Münster - Jede Woche hat ihre Geschichten. Carsten Krystofiak
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Krystofiak
Münster –
Jede Woche hat ihre Geschichten
Carsten Krystofiak
Münster – Jede Woche hat ihre Geschichten
100 Münster-Zeitzeichen aus der »na dann«-Serie
© 2012 Oktober Verlag, Münster
Der Oktober Verlag ist eine Unternehmung des Verlagshauses
Monsenstein und Vannerdat OHG, Münster
Alle Rechte vorbehalten
Satz: Britta Gerloff
Umschlag: Thorsten Hartmann
unter Verwendung eines Fotos von Tom Heyken
eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmund www.readbox.net
ISBN: 978-3-941895-27-0
Vorwort
Die Zeichen der Zeit …
In der Küche höre ich oft Radio. Seit meiner Kindheit bin ich ein Fan der Hörfunksendung »Zeitzeichen«, die an Jahrestage besonderer Ereignisse oder Personen erinnert.
An besonderen Ereignissen und Personen herrscht auch in Münsters Lokalgeschichte kein Mangel. Mal komisch, mal tragisch; oft realsatirisch. Chronologisch sortiert ergab sich daraus eine bunte Fülle von Jahrestagen – die »Münster-Zeitzeichen«.
Seit 2009 läuft diese ganzseitige Kolumne in Münsters Wochenschau »na dann«, also bisher rund 150 Mal. Vielen Münsteranern gefällt die Reihe gut, darum sind die hundert bislang besten (genau sind’s sogar 104) in diesem Buch zusammengefasst; pro Kalenderwoche zwei Stichtage. Das ergibt eine rasante Zeitreise durchs ganze Jahr.
Viel Spaß dabei,
Carsten Krystofiak
Sehr geholfen haben mir Walter Kutsch, Christian Steinhagen und Dr. Axel Schollmeyer. Besten Dank!
In dieser Woche im Jahr 1946 …
… eröffnete das Hotel Kronenburg an der Hammer Straße.
Als erstes Hotel nach dem Krieg eröffnete Anfang Januar 1946 an der Hammer Straße 37 die »Kronenburg«. Zum Hotelrestaurant gehörte auch ein Festraum für Kabarett und Musik. Das Original »Addi Münster« wurde hier mit schrägen Sketchen zum Dauergast – heute würde man dazu »Comedian« sagen. Ab 1969 lockte neben dem Hotelrestaurant die gleichnamige Nackttanz-Bar. Nach der Aufgabe des Hotelbetriebes vermietete die Eigentümerin die vier Hoteletagen plus Kneipe 1974 an vierzig junge Hippies, die sich dort dem Experiment einer sozialistischen Kommune unterzogen. Das Scheitern der Utopien im Alltag hat viele von ihnen für immer davon geheilt … Anfang der 1980er Jahre wurde die Kronenburg-Kneipe zum Treffpunkt der münsterschen Punkszene. Der junge Westbam trat hier mit seiner Punkband »Anormal Null« auf. Das bürgerliche Münster sah in der Kronenburg eine Filiale des Moskauer Kremls und der RAF. Dabei hatten die Bewohner genug mit banalen Nachbarschaftsstreitereien zu tun, wie jeder andere Spießer auch … 1988 wurde aus der Kronenburg-Kneipe das Café Wolters. Weitere zehn Jahre später eröffneten Pitti Duyster & Michael Sulzbacher in der Kronenburg-Bar die Lunabar, die zum Vorbild großstädtischer Clubgastronomie in Münster wurde. Nicht alle alten Stammgäste der Bar bekamen den Wechsel gleich mit: Noch lange kamen einsame Herren in den Szeneclub, die sich darüber wunderten, dass ihnen die jungen Damen gar nicht zuhörten … Am 9.10.2007 wurde das Haus an einen Bieter aus Münster zwangsversteigert.
Hotel, Nacktbar, Kommune, Punktreff, Szeneclub – die legendäre Kronenburg: Hier posiert die Hausband »Sex Or Rip Tides« (ca. 1985).
