Was bildet ihr uns ein?. Группа авторов
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„Ich bin ein Kind deutscher Institutionen.“
Oktay Ay
Dass ich heute an einer deutschen Universität immatrikuliert bin, ist alles andere als selbstverständlich. Denn: Nicht nur komme ich aus einem bildungsfernen Elternhaus, sondern ich habe auch einen türkischen Migrationshintergrund.
Schon wehrend meiner Schulzeit stand die Herkunft meiner Eltern häufig im Zentrum, angefangen von der 1. Klasse bis zu den letzten Tagen des Abiturs. Es gibt unzählige Beispiele, die zeigen, wie ich aufgrund meiner türkischen Herkunft diskriminiert wurde. Auf meinen Vorschlag, die Abschlussfahrt nach Istanbul zu unternehmen, entgegnete mir mein damaliger Gymnasiallehrer vor der ganzen Klasse, dass er keine Reise zu den „muslimischen Brüdern“ unternehme. Weil ich im Vertretungsunterricht einmal mit meinem Tischnachbarn redete, ermahnte mich der Lehrer – obwohl er mich nicht kannte – mit den Worten, dass ich aussehe, als ob ich den Unterricht nötig hätte. Er zog seine Schlussfolgerung aus meinem südländischen Erscheinungsbild. Bekam ich nach der Grundschule noch die Empfehlung auf die Realschule zu gehen, da ich – wie mir mein damaliger Deutschlehrer beteuerte – kein gutes Deutsch spreche, schloss ich mein Abitur mit der Zensur „sehr gut“ ab. Die Deutschnote mit der Maximalpunktzahl. Meine deutsche Staatsbürgerschaft bekam ich erst später. Dass diese Aktionen direkt mit meinem Migrationshintergrund zusammenhängen, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Folgen hieraus waren, dass ich lange Zeit kein großes Selbstbewusstsein hatte, weil mir das Gefühl gegeben wurde, nicht dazuzugehören. So verhielt ich mich reserviert und engagierte mich zum Beispiel wenig schulpolitisch.
Die Hürde, sich beweisen zu müssen
Ein anderes Problem war das des sozialen Aufstiegs. Mein Vater, der 1975 im Alter von 15 Jahren mit seiner Familie nach Deutschland kam und insgesamt nur ein Jahr auf die Gesamtschule ging, gab mir wehrend meiner gesamten Schulzeit zu verstehen, dass man sich bei den Deutschen beliebt machen müsst. Ihm zufolge sollte ich nicht negativ auffallen. Um es zu etwas zu bringen, würde das jedoch nicht ausreichen. Deshalb gab er mir vor dem Hintergrund seiner eigenen Erlebnisse mit auf den Weg: Wenn etwas aus mir werden solle, müsse ich ständig daran arbeiten, besser zu sein als die Deutschen. Ein Verhalten wie in einer Ellbogengesellschaft entspricht nicht meinen eigenen Vorstellungen vom gemeinsamen gesellschaftlichen Leben. Ebenso wenig ständig „der Beste“ sein zu müssen – schließlich würde dies ja bedeuten, dass alle anderen „schlechter“ sind als man selbst. Aber ganz unrecht hatte mein Vater mit seinem Ratschlag nicht. Ständig musste ich mich doppelt beweisen, wo andere Mitschüler es einfacher hatten. Denn bei ihnen nahm man an, dass sie die Antwort auf die Frage wussten. Ich hingegen hatte das Gefühl, ich müsste gegen das Bild des „dummen“ Schülers mit Migrationshintergrund in den Köpfen der Lehrer ankämpfen. Dies setze mich unter enormen Leistungsdruck, den ich mir selbst auferlegte.
