Ich hätte König sein können. Helmut Sorge
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Für Ibtissams wirtschaftliches Wohlergehen ist vorgesorgt: Sie besitzt seit ihrem 18. Geburtstag ein Sparschwein der nicht alltäglichen Art, entworfen von der Londoner Luxusschmiede „Asprey“; überlebensgroß, massives Gold, der Kringelschwanz und die kleinen Augen mit Diamanten besetzt, per Kurier aus Antwerpen angelieferte Edelsteine. Ja, ein Schwein, das im Index des Korans ein teuflisches, ungenießbares Geschöpf ist. Aber, wie sagt ein deutsches Sprichwort? „Geld stinkt nicht.“ Das Schwein lagert übrigens in einem begehbaren Safe in einer italienischen Bank in Lugano.
Wir haben uns in Beirut kennengelernt. Die libanesische Hauptstadt wurde damals als das „Paris des Nahen Ostens“ gefeiert und in Reise- wie Modemagazinen verherrlicht: elegant, verführerisch, sexy, chic. Ich habe an der „American University“ Professoren und in den Flüchtlingslagern der Palästinenser Führer der Widerstandsgruppen über den ewigen Konflikt befragt, George Habash etwa. Der Linke war überzeugt, die Befreiung Palästinas müsse zeitgleich mit dem Sturz der arabischen Monarchien erreicht werden. Er war, welch Wunder, nicht eben beliebt bei den Saudis und Kuweitis oder beim, mir persönlich bekannten, Emir von Katar, der nach einem Familienputsch seine Rente in London verprassen konnte. Ich traf Ibtissam in der Uni-Cafeteria. Die reizvolle Araberin ließ ihre Wut an einem Cola-Automaten aus, der weder ihr Getränk noch das Kleingeld herausgeben wollte. Sie beschädigte dabei ihre italienischen Maßschuhe. Ihre Zerstörungswut war eine günstige Gelegenheit für mich, ihr Herz zu gewinnen, zumindest ihre Aufmerksamkeit. Ich zwang, obgleich handwerklich begrenzt fähig, die Münzen aus dem Automaten. Ibtissam ließ ihre Zähne blitzen, an sich schon eine Form von Edelsteinen, und diese Schönheit entfernte mich vorübergehend von Analysen über böse, bärtige, radikale Rebellen.
Wir tanzten, Ibtissam, die ewig widerspenstige Verführerin, und ich, in der „Cave du roi“, einer Disco, in der auch Lufthansa-Stewardessen mit ihren Piloten auf Tuchfühlung gingen, weil es im Cockpit nun wirklich zu eng war. Die Crew war im „Excelsior“ einquartiert, so wie ich, zwei Etagen über der Disco. Ein strategisch perfekt gelegenes Zimmer. Wir trafen uns zum Tee im edlen Hotel „Saint Georges“, mit Blick auf das Mittelmeer und die Berge, die der Schnee sahnespitzchengleich dekorierte.
Ich habe kein Foto aus dieser romantischen Zeit. Lediglich ein mit dem dunkelblauen Hotelschriftzug bedrucktes Badetuch, in das sich Ibtissam einrollte, sobald sie nach dem Bad im Mittelmeer ihren Bikini auszog. Erfolglos bot ich an, ihr den Rücken zu trocknen.
Eines Tages, das edle Hotel war inzwischen unter Bomben zerfallen, stand die Schönheit plötzlich wieder vor mir, wie ein pittoresker Geist der Vergangenheit – Place Dauphine, Paris, meinem damaligen Wohnort.
Kasino, Erbschaft oder Banküberfall?
Ihre Suite im ausverkauften Plaza Athenée, erklärte mir die eben in die Seine-Metropole angereiste Ibtissam am Telefon, sei wegen einer Fehlbuchung eine Nacht besetzt. Paris sei ausgebucht, wohl wegen einer Agrarmesse. Sie wäre dankbar für eine Unterbringung in meiner Gäste-Suite. Tatsächlich entsprach meine Wohnung der Größe des begehbaren Kleiderschrankes ihrer Familienvilla am Genfer See. Kein 400 Quadratmeter-Penthouse wie das ihres Vaters in Monte Carlo, Larvotto-Viertel. 60.000 Euro plus pro Quadratmeter. Freundschaftspreis. Ihre Schuhe hätten nicht in meine Küche gepasst, selbst bei Nutzung der Gefrierfächer in meinem Eisschrank und der Grillplatte im Gasofen. Ich wusste, dass sie stets mit ausgiebig Gepäck reiste. Ihre Familie hatte sich deshalb, auf unbegrenzte Zeit, 2.500 Dollar die Nacht, in einem Luxushotel auf Manhattan eine Suite zur Garderobe umfunktionieren lassen – für den Fall eines spontanen New York Besuchs.
