Reise in die Verlorengegangenheit. Gundolf S. Freyermuth

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Reise in die Verlorengegangenheit - Gundolf S. Freyermuth

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die noch in den zwanziger Jahren Schriftsteller wie Ernest Hemingway, F. Scott Fitzgerald oder Henry Miller ins Pariser »Exil« geführt hatten.

      Die Aufnahme, die man der europäischen Elite in Amerika bereitete, schildert Tom Wolfe in seiner Tirade gegen das Bauhaus ironisch als triumphalen Einzug »weißer Götter«; ihrer Überlegenheit ergab sich die heimische Intelligenz, geplagt vom Kolonialkomplex, wehr- und willenlos: die Architektur wie die Malerei, die »ernste« Musik wie die Wissenschaften in toto, deren Prägung durch das Exil in einzelnen Disziplinen bis heute zu spüren ist.64

      Nicht minder groß wurde der Einfluss der Flüchtlinge auf die populäre US-Kultur, wobei hier jedoch nicht die Betonung des ganz Anderen, sondern eine Assimilation den Erfolg ausmachte, die es manchem der Ankömmlinge erlaubte, wohl ausgestattet mit europäischen Erfahrungen, »amerikanischer« zu produzieren, als born citizens selbst es vermochten. Zur Dominanz Hollywoods trugen Emigranten ebenso bei wie dazu, dass der amerikanische Journalismus dem deutschen und französischen den Rang ablief; ein Beispiel ist der kometenhafte Aufstieg der 1936 gegründeten Illustrierten Life, nach dem Vorbild der Münchner und der Berliner Illustrierten konzipiert.

      Das Ende der kulturellen Vorherrschaft Europas war nur ein kleiner Teil seines Niedergangs als politisches und wirtschaftliches Zentrum. »Hitler sei der beste Handlanger des Triumphes der amerikanischen Kultur«, spottete Claire Goll, die den Faschismus in New York überlebte.65 Und prophetisch klagte Thomas Mann in seinem kalifornischen Exil, nach dem Krieg würden die Europäer nurmehr »Graeculi« sein, machtlos wie einst die gebildeten Griechen im römischen Weltreich.66

      Mitte der vierziger Jahre holte die Wirklichkeit diese Befürchtung ein: New York rückte unangefochten zur Finanzmetropole der westlichen Welt auf und auch zum Zentrum des Kunsthandels; Hollywood regierte unbestritten als kosmopolitische Filmhauptstadt; die US-Universitäten hatten sich in Kapitalen der Forschung verwandelt. In den USA und nicht länger in Europa lag von nun an das Zentrum des intellektuellen und künstlerischen Fortschritts - nicht nur, aber vor allem dank der Emigranten.

      Verloren haben durch den Naziterror im historischen Saldo daher nicht allein die Hitler-Flüchtlinge ihre Heimat. dass die Einbuße für die Nachfolgestaaten des Dritten Reiches zu einem großen Teil irreversibel blieb, zeigte sich mit jedem Nachkriegsjahr deutlicher. Gegangen war »eine Minorität, von deren Verlust wir uns nie erholt haben«, wie Hans Magnus Enzensberger noch in den achtziger Jahren feststellte.67 Seit ihrem Bestehen ist die Bundesrepublik, auch darin Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches, für die Barbarei der nationalsozialistischen Diktatur mit Enge und Rückständigkeit gestraft. Eine Tradition war zerstört, die sich nicht so umstandslos wieder instandsetzen ließ wie die zerbombten Innenstädte. Anders als nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs fehlten nach der Befreiung vom Naziregime zu viele Köpfe für einen auch intellektuellen Wiederaufbau.

      »Ein Ende fand«, schreibt der Historiker Horst Möller, »die zu kulturellen Leistungen von Rang führende deutsch-jüdische Symbiose, die in ihrer Größe und Eigenart unwiederbringlich ist. Verzögert wurde in nicht wenigen künstlerischen und wissenschaftlichen Disziplinen die Rezeption neuer Methoden, Ergebnisse und Stilformen - manchmal für nahezu zwanzig weitere Jahre -, und das konnte nicht ohne Wirkung auf die Entwicklung von Literatur, Kunst und Wissenschaft bleiben.«68

      Das Zerstörungswerk beschränkte sich zudem nicht auf den deutschen Sprachraum. So europäisch der Faschismus herrschte, so umfassend war auch der Schaden, den er hinterließ. Die Diktaturen von Franco und Salazar, die ihre Macht unmittelbar Mussolini und Hitler dankten, überlebten deren Untergang um ein Vierteljahrhundert. Eine weitere direkte Folge von Faschismus und Krieg war schließlich die Kasernierung des Ostens, die diesen Teil Europas für noch längere Zeit sowohl vom ökonomischen Fortschritt als auch von der Freiheit des kulturellen Lebens abschnitt. Gerade aus den Zerfallsgebieten der k.u.k.-Monarchie aber waren im ersten Drittel des Jahrhunderts entscheidende Impulse für das intellektuelle Leben in den mitteleuropäischen Metropolen gekommen.

