Der Televisionär. Группа авторов
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Als Menge im Februar 1957 an der Alster eintraf, kündigte er als erstes bei der Welt. Danach arbeitete er als freier Journalist, primär für die Wochenzeitung Die Zeit und den NDR. Vor allem aber traf er sich mit seiner Brieffreundin. Die Hochzeit von Marlies Lüder und Wolfgang Menge fand am 7. Juni 1957 im Harvestehuder Standesamt statt. [Abb. 10] Für die Zeremonie lieh sich der Bräutigam den Trauring: »Weil – wie er sagte – er nie so ein Ding tragen würde«, erinnert sich Marlies Menge.76 Zur Hochzeitsfeier schickte der befreundete Kabarettist Wolfgang Neuss einhundert rote Rosen. »Der Idiot weiß doch, dass wir morgen früh abreisen!«, schimpfte Menge.77
Nach den Flitterwochen zog das Paar in die Heide, nach Bensdorf. Doch als sich herausstellte, dass ihr im Februar 1958 geborener erster Sohn Moritz schwerbehindert war und in Spandau eine besonders fortschrittliche Behandlung für spastisch kranke Kinder existierte, siedelte die Familie 1961, wenige Monate vor dem Mauerbau, nach Westberlin über; zunächst nach Groß-Glienicke, 1964 dann nach Zehlendorf.78
Um diese Zeit beendete Wolfgang Menge seine Karriere als Journalist, der seinen Lebensunterhalt mit Beiträgen für Tages- oder Wochenzeitungen bestritt. Bis in seine letzten Lebensjahre sollte er zwar weiterhin non-fiktionale Text verfassen, doch nurmehr als Intermezzo und nebenbei. So publizierte der begeisterte Koch – neben einer Vielzahl von Restaurantkritiken79 – als Spätfolge seiner asiatischen Erfahrungen in den sechziger Jahren chinesische Kochbücher, von denen vor allem das zweite ein Werk von literarischer Qualität war.80 1971 erschien nach einjähriger Recherche sein Sachbuch-Bestseller Der verkaufte Käufer, ein »Leitfaden durch die Tricks und Taktiken der Verkaufsstrategen«, der, wie der Spiegel schrieb, »aus dumpfen deutschen Verbrauchern kritische Konsumenten machen« sollte.81 Ebenso gab Menge in den achtziger und neunziger Jahren Sachbücher zu seinen historischen Fernsehspiele heraus.82 Der Schwerpunkt seines Schaffens jedoch verlagerte sich um 1960, nach seiner Rückkehr aus Ostasien und mit seinem Umzug nach Berlin, ins Fiktionale und in die audiovisuellen Medien. Denn wie er, der widerwillig erwachsen gewordene Familienvater, später immer wieder betonte: »Journalism is for boys.«83
5 Film I: Adaptationen, Ironisierungen, dokumentarische Perspektiven84
1959 wurde Wolfgang Menge 35 Jahre alt, während die Bundesrepublik, in der er nun wieder arbeitete, ihren zehnten Geburtstag feierte. Allmählich zeitigten Wirtschaftswunder und Demokratisierung kulturelle Konsequenzen. Die alte Garde derjenigen, die Weimarer Republik, NS-Zeit oder Exil als Erwachsene erfahren hatten und dann die Anfänge der Bundesrepublik dominierten, erlebte die Konkurrenz und Opposition der nachfolgenden Hitlerjungen-Generation. 1959 war in dieser Hinsicht das Annus mirabilis, das Jahr einer Wende, die nicht zuletzt zu einer kritischeren Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nazi-Zeit führte. Literarisch zeigte sich das mit Heinrich Bölls Billard um halb zehn, dem ersten Band von Uwe Johnsons Jahrestage-Romanen und Günter Grass’ Die Blechtrommel.85
Ähnliche Veränderungen kündigten sich im deutschen Film an. Erfolg hatte seit den frühen 1950er Jahren gehabt, was die Realität der zerbombten Städte und zerstörten Leben radikal verleugnete: Heimat-, Arzt- und Schlagerfilme. Nun geriet dieses Unterhaltungskino in eine doppelte Krise, bedroht zum einen durch den Aufstieg des Fernsehens und zum anderen durch eine wachsende Unzufriedenheit gerade des jüngeren Publikums mit diesen deutschen Produktionen. Zwischen Mitte und Ende des Jahrzehnts fiel die Zahl der jährlichen Kinobesuche von 800 auf 600 Mio.86Ökonomisch unter Druck gesetzt, reagierte die Branche einerseits mit Rückzug auf Bewährtes. Andererseits boten sich auf der Suche nach Marktlücken künstlerische Chancen. Werke wie Wir Wunderkinder, Hunde, wollt ihr ewig leben oder Die Brücke, die allesamt 1959 ins Kino kamen,87 standen formal unter dem Einfluss des italienischen Neorealismus und der französischen Nouvelle Vague und stellten sich inhaltlich dem, was die Presse als ›jüngste Vergangenheit‹ zu umschreiben pflegte.
