Münster - Jede Woche hat ihre Geschichten. Carsten Krystofiak

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kam er wegen kirchlicher Umtriebe sogar in »Schutzhaft«. Aus der NSDAP, in die er aus beruflichen Gründen eingetreten war, warf man ihn hinaus. Als seine Schwägerin dem Mordprogramm an Kranken zum Opfer fällt, beschließt er, das System von innen zu bekämpfen. Gerstein meldet sich zur SS und kommt als Techniker zum Hygieneinstitut, das sich mit Desinfektion beschäftigt. Im Sommer ’42 bekommt er den Auftrag, 250 Kilo des Blausäuregifts Zyklon-B zu bestellen und nach Belżec in Polen zu bringen. Dort erlebt er die erste Vergasung an über 5.000 Menschen. Gerstein schreibt ein genaues Gedächtnisprotokoll und gibt es einem Sekretär der schwedischen Botschaft. Stundenlang bekniet er den Schweden, die Welt über die Vergasungen zu informieren. Der Sekretär gibt die Aufzeichnungen an seine Botschaft weiter, wo sie allerdings in der Schublade bleiben. In Berlin versucht Gerstein nun, den Nuntius des Papstes zu treffen. Doch der empfängt ihn nicht. Nun versucht der Münsteraner, die Todesmaschinerie aufzuhalten: Er unterschlägt Zyklon-B-Lieferungen, lässt Transporte fehllaufen. Ausrichten kann er nichts. 1945 stellt er sich den Franzosen, um seine Berichte den Kriegsverbrechertribunalen zur Verfügung zu stellen. Stattdessen wird er selbst als Kriegsverbrecher behandelt und erhängt sich in der Haft. Martin Niemöller und Ignatz Bubis setzten sich für seine Rehabilitierung ein.

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      Als »Geheimagent Gottes« in der SS-Mordfabrik: Kurt Gerstein dokumentierte die NS-Verbrechen, aber niemand wollte davon wissen.

      In dieser Woche im Jahr 1988 …

      … begann im Klarastift das Ende der Gutsherrenpolitik.

      Leider baute die Stadt die Altenwohnanlage Klarastift 1957 in einer Tonkuhle, die ständig voll Wasser lief. Das Problem war bekannt. Trotzdem plante das Hochbauamt 1977 einen Neubau, der von vornherein Pfusch war. Darum zögerte Oberstadtdirektor Hermann Fechtrup die Bauabnahme, mit der die Gewährleistungsfrist beginnt, über ein Jahr hinaus. Die Senioren in ihren feuchten Wohnungen wurden hingehalten; der Fall offiziell vertuscht. Doch in dem Altenheim wohnte ein pensionierter Baurat, der alle Mängel dokumentierte. Er spielte die Akten einem SPD-Ratsherrn zu. Ein Gutachten wurde erstellt. Ergebnis: Sanierungskosten von 6 Millionen DM – 40 % der Bausumme! Die CDU hielt das Gutachten unter Verschluss, niemand sollte davon erfahren. Selbst vor dem Stadtrat wurde es geheim gehalten. Das Gerichtsverfahren wurde überraschend eingestellt. Stattdessen einigte sich die Stadt plötzlich mit den Baufirmen auf lächerliche 274.000! Dieser Vergleich hätte im Rat abgestimmt werden müssen. Aber Fechtrup erklärte, mehr sei eben nicht zu holen gewesen. Als die SPD Akteneinsicht verlangte, waren Teile daraus entfernt worden. Schließlich konnte die CDU eine Untersuchung nicht mehr verhindern. Aber die Kommission führte die CDU selbst! Alles verlief im Sand. »DIE ZEIT« machte 1988 den Fall publik: »Normalerweise funktioniert das Geben und Nehmen in Münster diskret. Die Herrschaft teilen sich Wirtschaft, Verwaltung und CDU.« Der Generationswechsel im Rat läutete jedoch zu dieser Zeit das Ende der Gutsherrenpolitik in Münster ein. Seitdem muss auch die CDU wieder um Münsters Wähler werben …

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      Für seine Rolle im Pfusch-Skandal um das feuchte Klarastift kam Oberstadtdirektor Fechtrup nicht mal vors Karnevalsgericht …

      In dieser Woche im Jahr 1848 …

      … war auch in Münster »Märzrevolution«.

