Reise in die Verlorengegangenheit. Gundolf S. Freyermuth

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Reise in die Verlorengegangenheit - Gundolf S. Freyermuth

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style="font-size:15px;">      Trotz deutlicher Warnungen aus dem Ausland mehren sich die Zeichen für ein bevorstehendes Verbot. Der Kommentator des Berliner Tageblatt, der ausführlich darlegt, dass nach der bestehenden Rechtslage die Zensur nicht eingreifen dürfte, befürchtet: »Wenn die Mannen und Jungens des Herrn Dr. Goebbels in diesem einen Fall ihre destruktiven Ziele erreichen, werden sie bald einen zweiten, dritten und zehnten Fall konstruieren ...«37

      Angesichts des NS-Terrors entwickelt sich die Entscheidung über den Antikriegsfilm zu einer prinzipiellen Frage, zu einem Exempel. Die weitreichenden Folgen der möglichen Indizierung des kritischen Unterhaltungswerks, das unter anderen politischen Umständen nur ein gutes oder schlechtes Geschäft gewesen wäre, erkennen die Zeitgenossen durchaus. Theodor Wolff, einflussreicher Chefredakteur des Berliner Tageblatt und Emigrant in spe, wird die Verschwörung des Staates gegen seine eigenen Gesetze und Grundsätze, die sich im Dezember 1930 vor aller Augen abspielt, an ihrem Ende mit der Dreyfus-Affäre vergleichen: Beide Fälle waren, schreibt er bereits am Sonntag nach der Entscheidung, ein »Prüfstein für die moralischen und geistigen Zustände in einem Staat, für die Kraft oder die Schwäche des Rechtsempfindens und des Wahrheitssinnes und für den Charakter der Regierenden«38.

      Wie er empfinden damals nicht viele. »Die Unterschätzung der Gefahr, die da mit täglich wachsender Gewalt herauf kam, in allen Kreisen des Bürgertums, die Juden nicht ausgenommen, war erschreckend und deprimierte mich tief«,39 erinnert sich der Verleger Gottfried Bermann Fischer. »Das liberale Bürgertum hatte nichts Positives mehr vorzubringen und zeigte sich hilflos gegenüber der mächtigen, mit Fanfaren und Standarten vorwärtsstürmenden Propaganda der Gegenseite, die den Massen das Blaue vom Himmel versprach.«40 Carl Zuckmayer, der sich bis dahin allen politischen Organisationen ferngehalten hatte, entschließt sich nun zum Engagement: »Zu wenig und zu spät, so scheint es mir, war auch das was wir, die deutschen Intellektuellen dieser Zeit, versucht haben.« Sein erster Schritt: Er spricht »in einer großen Versammlung im ›Preußischen Herrenhaus‹ gegen die politische Zwangszensur«.

      Am Donnerstag erobert dann die Entscheidung der Oberprüfstelle die Titelseiten der Berliner Tageszeitungen. »Filmverbot - Terrorsieg!« lautet die Schlagzeile des Vorwärts. Und der Leitartikler des Berliner Tageblatt resümiert resignierend: »Das Verbot des Films ›Im Westen nichts Neues‹ ist nicht auf Grund des Gesetzes erfolgt. Es ist auf Kommando der Straße ergangen ...41 Auch diese Affäre, die längst aus dem Kinobereich in das Gebiet der großen, inneren Politik hinübergegriffen hat, zeigt wieder mit erschreckender Deutlichkeit, dass die einzige Gefahr, die Deutschland bedroht, nicht das nationalsozialistische Wachstum und Maulheldentum ist, sondern die Schlappheit, Nachgiebigkeit und Bedenklichkeit des sogenannten ›Bürgertums‹.«42

      Um die Niederlage der Republik aufzuhalten, die sich im Triumph der NS-Gewalt abzeichnete, fordert der Pazifist Carl von Ossietzky jetzt aktiven Widerstand: »Die liberale Feigheit, die sich selbst für Vernunft halten möchte, hat ausgelitten. Der Faschismus ist nur auf der Straße zu schlagen. Gegen die nationalsozialistische Gesindelpartei gibt es nur die Logik des dickern Knüppels, zu ihrer Zähmung nur eine Pädagogik: A une corsaire - corsaire et demi!«43

      Doch der Kampf geht nicht auf der Straße weiter, er schleppt sich ein Vierteljahr im Parlament dahin und wird dort verloren.

      »Der Kinoabend war eine tolle Sache«, sagt Paul Kohner. »Aber genauso unglaublich waren die Verhandlungen im Reichstag. Ich konnte es kaum mitansehen.«

      Den Antrag auf Freigabe des Films, den die KPD schließlich in ungewohnter Allianz mit Hollywood einbringt, stimmen die »demokratischen« Parteien, SPD eingeschlossen, im März 1931 nieder.44 »Im Westen nichts Neues« bleibt sinnigerweise im Inland verboten, weil er »das deutsche Ansehen im Ausland gefährde«.

