Der Islamische Staat. Thomas Flichy De La Neuville

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Der Islamische Staat - Thomas Flichy De La Neuville

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regiert: Ab 1979 war Syrien fest in der Hand der Familie al-Assad, der Irak im Griff von Saddam Hussein. Letzterer instrumentalisierte die Baath-Partei und die Erdöleinnahmen zugunsten seines Klans und der Sunniten. Als Reaktion auf das Baath-Projekt, das sich laizistisch gab, um das Völkergemisch zusammenzuhalten, wurde die schiitische Mehrheit immer gläubiger, ja fundamentalistisch. Die Anhängerschaft des Islamischen Staates präsentiert das Kalifat nunmehr als die Wiederkehr eines Sunnismus, der Laizismus und Baathismus abgestreift hat und sich daher mit dem religiösen Eifer der irakischen Schiiten messen kann.

      Diese Vorstellung hat zweifellos viele Sunniten, die nach 2003, als im Irak die schiitische Mehrheit die Macht übernahm, einen Bedeutungsverlust hinnehmen mussten, für extremistische Positionen empfänglich gemacht. Die gesamte Region ist geprägt von den allgegenwärtigen Moscheen, von muslimischer Geschichte und muslimischen Symbolen, eine ständige Mahnung an die Bewohner, ihren religiösen Verpflichtungen nachzukommen, der sich auch die nicht ganz so eifrigen Gläubigen und die Religionsfernen nicht entziehen können. Die Bekehrung zum Rigorismus erscheint unter diesen Umständen wie eine Rückkehr zur Frömmigkeit, die eine Vergebung der Sünden und den Sieg für die Sache Gottes, die viel zu lange vernachlässigt wurde, ermöglicht.6

      Ethnisch-religiöse Situation im Irak

      Der Irak besitzt mit rund 115 Milliarden Barrel eine der größten Erdölreserven der Welt. Der Internationale Währungsfonds gibt an, dass 90 Prozent der Staatseinnahmen aus dem Öl- und Gasexport stammen, und der Internationalen Energieagentur zufolge nimmt der Irak unter den Ölexportländern den dritten Platz ein. Diese Energiereserven schüren schon lange die Konkurrenz zwischen den Großmächten und nähren den Wunsch nach Unabhängigkeit im irakischen Teil von Kurdistan, das über zahlreiche Lagerstätten verfügt. Zwar heimsten die USA ab 2003 den Großteil der Förderverträge ein, doch seitdem liefern sich zahlreiche Investoren, angefangen bei ExxonMobile Europe über BP (Großbritannien, Niederlande) und Lukoil (Russland) bis hin zur China National Petroleum Corporation (CNPC), einen erbitterten Wettbewerb.

      Die chinesischen Ölkonzerne (CNPC, PetroChina, Sinopec), und damit Peking, üben großen Einfluss auf den irakischen Ölmarkt aus. Der gegenwärtige Konflikt bedroht ganz klar die gewichtigen Interessen Chinas, die sich nach dem Ende der Invasion von 2003 in Verträgen niederschlugen. China hat von der schwachen Ausbeutung zahlreicher Lagerstätten massiv profitiert und ab 2008 viele Dutzend Milliarden Dollar in die irakische Ölförderung investiert. Heute werden 50 Prozent des irakischen Erdöls nach China exportiert. Nach und nach eroberten PetroChina und CN-PC die riesigen Ölfelder – so auch Westkurna, eines der ertragreichsten Ölfelder der Erde, an dem der amerikanische Ölkonzern ExxonMobil noch 60 Prozent hält.7 China stieg schnell zum besten Kunden und zum größten Investor Iraks auf. Außerdem sind 10.000 chinesische Facharbeiter an den irakischen Förderstätten beschäftigt.8 Als ISIS im Irak aktiv wurde, saßen 1.250 chinesische Facharbeiter über mehrere Wochen wegen der Auseinandersetzungen zwischen irakischen Streitkräften und Dschihadisten fest, was man in Peking mit großer Sorge zur Kenntnis nahm.9

      Erdölvorkommen im Irak

      Angesichts der Eskalation der Gewalt forderte China die internationale Gemeinschaft zu einer sofortigen Reaktion auf und unterstützte sämtliche diesbezüglichen Debatten und Resolutionen der UNO.10 Damit steht China paradoxerweise an der Seite der USA, seines größten Konkurrenten auf irakischem Boden. Mit dem Ziel, 80 Prozent der irakischen Ölreserven bis 2035 in den Zugangsbereich chinesischer Staatskonzerne zu bringen bzw. 8 Millionen Barrel pro Tag zu fördern, hat China nicht das geringste Interesse, die Kosten eines neuen Krieges zu tragen.11

      Durch die aktuelle Krisensituation hat der Irak an wirtschaftlicher Attraktivität verloren, zumal die Infrastruktur zunehmend veraltet ist. Angesichts steigender Preise für irakisches Öl könnte sich die EU nach Iran umorientieren, und China nach Russland, mit dem es ohnehin seine diplomatischen Beziehungen intensiviert hat. Letztlich dürfte die Bedrohung, die der Islamische Staat darstellt, eine ganze Reihe von Erdöl-Großprojekten gefährden, darunter den Bau von zwei Pipelines durch PetroChina, die China mit dem Irak verbinden sollen.

