass die Produktionsmittelbesitzer sich von denen, die nichts anderes als ihre Arbeitskraft besitzen, den Mehrwert aneignen, sondern Kapitalismus heißt auch die Aneignung des volkswirtschaftlichen Überschusses (Surplus) der gesamten Weltwirtschaft durch die Länder des Zentrums. Und dies galt für das Stadium des Agrarkapitalismus ebenso, wie es für das Stadium des Industriekapitalismus gilt« (Wallerstein 1979, 47).

      Wallerstein zeigt sich hier ganz im klassensoziologisch verkürzten (also nicht kategorial systemkritischen) Verständnis des Arbeiterbewegungsmarxismus befangen, dem es letzten Endes bloß um die politisch vermittelte »gerechte Verteilung« innerhalb des warenproduzierenden Systems geht; dieser immanente, positivistische Interessenstandpunkt wird lediglich um die Dimension der Dritten Welt erweitert. Wie ein in diesem Sinne beschränkter Begriff des Kapitals auf der Ebene der sozialen Beziehungen nahezulegen scheint, dass die den Mehrwert hervorbringende »unbezahlte Arbeit« zu einer »bezahlten« gemacht werden solle, so auf der Ebene der internationalen Beziehungen die entsprechende Vorstellung eines »ungleichen Tauschs«, dass dieser zu einem »gleichen« zu machen wäre.

      Der Selbstzweckcharakter des Kapitalismus, also die Irrationalität des vom Kapital bedingten gesellschaftlichen Systems, kommt gar nicht in Betracht; stattdessen wird bloß der soziologisch definierte immanente Interessenstandpunkt in politischmoralischen Kategorien ausgedrückt. Der in den 70er Jahren populäre Begriff des »ungleichen Tausches« moralisiert und vernebelt damit das Problem der sogenannten »Unterentwicklung«, das schon seinem Begriff nach von kapitalistischen Standards definiert ist. In Wahrheit liegt das Problem gar nicht auf der Ebene der Zirkulation, also des »Tauschs« von Waren, sondern auf der Ebene der Produktion unter kapitalistischen Bedingungen im globalen Maßstab, also

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