Route 66. Frederik Hetmann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Route 66 - Frederik Hetmann страница 5
Natürlich fallen dem Besucher zunächst jene Bauten ins Auge, die Rekorde machten. Da ist vor allem das John Hancock-Center am nördlichen Ende der Michigan Avenue und der Sears-Tower am Ostrand des Banken- und Börsenviertels am Loop.
Der Sears-Tower mit seinen 443 Metern Höhe blieb 22 Jahre lang der höchste Bau der Welt. Erst vor Kurzem überflügelten ihn die vom New Yorker Architekten Cesar Pellis entworfenen Zwillingstürme in Kuala Lumpur um sechs Meter und sechzig Zentimeter. Doch schon entsteht, ebenfalls von Pellis entworfen, nicht weit von Sears-Tower ein weiterer Bau, der knapp 800 Meter hoch sein wird, höher als jedes bisher existierende Gebäude. Von diesen beiden Giganten hat man die beste Aussicht auf die Stadt. Nordöstlich davon erhebt sich Big Stan, ein weißer Marmorbau der Standard Oil, und auf der Nordseite der Magnificent Mile gelangt man schließlich zum hundert Stockwerke hohen John Hancock-Center, einer Stadt für sich mit Wohnungen, Geschäften und Garagen. Den Weg in den 94. Stock zum Observatorium im Hancock-Center schafft der schnellste Lift der Welt in 39 Sekunden. Darüber liegt noch das höchste Restaurant Chicagos, von dem man angeblich bei klarem Wetter 130 Kilometer weit nach Wisconsin, Indiana und Michigan sehen kann. Recht verloren unter diesen Riesen nimmt sich der alte Wasserturm aus, eines der wenigen Gebäude, die das Feuer von 1871 unversehrt überstanden haben. An ihm lässt sich die Entwicklung innerhalb der Stadt während nur eines Jahrhunderts eindrucksvoll ablesen.
5. Chicago – Zentrum moderner amerikanischer Literatur
Nach alledem, was wir bisher gehört haben, mag es erstaunen, dass Chicago seit dem 19. Jahrhundert zu einem Zentrum moderner amerikanischer Literatur geworden ist. In seinem 1883 erschienenen Leben auf dem Mississippi nennt Mark Twain die Stadt einen Ort, »wo sie ständig Aladins Wunderlampe reiben, um den Geist zu rufen, wo sie ständig neue Unmöglichkeiten ersinnen und vollbringen«.
Die im Zeichen bürgerlicher Wohlanständigkeit im neuenglischen Osten der USA entstehende Literatur Amerikas stand im krassen Gegensatz zur deprimierenden Kehrseite der Modernität des sich rasch entwickelnden Chicagos, dem Massenelend der Zu-Kurz-Gekommenen, das die theatralische Traumstadtkulisse der großen Ausstellung verbergen sollte. Die Urban Blight, die soziale Verwahrlosung, war in dieser Stadt seit der ersten Industriellen Revolution immer ein Problem. Tausende wurden in ghettoartigen Notquartieren zusammengedrängt. Daher ist es auch kein Wunder, dass die Stadt um die Jahrhundertwende ein Sammelpunkt für politische Radikale wurde. Ein Buch, das diese Problematik eindrucksvoll dokumentiert, stammt von der ebenso streitbaren wie gebildeten Jane Addams aus Cedarville, Illinois, die 1889 südwestlich des Loop in den wüstesten Slums der damaligen Zeit das sogenannte Hull-House gründete, das, wie es Hans Egon Holthusen genannt hat, »eine Art Kombination von Armenasyl, Nachbarschaftsklub und Kulturzentrum mit College-Charakter (bildete) und heute als nationales Kulturobjekt unter Denkmalschutz gestellt ist.« Jane Addams, die sich nicht nur für die Ärmsten der Armen einsetzte, sondern sich auch als Frauenrechtlerin einen Namen machte, wurde 1931 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