»Ich fand Die Brücke hervorragend«, erinnerte sich Wolfgang Menge einmal.88 Ende der fünfziger Jahre sah er zudem einen Film mit Sonja Ziemann: »Da wurde raffiniert gegengeschnitten. So etwas richtig Filmisches wollte ich unbedingt machen.«89 Die Gelegenheit, das erste Drehbuch für einen Kinofilm zu schreiben, ergab sich durch die Bekanntschaft mit dem Regisseur Harald Philipp. Es ging um die Adaptation des Konsalik-Beststellers Strafbataillon 999.90 »Ich habe die ersten zehn Seiten gelesen. Es war unerträglich! Dann habe ich einfach meinen eigenen Stoff gemacht.«91 Die Produktion war Teil einer Kriegsfilm-Welle, die mit der Wiederbewaffnung Deutschlands einsetzte, und sie war ziemlich schlecht.92 Doch der 1960 uraufgeführte Film zog weitere Aufträge nach sich, darunter die Adaptation eines anderen schlechten Romans: Der rote Kreis.93 »Der Wallace war auch furchtbar. Diese Romane – wenn du einen mal gelesen hattest, kanntest du sie alle ...«94 Menges Adaptation war nach einem Stummfilm aus dem Jahre 1929 die zweite Verfilmung der Roman-Vorlage und zugleich nach Der Frosch mit der Maske (1959) der zweite Edgar-Wallace-Film in einer langen Reihe der von Horst Wendlandt geleiteten Produktionsfirma Rialto-Film.95 Bis 1972 sollten über 30 weitere Adaptationen folgen. Das routinierte Genre-Stück, das Menge ablieferte, bewies, wie schnell er sich das branchenübliche Handwerk angeeignet hatte.
Schon mit dem nächsten Drehbuch, wiederum nach einem Wallace-Roman, demonstrierte er jedoch, wie gering sein Interesse war, Konfektionsware zu liefern. Bei Der grüne Bogenschütze96 passte nicht mehr der Autor sich dem Stoff und er den Stoff wiederum filmischen Konventionen an. Stattdessen verfuhr Wolfgang Menge nach eigenen Interessen und Vorlieben und dabei höchst selbstironisch. Das Drehbuch offenbarte ein deutliches Talent zum intelligenten Witz wie zu formaler Innovation. Die rasant geschriebene Handlung – inszeniert von Jürgen Roland mit Gert Fröbe, Karin Dor und Klausjürgen Wussow – spielte mit den Konventionen des Genres bis hin zur Zerstörung filmischer Illusion. Sie begann bereits bei der narrativen Klammer: Eddi Arent in der Rolle des Reporters durchbricht die vierte Wand, indem er sich ein- und ausleitend direkt ans Publikum wendet. Die Dekonstruktion filmischer Konventionen setzt sich in einer Reihe von Frotzeleien fort, die immer wieder den Spielcharakter der Handlung in Erinnerung rufen. So kommentiert Eddi Arent, als in einer Dialogszene im OFF unmotiviert Schüsse fallen, mit Blick aus dem Fenster: »Da wird nur der nächste Wallace-Film gedreht.«
Was heute postmodern wirkt, verstörte damals Teile des Publikums wie der Kritik. Auch dem deutschen Fernsehen der sechziger Jahre war derlei Unernst für massenhafte Abendunterhaltung zu gewagt: Lange Zeit wurde der Kinofilm nur stark geschnitten ausgestrahlt. Ivo Ritzer bezeichnet denn auch beide Wallace-Adaptationen, zu denen Wolfgang Menge das Drehbuch beisteuerte, als »paradigmatische Filme eines postklassischen Kinos«, die »ihr Publikum auf den Prüfstand stellen«, da sie »durch den Bruch mit Konventionen narrative Komplexität zum primären Telos des Erzählens« machen.97 Dies trifft um ein Vielfaches mehr als auf Der Rote Kreis auf Der grüne Bogenschütze zu.
Unter biografischer Perspektive fällt zudem Wolfgang Menges selbstironisches Spiel mit der eigenen Britishness ins Auge. Beide Adaptationen – gedreht in Kopenhagen beziehungsweise bei Hamburg – spielen in einem fiktiv-zeitlosen Großbritannien und unter Engländern, bei denen es sich um bekannte deutsche Schauspieler in sichtlich karikierenden Varianten britischer Garderobe handelt. Die einschlägigen und deutlich aus stock footage eingeschnittenen Erkennungszeichen typisch britischer Urbanität und Ruralität mischen sich mit deutschsprachiger Schrift an Läden und Türen. »Beide Filme scheinen situiert in einer Form von Paralleluniversum, das sich aus stilistischen Idiosynkrasien und generischen Versatzstücken konstituiert«, schreibt Ivo Ritzer.98 Was für die – von ihren