      Dort jedoch läuft das pazifistische Meisterwerk, für das Paul Kohner auch insofern die Verantwortung trägt, als er Erich Maria Remarque bei Carl Laemmle in Hollywood einführte und die Verfilmung anregte, seit sechs Monaten unbeanstandet und spielt Millionen ein. Seine ästhetischen Qualitäten, die mancher deutsche Kritiker gering schätzte, werden überraschend einhellig gepriesen, selbst Eisenstein hält Milestones Werk für »eine gute Doktorarbeit«,45 und die Academy of Motion Picture Arts verleiht ihm den Oscar als bestem Film des Jahres.

      Wie weit die symbolische Bedeutung des nationalsozialistischen Triumphes reichen wird, hat geradezu prophetisch ein Kommentator des Vorwärts bereits am Tag des Verbots beschworen: Er erkennt den Beginn eines »Entscheidungskampfs«, »dessen Ausgang das Schicksal des deutschen Volkes für lange Zeit, vielleicht für Jahrzehnte bestimmen wird«46.

      In den folgenden Wochen nimmt der Straßenterror der Nazis dramatisch zu. Christopher Isherwood, der Anfang Dezember 1930 in die Nollendorfstraße gezogen ist, beobachtet, dass zu den Opfern der Gewalt nicht nur politische Gegner gehören, die unter den Augen der Polizei malträtiert werden, sondern beliebige Passanten, die von Geburt an mit einer zu großen Nase und zu dunklen Haaren bedacht sind. Auch der gezielte Terror gegen prominente Künstler und Intellektuelle beginnt, ohne dass der Staat Schutz bieten würde.

      »Hör zu, du jüdisches Schwein, morgen nacht werden wir kommen und dich und deine Brut abschlachten!«

      Anrufe wie dieser gehen nicht nur bei George Grosz regelmäßig ein. Eine Freundin erinnert sich an seine Reaktion:

      »Ja, kommt nur«, brüllt Grosz in den Hörer. »Ich habe zwei Pistolen, meine Frau hat auch zwei, und mein Freund Uli hat einen Spazierstock mit einem Bajonett! Wir werden euch schon zeigen, was ein Haken ist.«47

      Ungeachtet dieser Antwort ist sich der Künstler bewusst, dass er auf verlorenem Posten kämpft. »Ich war natürlich kein unschuldiges Kindlein und wusste, wie es um Deutschland bestellt war«, schreibt er in seinen Memoiren. »Es war deutlich wie der Fußboden Risse bekam, wie diese und jene Wand zu wackeln begann ... Es war wie vor der Premiere eines großen Dramas oder wie vor dem Beginn einer Schlacht. Man räusperte sich überall und sah immer wieder nervös nach der Uhr, denn in der Zeitung stand täglich, es sei nun ganz kurz vor zwölf.«48

      Wie Erich Maria Remarque und Albert Einstein, wie Max Ernst, Oskar Kokoschka49 und andere politisch besonders exponierte Personen zieht George Grosz es verständlicherweise vor, die fünfundzwanzig Monate, die der Republik noch bleiben, zu einem Großteil im Ausland zu verbringen.

      Das Exil vor dem Exil beginnt.

       4

      Hitler im Seehundfell • »Eines Morgens, eine ganze Weile vor der Machtübernahme«, erzählt Paul Kohner, während die Klimaanlage in seinem Büro summt und über die Hitze des kalifornischen Mittags einen kühlen Luftzug legt, »kam mein Berliner Produktionsleiter zu mir, am Revers so ein Abzeichen. Sag' ich: ›Hoffmann, Sie sind Mitglied der Partei?‹ Sagt er: ›Heil Hitler!‹ Sag' ich: ›Herr Hoffmann, jetzt marschieren Sie mal aus meinem Zimmer heraus und gleich weiter aus diesem Büro. Sie sind entlassen.‹«

      Kohner lehnt sich in den Polstern der Besucherecke zurück und winkt mit einer resignierten Geste ab, die sagen will: Machen musste ich's, aber geholfen hat's eh nichts.

      Mit jedem Monat, den Paul Kohner in Berlin arbeitete, mehrten sich die Anzeichen des heraufziehenden Unheils. Die Serie wichtiger Urnengänge im Frühjahr und Sommer 1932 - die Wahl des Reichspräsidenten, die preußische Landtagswahl, zwei Reichstagswahlen - heizten das Klima an.

      »Die Hauptschlachtfelder waren Bierstuben, die verräucherten kleinen Kneipen der Arbeiterviertel«, erinnert sich Arthur Koestler. »Das falsche Lokal betreten hieß in die feindlichen

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