Der Televisionär. Группа авторов
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»An die Stelle einer ›authentischen‹ Signifikation von nationaler Identität tritt folglich eine Hybridisierung der sowohl deutschen wie britischen Referenten, durch die jegliche Stabilität der Zeichen desavouiert wird. [...] Die reziproke Durchdringung des ›Britischen‹ und des ›Deutschen‹ macht eine klare Separation von Fremdem und Eigenem unmöglich.«99
Der grüne Bogenschütze wie zeitgleich die Arbeit an den Adrian und Alexander-Hörfunksendungen gaben Wolfgang Menge Gelegenheit, seiner unerfüllten Liebe für das Kabarett zu frönen. Doch als Drehbuchautor strebte er inzwischen nach anderem, nach mehr. Die Skripte der Wallace-Adaptationen blieben ihm zu sehr der lebensfernen Künstlichkeit und den anspruchslosen Klischees des Genres verhaftet. Diese Sorte von ›Kassenschlagern‹ zu schreiben, langweilte ihn. Menge entschloss sich, mehr ›Leben‹ und neue Formen in die halbtote Traumwelt des deutschsprachigen Kommerzkinos zu bringen – tatsächliche Mordfälle, wirkliche Menschen und überraschende Erzählweisen. Von der satirischen Dekonstruktion des Unterhaltungskinos schritt er so fort zu dessen Innovation durch das, was er in anderthalb Jahrzehnten als journalistischer Autor gelernt hatte: Faktenrecherche und deren narrative Aufbereitung. Für sein nächstes Drehbuch verarbeitete er einen Mordfall, »der im Wien der 1940er Jahre als ›Badewannenmord‹ Furore gemacht hatte: Eine Fabrikantin wird ermordet, und sowohl ihr Geliebter als auch ein geheimnisvoller Geschäftsmann geraten in Verdacht.«100
Den Spielfilm Mann im Schatten101 schrieb Wolfgang Menge für seinen Freund Helmut Qualtinger. »Er galt bis dahin nur als Kabarettist. Und in Deutschland kannte ihn keine Sau.«102 Noch eine zweite schauspielerische Entdeckung gelang Menge für diesen Film:
»Ich habe in München damals einen jungen Schauspieler kennen gelernt, den wollten sie hier nicht. Der hat mir erzählt, wie er in Österreich einen Opernskandal gemacht hatte. Kurz vor der Premiere war seine große Liebe zerbrochen und er hat sich besoffen und während der Aufführung dann die Partien des Bassisten laut mitgesungen. Die sind immer hinter ihm hergelaufen und haben ihn nicht erwischt. Das fand ich eine so schöne Geschichte, dass ich ihn in dem Film haben wollte. Das war Helmut Lohner.«103
Der Film beeindruckt in der Tat durch Lohners und vor allem Qualtingers schauspielerische Leistungen. Von besonderer Qualität sind die geschliffenen, mal witzigen, mal bitteren Dialoge. So flucht eine unbegabte Hilfskraft recht hochdeutsch »Verdammte Scheiße!«, und der vorgesetzte Kommissar Qualtinger antwortet in breitem Wienerisch: »Mir ist bekannt, dass Sie den letzten Krieg bei der Wehrmacht verbracht haben. Aber deshalb brauchen Sie einen Menschen wie mich nicht daran zu erinnern.« Ebenso fragt der deutsche Kommissar aus Düsseldorf den ermittelnden Wiener Kollegen: »Haben Sie einen Anhaltspunkt? Eine Richtung, in die wir vorwärts marschieren können?« Qualtinger reagiert gelassen-herablassend: »Wir marschieren nicht mehr, und vorwärts schon gar nicht.« Das klang damals böser noch als heute – zumal in einem Film, dessen routinierter Regisseur Arthur Maria Rabenalt einst für Leni Riefenstahl gearbeitet und Nazi-Propagandafilme wie Achtung! Feind hört mit inszeniert hatte.104
Dafür aber, dass Mann im Schatten bis heute fesselt, sorgt noch zweierlei. Zum Ersten seine genau recherchierte Milieuschilderung. Bei aller Exotik der Details vermittelt sie ein Bild zeitgenössischen Wiener Lebens. Und zum Zweiten die fantasiereiche, zugleich dokumentarisch-exakte Erzählweise. Auf den ersten Blick operiert Menge zwar mit einer für das Film-Noir-Genre typischen Konstruktion, indem er mit dem Schluss beginnt und die Handlung als fait accompli schildert: Ein Mann hetzt durch die nächtliche Stadt und gesteht schließlich einem Arbeitskollegen, dass er einen Mord begangen habe. Was geschehen sei, wird nun in Rückblende erzählt – bis man am Ende wieder bei der Hetzjagd anlangt und erkennt, dass die Bilder des Anfangs etwas ganz anderes bedeuten. So radikal dieser narrative Rahmen konstruiert ist, so sehr zielt die Haupthandlung auf Realismus. Tag für Tag, Stunde für Stunde wird das Verbrechen nachgezeichnet, wobei eingeblendete Zeitungsschlagzeilen, die zum Beispiel Gagarins ersten Raumflug am 12. April 1961 verkünden, den Fortgang strukturieren und Authentizität wie Aktualität der dokumentarisch inszenierten Haupthandlung verbürgen.