      Anfang März 1848 wagten liberale Demokraten die Revolution gegen Fürsten & Feudalismus. In Berlin verteidigten Studenten unter den Farben der Uniformen aus den Befreiungskriegen – Schwarz-Rot-Gold – Straßenbarrikaden gegen schießendes Militär. Auch in Münster kam es zu Steinwürfen auf preußische Soldaten; dem Oberbürgermeister wurden die Scheiben eingeworfen. Um weiteres Chaos zu verhindern, stellte man eine revolutionäre Bürgerwehr auf. Trotz 1.650 Mann Stärke war ihr kämpferischer Wert eher mager: Der Lambertipfarrer spottete: »Ein drolliges Corps! Sie beziehen Posten und schlafen ein!« Der Westfälische Merkur (heute WN) bemühte sich, ein düsteres Bild von Anarchie auszumalen. Das wirkte: Die liberalen Bürger bekamen Angst vor ihrer eigenen Courage und dienten sich schnell wieder der alten Obrigkeit an. Bei der Wahl zur ersten deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche stimmten die Münsteraner dann auch tatsächlich für ihren Bischof als Delegierten! Durch überzogene Repressionen bekamen die Demokraten dann aber doch noch Aufwind: Nach der Verhaftung von 14 Bürgern, kam es zu einer Massenschlägerei zwischen Münsteranern und Militär. Aber zu spät: Fürst Metternichs Reaktion rollte die Revolution zurück. Auch in Münster hieß das bis auf weiteres: Dreiklassenwahlrecht, verschärfte Pressezensur und Aus für die demokratische Meinungsfreiheit.

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      »Gegen Demokraten helfen nur Soldaten«, rappte Preußens König. Gegen diese nicht so leicht, aber gegen Münsters Biedermeier-Bürgerwehr allemal!

      In dieser Woche im Jahr 1993 …

      … verlor Münster seine geliebte Postleitzahl.

      Bis Ende des Zweiten Weltkrieges war Münsters Postleitzahl 21a. Dann wurde das System in den drei Westzonen neu organisiert. 1962 wurden schließlich vierstellige Postleitzahlen eingeführt. Nur große Städte bekamen eine zweistellige Zahl plus zwei Nullen. Münster erhielt die 4400, verkürzt 44. Darauf waren die Münsteraner unendlich stolz, denn es war Balsam für ihren Provinzkomplex, somit offiziell in die Reihe großer Städte wie Dortmund, Bremen oder der damaligen Bundeshauptstadt Bonn zu gehören. Vierundvierzig Münster war eine Marke mit großer Beliebtheit und die Bürger hielten sie in Ehren. Doch dann brauten sich dunkle Wolken über Münsters Großstadtbewusstsein zusammen: In die Freude über die Wiedervereinigung mischte sich bald Unheil. Eine bekloppte Reklamefigur namens »Rolf« warb plötzlich für neue, fünfstellige Postleitzahlen. Grund: In der ehemaligen DDR gab es identische PLZ-Bezirke; ausgerechnet das berüchtigte Industrie-Dreckloch Bitterfeld trug »drüben« ebenfalls die 4400. Weil man kein Provisorium wollte (wie die vorgeschlagene Beibehaltung der Zahlen mit dem Zusatz auf W bzw. O für West und Ost), wurden die Zahlen wieder neu gemischt. Mit den fünfstelligen Postleitzahlen gab es erstmals verschiedene PLZ in einer Stadt.

      Die Münsteraner traf es dreifach hart: Erstens verloren sie ihre großstädtische Zweistelligkeit, zweitens mussten sie ihre teure 44 an Dortmund abtreten (was irgendwie wie eine Degradierung empfunden wurde), aber der Gipfel der Demütigung war, dass Münster ausgerechnet die 48 zugewiesen bekam – die ehemalige PLZ von Bielefeld!!

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      Fehlte in keiner Werbung: Die Postleitzahl 4400 Münster – das klang nach Großstadt und Metropole; Balsam für den Provinzkomplex.

      In dieser Woche im Jahr 1983 …

      … sprach der BGH Ludwig Poullain frei.

      In den 1960ern kam Ludwig Poullain aus dem Bergischen Land nach Münster, wurde Generaldirektor der Westfälischen Landesbank und vereinigte sie mit der Rheinischen Provinzialbank zur WestLB. Zudem wurde er Präsident des Sparkassenverbandes. Der Neue heizte den gemütlichen Sparkassen-Onkels kräftig ein und machte die Provinzbank zu einem international erfolgreichen Unternehmen. Damit zog er sich zuhause den Hass von Gewerkschaftern und Lokalpolitikern zu, die sich beide in ihrer traditionellen Folklore gestört fühlten. Bei den Münsteranern war Poullain sowieso unten durch, seit er indirekt (als Geldgeber) an der Aufstellung der ersten modernen Skulptur im öffentlichen Raum »schuld« war und auch noch sein futuristisches Bankgebäude auf dem Boden des alten Zoos errichtete, den die Münsteraner so liebten. Aber Poullain war auch nicht feige vor mächtigeren Feinden als den Münsteranern: So geißelte er genüsslich in aller Öffentlichkeit

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