      Das irakische Kurdistan wiederum mit mehr als einem Viertel der Erdölreserven des irakischen Staates und geschätzten Gasreserven von 5.000 Milliarden Kubikmetern dürfte verschont bleiben, denn inzwischen hat es nicht nur Verhandlungen mit den auf dem eigenen Territorium aktiven (vornehmlich westlichen) Erdölgesellschaften eingeleitet, sondern auch damit begonnen, in Eigenregie Erdöl in die Türkei zu exportieren, das für die Türkei billiger kommt als russisches Erdöl. Die Streitigkeiten mit der irakischen Zentralregierung hat das nur noch verschärft, zumal der frühere schiitische Ministerpräsident Nuri al-Maliki die Autonomie Kurdistans infrage stellte. Die Autonome Region Kurdistan, die über eine eigene Gesetzgebung verfügt, setzt heute auf die Erdöl-Karte, um auch die politische Unabhängigkeit zu erlangen.12 Dieses Ziel könnte durchaus erreicht werden, sollte der Konflikt mit dem Islamischen Staat zu einer Teilung des Irak führen.

      Die amerikanisch-britische Intervention im Irak begann im März 2003, drei Wochen später wurde Bagdad erreicht. Die Koalition übertrug ab April die Staatsführung einer unter ihrer Aufsicht stehenden Regierung, löste die Baath-Partei von Saddam Hussein auf und entließ alle Kader der Diktatur, womit das Land über Nacht seine gesamte politische Elite verlor, was den Übergangsprozess erheblich erschwerte. Im Sommer 2003 gab eine Anschlagsserie in Bagdad den Auftakt zu einer endlosen Reihe von Explosionen und zahllosen Opfern unter der Zivilbevölkerung. Die USA stießen nicht nur auf den heftigen Widerstand der Sunniten, die sie entmachtet hatten, sie mussten auch gegen schiitische Milizen in Bagdad und im Süden des Landes vorgehen: Ihr Demokratisierungsvorhaben fand nirgends Widerhall.

      Im sunnitischen Gebiet entzog sich das „Todesdreieck“ Tikrit–Falludscha–Ramadi trotz erbitterter Kämpfe im Jahr 2004 dem Zugriff der amerikanischen Streitkräfte. Der Aufstand von Falludscha bereitete den US-Truppen große Probleme. Auf schiitischer Seite stießen die Streitkräfte der amerikanisch-britischen Koalition auf den erbitterten Widerstand der Mahdi-Armee, der Miliz des Imams Muqtada as-Sadr. Die Anschläge im schiitischen Gebiet gefährdeten die US-amerikanische Präsenz, die schließlich nur durch Wahlen im Januar 2005 weiter gewährleistet werden konnte, bei denen die Schiiten und Kurden als Sieger hervorgingen. Die Sunniten waren den Urnen weitgehend ferngeblieben und bereiteten so das Terrain für ihre eigene Marginalisierung und ihre Ressentiments der kommenden zehn Jahre vor. Am 6. April 2005 wurde der Kurde Dschalal Talabani vom irakischen Parlament in der Hoffnung zum Staatspräsidenten gewählt, dass er die Teilung des Landes besiegeln oder einen Föderalismus einführen würde, der Kurdistan die völlige Autonomie verschaffte. Wieder fühlten sich die Sunniten, die die Einheit des Landes mit der Baath-Partei aufgebaut hatten, geprellt. Die Hinrichtung von Saddam Hussein im Dezember 2006 nach einem zweifelhaften Prozess verstärkte nur noch ihren Hass auf die Zentralregierung, in der hauptsächlich Schiiten saßen, die mit der Besatzungsarmee gemeinsame Sache machten.

      Infolge der Vereinbarungen zwischen den USA und der schiitischen Mehrheit sowie einer besseren Koordinierung der Streitkräfte und der Nachrichtendienste sank die Zahl der gewaltsam zu Tode gekommenen Zivilisten der Gruppe Iraq Body Count (IBC) zufolge von 30.000 im Jahr 2006 auf 9.600 im Jahr 2008 und auf 4.000 zwei Jahre später. Doch das Zentrum des Landes und die Hauptstadt versanken immer mehr im Chaos, geschürt durch konfessionellen Hass. Mit Unterstützung schiitischer Milizen und amerikanischer Sondereinheiten übte die Zentralregierung Druck auf ehemalige Anhänger der Baath-Partei und die Sunniten aus. Auf beiden Seiten trieben informelle Gruppen – eine Mischung aus Verbrecherbanden und Terrormilizen – ihr Unwesen mit Entführungen, Erpressungen

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