      »Europa, womit ich den kulturellen Mittelpunkt der westlichen Moderne meine, wo auch immer ihre Künstler geografisch tatsächlich angesiedelt sein mögen, wurde in der Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Museum«, resümiert der Kulturwissenschaftler Ferenc Fehér in einem Abgesang auf den alten Kontinent: »›Europäische Kultur‹ ist weiterhin ein Teil von uns, sie strahlt mit dem Glanz vergangener Hochkulturen, aber sie ist ein Ausstellungsgegenstand, der vorgeführt wird, und repräsentiert keine kulturell vorwärtstreibende Kraft mehr. Die europäische Kultur hat zahlreiche Besucher, aber keine Nachfolger ...«69

      Denen, die es bei einem anderen Verlauf der Geschichte hätten werden sollen, blieben nach dem großen Exodus, in die Welt verstreut, nur Werke, die sich überlebten, und Überlebende, die dahinstarben.

       6

      Der Landvermesser • »Dear Paul, I hope you received my letter«, liest Gero Gandert: »Please Paul, I hope you will help me ... If you can't send me 20 Dollars, please, send me 15 ...«

      Gandert, ein dünner Mann Anfang Sechzig mit schütterem Haar, schüttelt den Kopf, während er den Brief zusammenfaltet und zurück in den Umschlag schiebt: »Dieser Hilferuf stammt von Lien Deyers, einer wunderbaren Ufa-Schauspielerin. Sie war eine so schöne Frau. Im Exil ist sie dem Alkohol verfallen und zugrunde gegangen.«

      Den Umschlag legt Gandert sorgfältig zurück in die gelbliche Briefmappe, und die Mappe verstaut er mit ruckigen Bewegungen in dem ungeordneten Papierwust des Umzugskartons.

      »Zuletzt hat man von ihr gehört, dass sie am Strand von Malibu Würmer an die Angler verkaufte ... Kein Mensch weiß, wie sie geendet hat, wo sie begraben liegt ...«

      Gandert wühlt suchend weiter in der Kiste und zieht eine andere Mappe heraus. »Oh, oh!« ruft er aus: »Dieser Brief stammt von einem Produktionsleiter der Universal. Sehen Sie mal ...«

      Er hält mir das angegilbte Stück Papier hin. Ich erkenne die Jahreszahl 1933. »Mit deutschem Gruß!« liest Gandert, mein Fährmann ins Totenreich. Seine Stimme klingt angewidert.

       Schwarz entströmte das Blut: und aus dem Erebos kamen / Viele Seelen herauf der abgeschiedenen Toten. / Jüngling‹ und Bräute kamen, und kummerbeladene Greise, / Und aufblühende Mädchen im jungen Grame verloren. / Viele kamen auch, von ehernen Lanzen verwundet, / Kriegerschlagene Männer, mit blutbesudelter Rüstung. / Dicht umdrängten sie alle von allen Seiten die Grube / Mit graunvollem Geschrei; und bleiches Entsetzen ergriff mich. 70

      Eine Szene aus Feuchtwangers Roman »Exil« schießt mir durch den Kopf: »Sind sie nicht«, heißt es da von zwei streitenden Berlin-Emigranten in Paris, »wie jene Schatten, welche Odysseus im Hades aufsucht? Sie treiben es fort dort unten, wie sie es als Lebende getrieben haben, und hassen und lieben einander wie damals.«71

      Draußen in dem weiten sonnigen Innenhof des Fabrikkomplexes an der Spandauer Streitstraße beenden die vier Arbeiter ihre Verschnaufpause. Während sie wieder Last auf Last in den blauen Transporter hieven, stehen wir im ersten Stock vor dem einzigen nicht verdunkelten Fenster und kramen in dem Schatz, den Gero Gandert aus dem Keller unter dem Sunset Boulevard nach Berlin gerettet hat.

      Wir blättern in Schmähschreiben, die Paul Kohner vor sechzig Jahren als »Jude mit amerikanischem Pass« erhielt, wir finden Vertragsentwürfe und Stapel von Telegrammen zu Projekten, von denen, wie in dieser Branche üblich, die meisten nie realisiert wurden, ein paar aber Filmgeschichte machten. Zwischen Eisenbahn- und Schiffstickets, zwischen Rechnungen von Luxushotels in Wien und Budapest, London und Paris, zwischen Zeitungsausschnitten und Speisekarten von Transatlantik-Dampfern stoßen wir auf Briefe von

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