Der Televisionär. Группа авторов
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»Ich war da so zweiter Mann bei einem Emigranten-Korrespondenten, etwas über ein Jahr. [...] Ich wollte eigentlich nie wieder nach Deutschland zurück, ich wollte raus aus Deutschland.39 [...] Weil wir ja nicht diesen Bruch gehabt haben, wie alle Welt immer vermutet, dass nach 45 sich alles geändert hat. Es ist ja alles gemütlich weitergegangen, nur dass die Juden nicht mehr umgebracht wurden.«40
Aus den Erfahrungen seiner Zeit in Großbritannien rührte eine nachhaltige Prägung, Wolfgang Menges ›Britishness‹. Sie reichte von literarischen Vorlieben über den spezifischen Menge-Humor bis zu der Art, sich zu kleiden. Barbara Naumann spricht von »einer gewissen Conan-Doylisierung des Mengeschen Stils«.41 Vor allem anderen betraf sie sein Verständnis des Journalismus: dass es dessen vornehmste Aufgabe sei, Fakten zu ermitteln und zu vermitteln. Meinungsjournalismus verachtete Wolfgang Menge Zeit seines Lebens. Einen am Faktischen orientierten Realismus, gepaart mit respektlosem Witz und einem gewissen Galgenhumor, präferierte er nicht minder in der Literatur und den anderen Künsten.
Dieses Verlangen nach Authentizität korrelierte mit dem Zeitgeist. Im Film, dem wichtigsten Massenmedium, traten nach dem Kriegsende mehr denn je Züge des Dokumentarischen hervor, im italienischen Neorealismus, im deutschen Trümmerfilm, in semi-dokumentarischen Werken Hollywoods wie The House on 92nd Street42, Boomerang43 und The Naked City44. Dem Wunsch der vom Krieg desillusionierten Zeitgenossen, Wirkliches möglichst aktuell und unverstellt zu erfahren, entsprach die rasante Durchsetzung des Fernsehens, die in Großbritannien und den USA mit der Aufnahme des regulären Sendebetriebs unmittelbar nach dem Kriegsende begann.45
In London – in der Arbeit mit britisch geprägten deutschen Exil-Journalisten und durch die Erfahrung angelsächsischer Massenkultur – lernte Wolfgang Menge so kennen und können, was über Jahrzehnte hinweg sein Werk und vor allem seine künstlerischen Arbeiten für Film und Fernsehen kennzeichnen sollte: das Handwerk des Recherchierens und die Kunst, Wissensvermittlung mit Unterhaltung zu verbinden. Zentral dafür war das literarische Genre des Tatsachenberichts. Viel später sollte er als Drehbuchautor daraus diverse audiovisuelle Spielarten entwickeln. Zunächst aber transportierte er es nach Deutschland, als er im Januar 1949 nach Hamburg zurückkehrte:
»Da war das Hamburger Abendblatt vier Wochen alt. Ich ging meine alten Kollegen vom News Service besuchen, die alle dort waren. Und da habe ich gesagt: ›Hier fange ich auch an.‹ Da haben die gesagt: ›Tut uns leid, wir haben alle Ressorts besetzt.‹ Nur bei Lokales war noch der Job eines Reporters frei. Und ich wollte eigentlich nach Afrika. Aber bei einem Faschingsfest lernte ich ein Mädchen kennen. Eine Woche später habe ich dann gesagt: ›Gut, ich mache den Lokalreporter.‹«46
In dieser Zeit befreundete sich Menge nicht nur mit Axel Caesar Springer und seinem einflussreichen Generalbevollmächtigten Christian Kracht, er erprobte auch journalistisch, was er in England gelernt hatte, und schrieb erste umfangreiche Tatsachenberichte. Der unmittelbare Anlass dafür war sein Verlangen nach – natürlich britischen – Autos:
»Ich wurde auf die erste Automobilausstellung nach dem Kriege geschickt, die in Frankfurt stattfand. Da war ein Auto, ein MG, so schön, mit Speichenrädern, freien Scheinwerfern, Faltdach. Der Motor zum Scheibenwischer war ein Extra, der war eigentlich mit Handbetrieb [...] Man bekam sein Geld als Journalist damals ja gleich immer in bar, und das steckte ich immer in meine Hemdtasche. Wenn die Seite fertig war, dann wurde schon der Anstrich gemacht, da hat der Chef seine Honorare hingeschrieben, und man hatte ja jeden Tag etwas im Blatt. Da sind wir dann schon zur Kasse gegangen, noch bevor die Zeitung auf dem Markt war [...] Also, ich fasse in meine Hemdtasche und da waren ungefähr 400 Mark. Damit habe ich das Auto angezahlt und einen Wechsel unterschrieben [...] Und jetzt kam ich nach Hamburg und dachte, um Gottes Willen, wie kriegst du das Geld zusammen? Das waren neun-, zehntausend Mark, ein wahnsinniges Geld! [...] Und da habe ich dem Chefredakteur des Hamburger Abendblatts eingeredet, wir müssten mal so einen Tatsachenbericht machen – das kannte ich aus England. Der wusste gar nicht genau, was das ist, etwas in Folgen. Und dann habe ich irgendeine Mordgeschichte aus dem Hamburger Hafen mit Fortsetzungen gemacht, mit einem ordentlichen Honorar. [...] Und dann fand ich dieses Schreiben von Tatsachenberichten ganz lustig.«47
