Der Televisionär. Группа авторов
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Siegfried Kracauer beschrieb einmal die tiefreichende Interdependenz einer besonderen künstlerischen Begabung mit einerseits zeitgenössischen medialen Fortschritten und andererseits gesellschaftlichen und kulturellen Tendenzen: Der Aufstieg des Komponisten und Impresarios Jacques Offenbach zum zeitgenössischen Medienstar habe erst begonnen, als »sämtliche Voraussetzungen für die Heraufkunft der Operette gegeben« waren.1 In der Konsequenz sei er gleichermaßen von seiner Gesellschaft, der des kurzlebigen Zweiten Kaiserreichs, bewegt worden, wie er diese bewegt habe. Seine Operetten seien »nicht allein der repräsentativste Ausdruck der kaiserlichen Ära, sondern greifen zugleich mit verwandelnder Kraft in das Regime ein. Sie spiegeln ihre Epoche und helfen sie sprengen – zweideutige Projekte eines Künstlers, der auch durch seine Person die Phantasie der Zeitgenossen erregt.«2
Ähnliches lässt sich von Wolfgang Menge sagen. Sein Aufstieg knüpfte sich an ein neues Medium, und auch er war »von einer überaus großen Empfindlichkeit gegen die Struktur der Gesellschaft.«3 In seinem vielfältigen Werk und insbesondere in den Arbeiten für das öffentlich-rechtliche Fernsehen verdichtete er wie in einem Brennspiegel die westdeutsche Gesellschaft und Kultur seiner Zeit. Dabei initiierte er größere politische Auseinandersetzungen und intervenierte in existierenden nationalen Debatten. Die Darstellung seiner Biografie und seines Schaffens werde ich daher mit zweierlei verschränken: mit Skizzen der Medien- und Kulturgeschichte und insbesondere der Geschichte des Fernsehens sowie mit Reflexionen auf thematische Schwerpunkte, um die seine künstlerische Existenz kreiste, insbesondere Fragen von Authentizität und Autorschaft. Die Darstellung seines Lebens und seines Werks teilt sich in fünf Abschnitte:
I Vor dem Fernsehen schildert Wolfgang Menges Kindheit, Jugend und seinen frühen Werdegang als Journalist für Print und Radio sowie als Drehbuchautor für den Film. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelangte der junge Autor zunächst von Gedichten zu Nachrichten, von Erfundenem zu Gefundenem. Seine damaligen Erfahrungen mit dem ›britischen Stil‹ journalistischer Berichterstattung – verkürzt gesagt: mit der Insistenz auf Faktenrecherche statt Meinungsmache – sollten bis zuletzt sein künstlerisches Werk prägen. Zu dessen wichtigstem formalen Moment wurde die Konzentration auf semi-dokumentarische Formen und damit verbunden die Produktion von Authentizität beziehungsweise das mediale Spiel mit ihr.
II Im Fernsehen der 1950er und 1960er Jahre verfolgt Menges Wechsel vom – damals kulturell noch angeseheneren – Film zum Fernsehen und seine zweigleisige Karriere in dem neuen Medium: zum Ersten als Autor der ersten bundesdeutschen Kriminalserie und anderer erfolgreicher Kriminalspiele, zum Zweiten als Autor kritischer und formal innovativer Fernsehspiele zu aktuellen politischen Fragen.
III Im Fernsehen der 1960er und 1970er Jahre analysiert, wie Menge zwischen 1968 und 1973 TV-spezifische Formate wie Magazin oder Show narrativ für das Fernsehspiel nutzbar machte. Inhaltlich versuchte er damit gegenwärtige Zustände in denkbare Zukünfte fortzuschreiben. Zentral für den Erfolg dieser Fernsehspiele bei Kritik wie Publikum aber war der Rekurs auf mediale Mischformen aus Fakten und Fiktionen, wie sie bis dahin nur im angelsächsischen Radio, Film und auch Fernsehen existiert hatten.