In dieser Woche im Jahr 1975 …
… wuchs Münster um 400 Prozent.
Am 1. Januar 1975 verloren im Zuge der kommunalen Gebietsreform die neun bis dahin autonomen Umlandgemeinden Münsters ihre Eigenständigkeit und wurden der Stadt Münster zugeordnet. Die Münsteraner fanden das prima, denn über Nacht wuchs ihre Provinzstadt um das Vierfache und sie fühlten sich ab sofort als Großstädter. Die Angelmodder, Amelsbürener, Albachtener, Nienberger, Roxeler, Sprakeler, Handorfer, Hiltruper und Wolbecker fanden das furchtbar und fühlten sich gedemütigt. Ausschlaggebend für die Ausdehnung war der »Plan 2000« – ein Entwicklungsplan, der Münster »enorme Wirtschaftsimpulse« in einem »nie gekannten Umfang« versprach. Kernstück dieser Kaffeesatzleserei war ein »Großflughafen« in Münsters Südosten (der niemals gebaut wurde). Doch es gab auch Kritik: Im Kreistag nannte man die Pläne »maßlos und überdimensioniert«. In Hiltrup kam es sogar zu einer Volksabstimmung, bei der 95 % gegen den Zusammenschluss mit Münster stimmten. Geholfen hat’s allerdings nicht. Als Rechtsnachfolgerin der nun politisch bedeutungslosen Umlandgemeinden übernahm Münster über hundert Bauvorhaben, die in den Vororten gerade anhängig waren. Das hatte ungeahnte Folgen: In Hiltrup, Amelsbüren, Roxel und Handorf waren die Bürgermeister so clever gewesen, schnell noch Schwimmbäder bauen zu lassen, die man alleine nicht hätte finanzieren können und auf deren Betriebskosten nun die Stadt Münster hängenbleiben sollte. Spätfolge nach über dreißig Jahren: Die Schließung dreier Bäder im »Rödl«-Sparstreit – späte »Rache« der Umlandgemeinden für den Verlust ihrer Selbstständigkeit …
Neu: Jetzt 400 % mehr Münster! Hier die alten Wappen der eingemeindeten Vororte Sprakel, Nienberge, Amelsbüren, Hiltrup, Handorf, Wolbeck.
In dieser Woche im Jahr 1953 …
… beschloss die Stadt die Pläne für das neue Theater.
Vor dem Krieg war das Stadttheater im Adelshof der Familie Romberg. Deren berühmtester Spross Gisbert wurde als »toller Bomberg« berüchtigt. Im alten Theater startete Theo Lingen seine Karriere als Komiker, bevor er in Berlin Bertolt Brecht die Frau ausspannte …
Die Bomben ließen vom Theater nur noch die Fassade übrig. Ein neuer Bau musste her. Münsters städtischer Oberbaurat griff selbst zum Lineal und entwarf einen Plan, der aber nicht verwirklicht wurde. 1952 schrieb die Stadt einen Wettbewerb aus, an dem sich sogar der Bühnenbildner des Theaters als Hobbyarchitekt beteiligte. Auch Baurat Scharf reichte seinen alten Plan mit einer Längsachse entlang der Voßgasse wieder ein. Der Rat konnte sich jedoch auf keinen Entwurf einigen. Also wurde die Frist für die Einsendung verlängert. Am 16.1.1953 erteilte die Stadt dem Plan des Architektenteams Deilmann, von Hausen, Rave und Ruhnau den Zuschlag. Die Fachwelt war begeistert – Münster entsetzt! Während der Architekt des New Yorker UN-Gebäudes den futuristischen Bau als »das schönste Theater der Welt« lobte, fanden viele Münsteraner das Objekt »total Picasso!«. Der Name Picasso galt den Westfalen als Synonym für das Abstrakte schlechthin, sodass er gleichzeitig als passendes Adjektiv dienen konnte. Klar, dass die Stahlskulptur an der Seite des neuen Theaters im Volksmund den Namen »Picasso-Blitz«