Was bildet ihr uns ein?. Группа авторов
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Eine Schule für alle wäre der erste Schritt, aber auch nur der allererste. Eigenmotivation ist entscheidend für den Lernerfolg, und diese Einsicht muss in den Neustart des Bildungssystems maßgeblich einfließen. Doch was genau kann im Klassenzimmer passieren?
Das Problem ist, dass es die eine zuverlässige Motivationsformel nicht gibt. Dennoch bleibt die Frage, was den Menschen motivieren kann. Es scheint erst einmal ein Widerspruch zu sein, dass ein Anstoß von außen kommen soll, um die inneren Motivationskräfte zu bewegen. Es gibt aber immer wieder Beispiele aus der Praxis, bei denen genau das funktioniert. Eine wichtige Antriebsformel ist dabei das Erfolgserlebnis. Es bedarf keiner hohen Mathematik, um erst einmal festzustellen: Je höher der Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Schüler91 Erfolg hat. Nun soll es aber nicht darum gehen, nur einfache Aufgaben zu stellen, um den Jugendlichen Erfolg vorzugaukeln. Dies hätte dem Psychologen Falko Rheinberg nach sogar demotivierende Folgen, da die Lösung zu selbstverständlich scheint. Deswegen müssen Aufgaben so gestellt werden, dass sie nicht zu einfach erscheinen und der Anreiz da ist, sie zu lösen. Gleichzeitig dürfen sie nicht zu schwierig sein. Es sind also die mittelschweren Aufgaben, die Schüler herausfordern und voranbringen. Mit der Zeit verschiebt sich dann der Anspruch der Jugendlichen und somit auch das, was mittelschwer bedeutet. Daher ist es entscheidend, dass Aufgaben individuell auf Schüler zugeschnitten werden.
Im Buch von Rheinberg werden aber auch Praxisbeispiele dargestellt, wie Motivation problemlos in den Schulalltag eingebaut werden kann: Man stelle sich vor, man müsste im Mathematikunterricht zehn Aufgaben rechnen und man wüsste genau, mit Mathe hat das noch nie so richtig geklappt. Jetzt steht auf dem Aufgabenblatt die Frage, wie viele Aufgaben man glaubt, richtig zu rechnen? Wenn man vier vorhersagt und letztlich fünf schafft, ist es ein Erfolg, obwohl eigentlich nur die Hälfte richtig gerechnet wurde. Auf diesem Weg können Jugendliche aber lernen, sich selbst einzuschätzen, ihre Stärken und Schwächen kennenzulernen.92
Lernen nach Zahlen
Was im Klassenraum über Erfolg und Misserfolg entscheidet, sind letztendlich Noten. Dieser vermeintlich objektive Maßstab soll Schülern als Orientierung dienen, sich selbst zu beurteilen. Diejenigen, die die Schule schon hinter sich gelassen haben, schauen oft differenziert auf ihre Noten, die in der Schule vergeben wurden. Die meisten wissen oder können es im Studium oder im Berufsalltag sogar beweisen, dass Noten nur wenig über das eigene Leistungsvermögen aussagen. Für Schüler hingegen kommt es dem Urteil eines Richters gleich, dem Glauben geschenkt wird. Schließlich wird im Schulalltag auch viel dafür getan, dass Noten als objektiver Maßstab für Schüler erscheinen. Die offizielle Bestätigung, dass sie subjektiv sind, würde dieses Konzept einstürzen lassen. Was sagt es nun aber über mich als Person aus, wenn ich eine 5 erhalte?
Vielen Schülern wird damit ein Nichtkönnen suggeriert. Und damit ist das Selbstbild gezeichnet. Diese Endgültigkeit, die Noten für Schüler besitzen, kritisiert auch Sabine Czerny. Die Lehrerin aus Bayern war im Jahr 2009 mit dem Courage-Preis der Bayerischen Pfarrbruderschaft93 ausgezeichnet worden, weil sie „die gängige Art der Leistungsbewertung und die damit verbundene Klassifikation von Kindern in Frage gestellt“94 hatte. Zuvor war sie versetzt worden, weil sie ihre Schüler zu gut benotet hatte.
Anhand ihres Schulalltages beschreibt sie, dass Noten für die Jugendlichen Sieg oder Niederlage bedeuten. Dies führt sogar soweit, dass mit der Zensureneinführung Schüler aufhören, Fragen nach ihren Fehlern zu stellen, die sie im Test gemacht haben. Es scheint offenbar plötzlich unwichtig zu sein, Sachverhalte noch nach Prüfungen zu verstehen, denn schließlich war das Urteil in Form einer Zahl schon gesprochen. Dies führt dazu, dass die Bereitschaft zu lernen an die Note gebunden wird und Kinder darauf getrimmt werden, ihre Motivation von dem Urteil anderer abhängig zu machen – ein Effekt, der inzwischen unsere Gesellschaft durchdringt und selbst an Universitäten anzutreffen ist.