Weil Ibtissam Bekleidung für zehn Tage in Paris eingeplant hatte, schleppte ich neun Louis Vuitton-Koffer über die schiefen Holztreppen des denkmalgeschützten Hauses, das in den 222 Jahren seit des Richtfestes nie eine derartige Invasion verkraften musste. Die noblen Gepäckstücke füllten mein Wohnzimmer und bedeckten meine eingetopfte Palme wie ein Pharaonengrab.
Ich hatte eben in Ibtissams nahezu schwarze, melancholische Augen geblickt, wahrscheinlich um mich physisch und psychisch wieder aufzurichten, als Polizeisirenen ertönten, begleitet von einem unromantischen Hupkonzert. Meine Besucherin hatte ihr Auto mitten auf der Straße vor der Tür stehen lassen, einer Einbahnstraße. Sie reichte mir den Schlüssel für ihr Fahrzeug und ich eilte vor die Tür, wo zwei Polizisten bereits notierten, was sie zu notieren hatten. Wahrscheinlich schrieben sie zu zweit, um sich bei der Fahrzeugnummer nicht zu vertun. Ich konnte nachvollziehen, warum sie mich verächtlich anblickten und erklärten, der Abschleppwagen sei unterwegs, um das Verkehrshindernis aus dem Weg zu räumen. Der reine Neid, wirklich! Ibtissam fuhr einen gelblackierten Aston Martin Volante, ein Cabriolet mit V8-Motor, der in wenigen Sekunden auf 100 war, so wie sie selbst, wenn ihr widersprochen wurde. „Das Ding“, so Ibtissam, war ein Geschenk ihres Vaters zum „Valentine’s Day“, dem von US-Supermarkt- und Warenhausketten sowie singenden Glückwunschkarten-Herstellern erfundenen Tag der Liebenden. Weil Ibtissam solo war, hatte Papa die Gefühlslücke ausgefüllt. Der Tacho des Dingsda registrierte ich erst später, zeigte wenig mehr als 1.000 Kilometer, in etwa die Entfernung von Monaco nach Paris. Die Flics beharrten auf ein Strafmandat, obwohl ich das noble Gefährt bereits in der Tiefgarage unter dem Platz in Sicherheit gebracht hatte. Der mir bekannte Parkwächter, an mein maßvolles, hellblaues VW-Cabrio, Jahrgang 72 gewöhnt, reagierte ohne Enthusiasmus: „Für Kratzer an diesem Schlitten bin ich nicht verantwortlich.“ Dann überkam ihn jedoch eine zurückhaltende Neugier: „Kasino, Erbschaft oder Banküberfall?“ Der Franzose bewies Humor, im Gegensatz zur Mehrheit seiner Landsleute, die Witz gelegentlich mit Schadenfreude verwechseln.
Das Strafmandat irritierte Ibtissam natürlich nicht.Derartige Lapalien erledigte der Anwalt ihres Vaters. Der musste auch den Hautarzt honorieren, den Ibtissam morgens um vier im Hotel antreten ließ. Ein Pickel hatte sie irritiert, in der Größe eines Stecknadelkopfes. Es war wohl gegen zwei Uhr morgens, als ich mich damit abgefunden hatte, auf meinem ledernen, kalten Chesterfield-Sofa zu schlafen und ihr mein gänsedaunenumhülltes Bett zu überlassen. Ich war erschöpft, denn nicht täglich schleppte ich neun Koffer und ein Beauty Case, geräumig genug, um als Kofferersatz für eine Kreuzfahrt auf der „Queen Elizabeth II“ zu dienen.
Ein echter Freund würde Kaviar herbeizaubern
Mein allerliebster Gast freilich spürte keine Müdigkeit. Stattdessen reklamierte die schöne Araberin ihr Dinner, und sie war, natürlich, mit einem Yoghurt, der sein Verfallsdatum bereits überschritten hatte, nicht zu beruhigen.
„Ein echter Freund“, erklärte sie, offensichtlich ein Profi psychologischer Kriegsführung, „würde jetzt Kaviar herbeizaubern, irgendwo in dieser Stadt, die angeblich niemals schläft.“
Mir fiel das „Maison du Caviar“ unweit der Champs Elysées ein. Ich war aber sicher, dass der mir bekannte Mâitre mit seiner Geliebten, der dienstältesten Nackt-Tänzerin des „Crazy Horse Saloon“, 12. Saison, kein Lifting (behauptet er), seine Kaviarhalden längst in die Mega-Eisschränke geschoben hatte und nun im „Chien qui fume“ pokerte, einem Etablissement, in dem Kellner der Stadt ihre Trinkgelder verjubelten.
Ich ließ mich weder erpressen noch verwirren. Ich wusste seit früheren, abgewehrten Versuchen, dass Ibtissam mich aus Dank nicht einmal platonisch umarmen würde. Sie war eine religiöse