American Memories
»Das Outer Drive ist die Durchfahrtsstraße, die sich entlang des Sees fast durch die ganze Stadt hinzieht. Die Stadtväter waren sich bewusst, dass Autofahrer Zeitprobleme haben und bequem fahren wollen. Deswegen ließen sie achthundert Bäume im Jackson Park auf der South Side fällen.«
Studs Terkel,
Ein ABC-Führer für Leute, die Chicago nicht kennen
Für die Schriftsteller der Gentile Tradition, zu denen im vorigen Jahrhundert die in Deutschland unbekannt gebliebenen Autoren Henry Blake Fuller, Robert Herrick und Hamlin Garland zu rechnen sind, wurden vor allem die Atmosphäre der Chicagoer Gründerjahre, die Aufsteiger und Baulöwen der »windigen Stadt«, die Vergötzung des Erfolgs zu Themen, die sie beschäftigten. Zur nächsten Generation gehört dann schon der auch in Deutschland bekannt gewordene Theodore Dreiser (1871 bis 1945) mit seinem 1900 erschienenen Roman Sister Carrie, der das Schicksal eines naiven Mädchens aus der Provinz, das in die Großstadt Chicago kommt, zum Inhalt hat. Waren die berühmten Schlachthöfe schon 1870 eröffnet worden, so wurde Upton Sinclair (1878 bis 1968) mit seinem Roman Der Dschungel von 1906 zu ihrem kritischen Chronisten. Sein Buch wiederum beeinflusste nachdrücklich Bertolt Brecht und spiegelt sich in dessen Lehrstück Die Heilige Johanna der Schlachthöfe. Upton Sinclair und Theodore Dreiser begründeten letztlich den literarischen Ruf dieser Stadt.
Über der sozialkritischen Literatur, die in Chicago immer eine Heimat hatte, wird leicht vergessen, welcher Einfluss von hier auf die literarische Moderne ausging. Es war Ezra Pound, der in Chicago den Kristallisationspunkt für eine neue amerikanische Literatur des 20. Jahrhunderts – später »Chicagoer Renaissance« genannt – sah. Pound prophezeite, dass im Vergleich mit ihr die italienische Renaissance ein »Sturm im Teekessel« gewesen sei. Seine Hoffnungen setzte Pound vor allem auf die Zeitschrift Poetry, gegründet 1912, und die Little Revue, die die bildschöne Margret Anderson als radikal-avantgardistisches Unternehmen 1914 gestartet hatte. Ab April 1918 erschien in ihr der Ulysses von James Joyce als Vorabdruck, was der Zeitschrift 1920 ein Gerichtsverfahren einbrachte. Beide Zeitschriften spielten eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung dreier bedeutender amerikanischer Lyriker. Da ist zunächst einmal Vachel Lindsay: Ein dichtender Vagabund aus Springfield, Illinois (1879 bis 1931), der 1913 mit dem Gedicht »General William Booth geht in den Himmel« eine Ballade auf den Gründer der Heilsarmee schrieb und dessen vielleicht berühmteste Verse »The Congo« den in dieser Zeit in Chicago aufkommenden Jazzrhythmus in ein episches Gedicht einfließen ließen.
»FAT black bucks in a wine-barrel room,
Barrel-house kings, with feet unstable,
Sagged and reeled and pounded on the table,
Pounded on the table,
Beat an empty barrel with the handle of a broom,
Hard as they were able,
Boom, boom, BOOM,
With a silk umbrella and the handle of a broom,
Boomlay, boomlay, boomlay, BOOM.
THEN I had religion, THEN I had a vision.
I could not turn from their revel in derision.
THEN I SAW THE CONGO, CREEPING THROUGH THE BLACK,
CUTTING THROUGH THE JUNGLE WITH A GOLDEN TRACK ...!«
Heute findet man vor allem seine Absicht, eine mündliche Tradition