Aber sind wir bereit, die Noten abzuschaffen? Bereit, in einer von Wettbewerb geprägten Gesellschaft, in der Zahlen als das wichtigste Messkriterium gelten, ein gängiges System zu revolutionieren?
Diese Ziffern sind ein Maßstab, mit dem die meisten in unserer Gesellschaft aufgewachsen sind. Es ist vertraut und bringt an manch einem Familienabend Geschichten zutage, die Generationen verbinden: Denn vermutlich ist jeder schon einmal gefühlt ungerechtfertigt benotet worden. Genau weil es so vertraut ist, und seit Generationen gilt, fühlt es sich komisch an, sich die Schule ohne Noten vorzustellen.
Doch es gibt Schulen, an denen das funktioniert. Die Göttinger Georg-Christoph-Lichtenberg-Schule ist eine von fünf Schulen in Deutschland, die eine Ausnahmegenehmigung hat, keine Noten zu geben – zumindest bis zur 8. Klasse. Zu den Zeugnisterminen erhalten die Schüler sogenannte individuelle Lernentwicklungsberichte, in denen ausführlich die Entwicklung jedes Einzelnen beschrieben wird.95 Diese Art von Schule muss sich mit Vorwürfen wie Kuschelecken-Pädagogik auseinandersetzen, wie es einst der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog betitelte. Doch dieses „Kuscheln“ brachte im Jahr 2010 die beste Abiturientin Niedersachsens hervor.96 Erfolgreich lernen funktioniert also auch so.
Eine Schule ohne Noten kann, wenn es richtig umgesetzt wird, dem Glück wieder Eintritt zumindest in die Vorhalle der Schule gewähren. Diesen Schritt sollten wir wagen. Denn dieses Prinzip hat nicht nur eine motivierende, sondern langfristig eine gesellschaftliche Wirkung. Ohne Noten kehrt eine Kultur in die Klassenräume ein, die es erlaubt, Fehler zu machen, ohne gleich bestrafungsähnliche Konsequenzen tragen zu müssen. Und genau das muss in einer Schule möglich sein – denn aus Fehlern lernt man ja bekanntlich. Also muss es auch einen Raum geben, in dem es erlaubt ist, Fehler zu machen! Und welcher Ort würde sich dafür eher anbieten als die Schule?
Durch Noten wird Schülern vermittelt, dass es etwas Schlechtes ist, Fehler zu machen, und man die Konsequenzen dafür zu tragen hat. Ja, ja, „im harten Leben muss man auch die Konsequenzen tragen“, – man hört sie jetzt schon rufen. Aber das harte Leben fängt früh genug an, und für viele Schüler ist die Härte bereits zu Hause Alltag. In der Schule müssen sie aber die Möglichkeit haben, sich gemeinsam mit den Lehrern über ihre Stärken und Schwächen klar zu werden. Und dies kann über individuelle Bewertungen funktionieren. Dadurch ist der Lehrer nicht gezwungen, sich innerhalb einer Skala von eins bis sechs auszudrücken. Er kann und muss ganz differenziert begründen, wieso er die Leistung jedes Einzelnen so einschätzt.
Die Wahl des Vorbildes
Die individuelle Bewertung führt auch dazu, dass sich die Beziehung zwischen Schülern und Lehrern verbessert, da das Aburteilen und Aussortieren nicht mehr im Vordergrund steht, sondern es um das gemeinsame Voranschreiten, das Aufzeigen von Wegen geht. Und für die Motivation und den Schulerfolg ist nicht nur guter Unterricht wichtig, sondern auch eine gute Schüler-Lehrer-Beziehung. Wer von uns erinnert sich nicht zumindest an einen Lehrer, in dessen Unterricht man gerne ging und von dem man die Begeisterung für das Fach übernommen hat. Oder der gar verantwortlich für die Berufswahl ist. Dieser Aspekt der Schule wird meist erst in der Retrospektive deutlich. Nur die wenigsten würden ihre Lehrer als Vorbilder bezeichnen.
Wenn Jugendliche nach Vorbildern gefragt werden, so landen Lehrer häufig auf den hinteren Plätzen – aber sie kommen vor. So darf unter Vorbild aber nicht ein Idol verstanden werden – also jemand, dessen soziale Rolle man einnehmen will. Bei Vorbildern geht es eher darum, eine Person vor sich zu haben, an der wir uns zu orientieren suchen. Es sind meist Menschen aus unserer Nähe, von denen wir lernen wollen und an deren Meinung wir interessiert sind, um uns selbst weiterzuentwickeln. Oft werden sie auch unbewusst gewählt.97
Dass aus Lehrern verstärkt Vorbilder werden, ist nun