Gleichzeitig begann Menge, um seinen MG zu bezahlen, freiberuflich für den NWDR zu arbeiten. Zudem erfand er eine satirische Kolumne für das Hamburger Abendblatt, die er unter dem Pseudonym »Onkel Hugo« verfasste: »Die Idee war, über Meldungen zu schreiben, die normalerweise in den Papierkorb fallen, etwa ein Kleingärtner aus Lokstedt ruft an im Frühjahr, die erste Rose ist erblüht ...«48 Nach zweieinhalb Jahren jedoch endete sein Dasein als Lokalreporter abrupt: Im Hamburger Abendblatt erschien, mit Billigung des Verlegers, ein Beitrag von Karl Aloys Schenzinger, dem Verfasser des NS-Propagandaromans Hitlerjunge Quex.49 »Das konnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren und habe dann als jüngster und erster überhaupt bei Axel Springer gekündigt.«50
Der NWDR beschäftigte ihn sofort als Festen Freien in der Redaktion »Unterhaltendes Wort«.51 Dort geriet Wolfgang Menge in eine andere Tradition, von der später auch seine Fernseharbeiten geprägt werden sollten: die des ›Kulturauftrags‹. Konstitutiv war für sie eine Verbindung von Bildung und Unterhaltung, wie sie vor allem die Radiopioniere Hans Bredow und Hans Flesch formulierten und wie sie das deutsche Radio seit der Mitte der 1920er Jahre und bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 kultiviert hatte.52 Nach dem Krieg suchte das bundesrepublikanische öffentlich-rechtliche System an diese Tradition anzuschließen. Menge hatte eine zweiwöchige Kabarettsendung namens Karussell zu betreuen und war nun seinem ursprünglichen Berufswunsch sehr nahe gekommen. Doch zufrieden war er nicht:
»Ich wusste nicht, was ich da machen sollte. Ich habe immer rumgesessen und in der Nase gebohrt. [...] Ich habe den Redakteur immer gefragt, es muss doch etwas zu tun geben? Aber der selbst tat überhaupt nichts und konnte mich nicht verstehen.«53
Aus »lauter Verzweiflung« und im Rückgriff auf seine ehemalige »Onkel Hugo«-Kolumne habe er, so Menge, dann die Radiosendung Adrian und Alexander entwickelt. Ihr berühmter Anfangssatz lautete »Hallo Nachbarn«. Das Publikum begeisterte sie nicht zuletzt auch durch die eklektische, sehr angelsächsische und von Menge verantwortete Musikauswahl: »Es war eigentlich eine Sendung, wie ich sie gerne gehört hätte.«54 Ihr wohl markantestes Element war die Stimme des Sidekicks, eines Homunkulus:
»Ich hatte mir in meiner jugendlichen Naivität ausgedacht, dass der Sprecher anschließend ein rückwärtslaufendes Band abspult und quasi mit diesem Band spricht. Denn dieses Geräusch hatte mir immer großen Spaß gemacht. [...] Das hat aber irgendwie nicht funktioniert. Ich habe dann den Regisseur, der bei den Aufnahmen ohnehin immer ein wenig gestört hat, dazu bewegen können, dass er diese Stimme nachmacht.«55
Öffentliches Aufsehen und auch Anstoß erregte die Sendereihe bald durch ihre humoristisch verpackte, aber dennoch ungewohnt freizügige politische Kritik. Mit ihr bewies Wolfgang Menge zum ersten Mal »seine besondere Begabung [...], politische Zeitprobleme auf dem Wege spannender Unterhaltung bewusst zu machen«.56 Bereits nach einem halben Jahr gab es zu der Sendung eine Anfrage ihm Bundestag:57
»Da kriegte der Redakteur Albin Stuebs, auch ein Emigrant aus London [...], den Auftrag, von nun an sich die Sendung – wir haben die immer Freitag abends gemacht und Samstag wurde sie ausgestrahlt [...] – gefälligst vorher anzusehen. Der hat vorher immer dagesessen, hat sich tot gelacht über die Sendung, und von dem Moment an, wo er sie offiziell angucken sollte, um Böses zu verhindern, hat er sich überhaupt nicht mehr geregt, hat mit stummem