IV Im Fernsehen der 1970er und 1980er Jahre beschreibt, wie Wolfgang Menges Interesse an liveness als besonderer Qualität des Mediums Fernsehen ihn in den frühen siebziger Jahren zu dreierlei Innovationen veranlasste. Zunächst importierte und adaptierte er das angelsächsische TV-Format der Talkshow und wurde damit zwischen 1973 und 1986 als Talkshow-Gastgeber selbst zum Fernsehstar. Nahezu zeitgleich importierte und adaptierte er auch die Form der vor Publikum live produzierten Sitcom – situation comedy –, um in ihr den sozialen und kulturellen Wandel so aktuell begleiten und satirisch kommentieren zu können, wie es sonst nur dem Kabarett möglich war. Gegen Ende der siebziger Jahre schließlich wendete er sich Themen der deutschen Geschichte zu und entwickelte dafür innovative Darstellungsformen, in denen sich wiederum Dokumentarisches und Inszeniertes mosaikhaft zu einer nicht mehr linearen Narration mischten.
V Jenseits des Fernsehens versucht, die Charakteristika von Menges Autorschaft zu bestimmen. Von entscheidender Bedeutung für seinen künstlerischen Erfolg scheint die Möglichkeit, im audiovisuellen Medium der Television eine Autorenrolle behaupten zu können, wie er sie aus den älteren Medien Print und Radio gewohnt war. Auf dieser souveränen Autorschaft basierte Menges Schaffen als Fernsehautor. Insofern war das Ende seiner TV-Karriere eng verbunden mit dem institutionellen Wandel und schleichenden Niedergang des öffentlich-rechtlichen Fernsehens selbst. Menges Kritik an der Selbstzerstörung des Fernsehens, wie er es kannte, begann in den späten 1970er Jahren und eskalierte sukzessive, bis ihm um das Jahr 2000 gewissermaßen das Medium abhanden kam, das seine künstlerische Karriere für fast vier Jahrzehnte bestimmt hatte.
1 Kracauer, Siegfried: Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit, Werke, Bd. 8, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005 (*1937), S. 11.
2 Ebd., S. 12.
3 Ebd., S. 10.
I Vor dem Fernsehen: Zeitung, Radio, Film
Das Verlangen nach Television scheint so alt wie die Menschheit. In der westlichen Neuzeit lässt es sich über die Jahrhunderte hinweg auf eine lange Reihe mechano-optischer Schauapparate zurückverfolgen.
1 Zur Vorgeschichte der Television: Sehnsüchte
Grundsätzlich gliedern sich die televisionären Bestrebungen in zwei Varianten. Zum einen galt die Suche technischen Apparaturen, die – wie etwa das von Galileo Galilei im frühen 17. Jahrhundert entwickelte Fernrohr – Blicke auf ferne Realitäten ermöglichten, die das bloße Auge nicht mehr erkennen konnte, die jedoch dem Prinzip nach zeitgleich existierten. Zum anderen entstanden technische Apparaturen, die – wie der seit dem 17. Jahrhundert bekannte und seit dem 18. Jahrhundert äußerst populäre Guckkasten – Blicke auf Realitäten ermöglichten, die malerisch oder drucktechnisch erzeugt und über Lichteffekte optisch inszeniert oder auch animiert wurden, also dem Prinzip nach nicht vorgaben, zeitgleich zu existieren. Unter ihnen lassen sich wiederum faktisch und fiktional orientierte Darstellungen unterscheiden, also einerseits Inszenierungen von Orten und Ereignissen, welche die Macher aus eigener Anschauung kannten, wie etwa Nachempfindungen ferner Landschaften oder Städte, und andererseits Inszenierungen von historischen oder fiktiven Orten und Szenen, die frei gestaltet wurden, wie z. B. die Nachstellung von Szenen aus der klassischen oder christlichen Mythologie.
Deutlich zeichnen sich so in den Vorläufermedien des industriellen Fernsehens bereits seine beiden hauptsächlichen Leistungen und Aufgabenfelder ab: die Live-Übertragung und das Transportieren beziehungsweise Versenden von vorproduziertem Material, sei es fiktional oder non-fiktional.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzten dann Anstrengungen ein, mittels fortgeschrittener technischer Mittel und Medien dem In-die-Ferne-Sehen eine neue industrielle Gestalt