Der Türkischunterricht war zu Beginn meine Nische
Ich wurde 1993 in einem kleinen südhessischen Ort mit circa 10.000 Einwohnern eingeschult. Beim wöchentlichen Gebet in meiner Grundschule wurde meinen Mitschülern beispielsweise nie erklärt, weswegen ich beim Beten nicht – wie alle anderen – die Hände faltete. Dies förderte das Gefühl der Andersartigkeit bei mir und bei meinen Mitschülern zugleich. Trotz allem ging ich gerne in die Schule! Die Besonderheit meiner Grundschule war, dass ich seit der 1. Klasse Türkischunterricht hatte, wenn meine Klassenkameraden im Religionsunterricht saßen. Neben türkischer Grammatik, Geschichte und Geographie besprachen wir hier auch Probleme genereller Natur – also Probleme, die nicht unmittelbar mit dem Türkischunterricht zu tun hatten. Rückblickend denke ich, dass hier der Ort war, an dem die Integration maßgeblich stattfand. Denn unsere Türkischlehrerin konnte sich viel besser durchsetzen als ihre deutschen Kollegen. Wenn ich türkische Lehrer mit ihren deutschen Kollegen vergleiche, so fällt auf, dass erstere gegenüber der türkischen Schülerschaft eine höhere Durchsetzungskraft haben. Ich meine, dass dies daran liegt, dass türkische Lehrer über eine gewisse Autorität gegenüber Schülern verfügen und auch Respekt bekommen. Dies kommt durch die Identifikation zwischen der Schülerschaft mit der Lehrkraft zustande. Da meine Mutter erst 1980, nach der Hochzeit meiner Eltern, aus der Türkei nach Deutschland kam und mir die türkische Kultur vertrauter war, war der Türkischunterricht vorerst die Nische, in der ich mich verstanden und wohl fühlte. Gut erinnere ich mich daran, dass unsere Türkischlehrerin auch zu Elternabenden eingeladen wurde und dort die Rolle der eingebetteten Mittlerin zwischen den Lehrern und den Eltern übernahm. Zudem stand sie ohnehin im ständigen Kontakt zu den Eltern der türkischen Schüler. Probleme wurden auf diese Weise frühzeitig erkannt und schnell angegangen. Es war außerdem hier, im Türkischunterricht, wo ich bis zur 10. Klasse lernte, mein Selbstbewusstsein zu steigern. Dies geschah vornehmlich dadurch, dass ich ein Selbstverständnis für meinen Ursprung entwickelte. Einblicke in das gesellschaftliche Leben in der Türkei und die damit verbundenen kulturellen Praktiken, die religiösen Feiertage des Islam oder das säkulare Verständnis der Türkei lehrten mich, dass meine Herkunft mit meinem Leben in Deutschland vereinbar war. Auf diese Weise konnte ich der sein, der ich tatsächlich war und bin.
Ich wollte dazugehören
Ich bin heute der Meinung, dass Integrationsprobleme erstrangig dann entstehen, wenn man als Kind seinen Platz in der Gesellschaft nicht findet. Wenn die ethnische, konfessionelle oder wirtschaftliche Andersartigkeit in den Vordergrund tritt und diese zusammen den Bildungsweg sowie den Bildungserfolg bestimmen. Erfolgreiche Integration beginnt im frühen Kindesalter und ist ein komplexer Prozess, zu dem verschiedene Menschen jenseits des Elternhauses tagtäglich beitragen können. In meinem Fall war dies zum Beispiel dringend notwendig, da meine Eltern selbst kaum Deutsch sprachen und deswegen öffentlichen Institutionen diese Aufgabe zukam. Meine Eltern hingegen konnten nicht von solch einem Bildungsangebot profitieren, da es in dem Ort, in dem wir wohnten, keine Angebote gab und sie ohnehin Vollzeit arbeiteten. Und selbst wenn sie die deutsche Sprache gelernt hätten, hätten sie noch lange kein Muttersprachenniveau erreicht, wovon ich als Kind profitiert hätte.
Dass ich bereits in der Grundschule Türkischunterricht hatte, half mir sehr, da sich so mein Türkisch ständig erweiterte. Sicherlich sprach ich mit meinen Eltern Türkisch, doch da ging es nicht um Grammatik oder um Bücher, die ein ganz anderes Sprachniveau haben als die Alltagssprache. Und da meine ganze Familie bis heute in der Türkei wohnt, ist Türkisch für mich sehr wichtig.
Bildungseinrichtungen müssen vorhandene Differenzen zwischen deutschen Schülern und jenen mit Migrationshintergrund wirksam ausgleichen, aber vor allem auch individuelle Begabungen identifizieren und aktiv fördern. Beispielsweise ist es wahrscheinlicher, dass bei einem Kind, das aus einem deutschen bürgerlichen Elternhaus kommt, beim Abendessen über Literatur, klassische Musik oder Politik gesprochen wird. In meinem Elternhaus war das nicht der Fall. Keinesfalls bedeutet dies aber, dass man als Kind aus einem anderen Elternhaus wie dem meinigen dafür nicht empfänglich wäre. Ich meinerseits interessiere mich seit der Mittelstufe sehr stark für Fremdsprachen, für die Literatur und die Kunst, klassische Musik, und entschied mich Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen zu studieren. Es waren meine Lehrer, die meine Interessen für diese Bereiche erkannten und die sie seit der Oberstufe förderten. Meine persönliche Motivation,