Diese charakteristische Doppelbegabung Wolfgang Menges, als Autor sowohl ein genauer Rechercheur wie auch ein fantasiereicher und spannender Erzähler zu sein, führte schließlich zu dem Kinodrehbuch, das er für sein bestes hielt: Polizeirevier Davidswache.105
»Im Hinterkopf hatte ich eine wirkliche Geschichte eines Polizisten, der ermordet wird. Und dann habe ich sechs Wochen in der Davidswache herumgehangen. Und in allen Kneipen um die Ecke. Jede Nacht. Es liegt ja alles auf der Hand, wenn du dich mit den Leuten unterhältst.«106
Bis zu seinem Tode besaß er noch das Notizbuch, in dem er damals Dialogfetzen, Szenen, Anekdoten, Schicksale aufgeschrieben hatte. »Und aus all dem Kleinkram, den vielen kleinen Geschichten, habe ich dann die Handlung gewebt.« Mit Polizeirevier Davidswache realisierte Menge im ihm vertrauten Hamburger Milieu das, wonach er all die Jahre gestrebt hatte: ein authentisches Kinodrehbuch, tatsachengetreu, wirklichkeitsnah und narrativ abgestützt durch eine spannende, formal originelle Aufarbeitung des recherchierten Materials. »Der mit Berufsschauspielern und Reeperbahn-Professionellen besetzte Film hat, was deutschen Lichtspielen meistens fehlt: Tempo und echtes Milieu«, lobte Der Spiegel.107
6 Film II: Autorschaft im Film, Abschied
Der künstlerische wie kommerzielle Erfolg von Polizeirevier Davidswache bedeutete den Höhepunkt von Wolfgang Menges Karriere im deutschen Film – und zugleich den Anfang von ihrem Ende. Vier Faktoren trugen dazu bei: künstlerische, produktionelle, ökonomische und ästhetische.
Zum Ersten hielt Menge selbst das Genre kriminalistischer Tatsachenberichte für künstlerisch erschöpft. Die Anstrengung, den penibel recherchierten Inhalten innovativen Ausdruck zu geben, sollte ihn daher bald das Korsett des Erzählfilms zumindest vorübergehend abstreifen lassen, um die – inhaltlich nun auch komplexeren Geschichten – mosaikhaft in experimentell-simulativen Formen wie TV-Magazin oder TV-Show zu erzählen.108
Zum Zweiten kam es über Polizeirevier Davidswache zum Zerwürfnis mit Regisseur Jürgen Roland, Menges langjährigem ›partner in crime‹. Anlass war der filmtypische Streit um die Frage, wer Haupturheber des kollaborativ hergestellten Werks sei.
»Jürgen sagte: ›Das ist doch blöd mit diesen vielen Namensnennungen im Vorspann. Wir machen mal einen Anfang ohne Titel.‹ Ich habe zugestimmt. Dann wurde der Film präsentiert, und gleich am Anfang stand: ›Ein Film von Jürgen Roland.‹ Das fand ich unglaublich.«109
Dieser Missachtung, die Drehbuchautoren beim kommerziellen Film erfuhren und mehr oder weniger bis heute erfahren, kontrastierte damals deutlich ihre Hochschätzung beim aufstrebenden neuen Medium Fernsehen.
Dass aber nach Drehbüchern zu sieben erfolgreichen Spielfilmen, die Menge binnen fünf Jahren geschrieben hatte, im folgenden Vierteljahrhundert lediglich noch drei weitere Kinofilme nach seinen Vorlagen entstehen sollten,110 lag zum dritten an der eskalierenden ökonomischen Krise. Der Verkauf von Kinokarten war von über 600 Millionen im Jahre 1959 auf unter 300 Millionen im Jahre 1965 geschrumpft; 1975 sollten es nur noch knapp über 100 Millionen sein.111 »Diese Filmproduzenten, wenn du die Jungs gesehen hast, denen glaubtest du nicht, dass sie die Mark in der Tasche hatten – und haben sie ja auch nicht immer gehabt.«112
Zum Vierten entsprach dem ökonomischen Niedergang des deutschen Kinos ein künstlerischer. Die deutsche Filmproduktion dominierten Mitte der sechziger Jahre neben Edgar-Wallace- vor allem Karl-May- und Sexfilme. Wer wie Wolfgang Menge als audiovisueller Erzähler zugleich künstlerisch und kommerziell erfolgreich arbeiten wollte, dem kam in den sechziger Jahren gewissermaßen das Medium Film abhanden.
Hoffnung