Münster - Noch mehr wöchentliche Geschichten. Carsten Krystofiak
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Relikt des Kalten Krieges: Die Promenade am Zoobad ist für Panzer über 16 Tonnen nicht befahrbar.
In dieser Woche im Jahr 1820 …
… fand der Prozess gegen die Seherin statt.
Anna Katharina Emmerick wurde bei Coesfeld geboren und trat mit 28 Jahren in das Augustinerkloster in Dülmen ein. Doch das Kloster wurde bald darauf säkularisiert und Emmerick wurde Haushälterin bei einem Pfarrer.
Dort wurden ihre chronischen Erkrankungen und Schmerzen so schlimm, dass sie bald nur noch bettlägerig war.
Gleichzeitig bekam sie jedoch oft mystische Visionen und wurde als »Seherin« in der Region bekannt. Als an ihrem Körper auf rätselhafte Weise Stigmata – die Wundmale Christi – erschienen, war die Sensation perfekt.
Doch dem Staat Preußen missfiel das Aufsehen und die Behörden ordneten eine gerichtliche Untersuchung wegen Verdachts des Betrugs an.
Als Sachverständiger wurde u. a. der Münsteraner Homöopath Clemens von Bönninghausen gehört. Die Gutachter kamen zu dem Schluss, dass die Wundmale nicht übernatürlichen Ursprungs seien, konnten aber auch keine andere Ursache nachweisen.
Der Romantik-Schriftsteller Brentano interessierte sich für den Fall und reiste nach Dülmen. Er besuchte Anna Katharina oft und schrieb ihre Erinnerungen auf, die er zu einem Buch und einer Biographie Emmericks verarbeitete.
1824 starb die Mystikerin im Alter von 50 Jahren. 2004 wurde sie seliggesprochen. 2010 fand man bei Bauarbeiten in Buldern eine mumifizierte Frauenhand, die Emmerick zugeschrieben wird.
Heilige Wundmale konnte auch Münsters Homöopath Bönninghausen nicht mit Kügelchen heilen.
In dieser Woche im Jahr 1952 …
… zog der Send wieder zurück.
Warum heißt Münsters größtes Volksfest eigentlich nicht »Kirmes« wie anderswo, sondern Send? Send kommt von Synode und schon im Mittelalter fand anlässlich der zweimal im Jahr stattfindenden Kirchenversammlung auch ein Markt statt. Die Synode tagte im Dom, der Markt breitete sich auf dem Domplatz aus. So ging das hunderte von Jahren. Doch 1855 ging Klerus und Anwohnern der Lärm von Buden, Schaustellern und Karussells auf die Nerven. Der Send wurde aufgeteilt:
Die Viehhändler zogen vors Schloss, der Rest der Volksbelustigung vor die Aegidiikaserne (heute Aegidiimarkt).
1916, mitten im I. Weltkrieg, wurden beide Märkte wieder zu einem Großevent zusammengelegt und außerdem ein zusätzlicher Sommersend eingeführt. Die Veranstaltung auf dem damaligen Hindenburgplatz etablierte sich schnell als Lokalfolklore mit überregionaler Anziehungskraft. Doch mit Ausbruch des II. Weltkriegs war erstmal Schluss mit lustig.
Zwei Jahre nach Kriegsende wollten die Münsteraner ihre Sendtradition gerne wieder aufnehmen, konnten aber wegen des Mangels an allem nur eine im wahren Wortsinn »abgespeckte« Version improvisieren.
Als Ort wurde der Servatiiplatz gewählt, weil der schon weitgehend von Trümmern geräumt war. Für die nächsten vier Jahre zog der Send nun wieder auf den Domplatz.
Der Hindenburgplatz wurde noch als Halde für Bombentrümmer verwendet. Seit dem Frühjahrssend 1952 findet der Send wieder auf dem heutigen Schloßplatz statt – falls ihn keine Architekten wieder zum Umziehen zwingen.
Der Blick auf den Send bleibt erhalten, solange Architekten mit Triebstau ferngehalten werden können.
In dieser Woche im Jahr 2008 …
… ließ Paul seine Petra sitzen.
Im Mai 2006 tauchte erstmals ein schwarzer Schwan auf dem Aasee auf. Unter den weißen Schwänen suchte sich der Neue gleich den größten Kerl als Kumpel aus: Das Schwanen-Tretboot des Bootsverleihs. Die imposante Größe machte offenbar wett, dass der Kamerad irgendwie ein bisschen steif wirkte.
Nachdem sich herausstellte, dass der schwarze Schwan eine Schwänin war, die dem Tretboot heiß verliebt überall hin nachpaddelte, war die emotionale Unterhaltungs-Story perfekt.
Weil der Schwan zunächst für ein Männchen gehalten und »Schwarzer Peter« genannt worden war, taufte man das Tier nun kurzerhand in Petra um.
Alle Welt liebte die unglückliche Liebesgeschichte. Fernsehteams aus den USA und Japan berichteten vom Münsteraner Aasee, der WDR produzierte gleich eine Doku und vom Umzug des Paares in das Winterquartier im Zoo berichteten zwei Dutzend internationale Sender und Zeitungen. Es erschienen Romane, Kinderbücher, CDs und unzählige Merchandising-Artikel. Die UWG stellte den Ratsantrag, einen schwarzen Schwan in Münsters Wappen aufzunehmen!
Dann nahm die Geschichte eine unerwartete Wendung: Petra ließ doch noch einen echten Schwan ran, der von der Presse Paul getauft wurde. Doch Paul ließ Petra bald sitzen, die sich kurz erneut mit dem Tretboot tröstete und dann auf Nimmerwiedersehen verschwand.
Eine deutschlandweite Fahndung blieb trote einer Welle von Hinweisen ergebnislos.
Endlich gelöst: Das wahre und gruselige Ende der schwarzen Schwänin Petra …
In dieser Woche im Jahr 1920 …
… schloss die Uni wegen Bürgerkriegs.
Nach der Niederlage des Ersten Weltkrieges witterten Agitatoren die Chance zur kommunistischen Revolution. Die sozialdemokratische Ebert-Regierung handelte schnell und setzte »Freikorps« aus demobilisierten Frontsoldaten dagegen ein.
In Münster wurde die »Akademische Volkswehr« aufgestellt. Die Studenten waren erst kurz zuvor aus dem Schützengraben heimgekehrt. Ihr erster Einsatz war ein Abwehrring um Münster, um rote Brigaden aus dem Ruhrgebiet von der Stadt abzuschneiden.
Drei Monate später: Nach dem rechtsradikalen Kapp-Putsch in Berlin werden Münsters Studenten erneut einberufen und als »Akademische Wehr Münster« bewaffnet. Die Universität wird komplett geschlossen.
Die studentische Truppe untersteht einem Professor, der Reservemajor ist. Das erste Gefecht findet bei Selm statt, wo sich rote Arbeiter in der Kolonie der Zeche Hermann II verschanzt haben. Bei den Kämpfen kommt ein Münsteraner Student um. Nach Erstürmung der Zeche und Besetzung des Ortes Waltrop, marschieren die Akademiker nach Castrop-Rauxel, wo sie Hausdurchsuchungen vornehmen.
Die Ruhrgebietsbevölkerung empfängt die Studi-Truppen voller Hass. Nach vier Wochen kleinerer Schießereien und Verhaftungen wird das Regiment von Dortmund aus nach Münster zurücktransportiert und aufgelöst.
Münsters kommandierender Generalmajor dankte den Studis, dass sie »trotz aller persönlichen Bedenken ausgehalten haben«.
Bürgerkrieg statt Bildungsstreik: Münsters