Ich hätte König sein können. Helmut Sorge
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ich hätte König sein können - Helmut Sorge страница 4
Nach diesem Vorschlag ließ sie sich auf das weiche Daunenbett fallen und ich stellte mich darauf ein, dass sie nun weinen würde, sozusagen als letzte oder vorletzte Waffe dieser Art von Frau. Ich entdeckte, dass ihre Fußnägel rosarot bemalt waren und einen wunderbaren Kontrast zu ihrer leicht matt gefärbten Haut darstellten. Überdies bemerkte ich zwei himmlisch schöne, enthaarte, gewachste Beine, die sich in der Tabuzone verloren. Mein Blick war rein zufälliger Natur. Ich schwöre es beim Barte des Propheten. Friede sei mit ihm.
Sie sei noch nie in den Küchen ihrer elterlichen Besitzungen gewesen, verriet mir meine Freundin, die dennoch keine Magersucht erkennen ließ. Auf meinen wirklich dummen Einwand, „dann hast du sicher noch nie in deinem Leben ungekochte Spaghetti gesehen“, blickte sie mich mitleidig mit ihren von der Weite der Wüste gezeichneten Augen an: „Nein, muss man das, um als intelligent zu gelten?“
Ich war bass erstaunt, denn in Beirut war die Studentin Ibtissam weltoffen, bereit über Literatur zu reden, zumal sie Kunstgeschichte studierte. Sie kannte sich sogar mit Mozart aus und wusste, dass der kein Mohamedaner war. Sie schätzte das „Posthorn“ und die Serenade Nr. 9, weil traditionelle arabische Musiker auf ähnlichen Hörnern blasen wie die Postkutschen-Fahrer seinerzeit. Selbst ihre Fähigkeit Spaghetti kochen zu können, hätte ich nie bezweifelt. Und nun das. Wir nudelten nicht, sondern stritten um die Härte eines Lebensmittels. Womöglich hatte sie in Paris ohnehin der Kulturschock getroffen. So manches stürzte in den ersten Stunden auf sie ein, nicht nur die Diskussion um Küchendienst und ungekochte Nudeln.
In ihrer Heimat wandeln Männer, ein Beispiel nur, in brüderlicher Gemeinsamkeit Hand in Hand durch die Medina-Gassen. Normalität. Männer im sanften oder satten Kuss vereint, wie am folgenden Morgen auf dem Pariser „Pont des Arts“, das war für sie wirklich zu vermessen. Sie zog am Ärmel meiner weißen Leinenjacke und wollte, zwischen Empörung und Verwirrung, wissen: „Was machen die denn da?“
„Die küssen sich. Zumindest sieht das aus der Entfernung so aus. Was sonst? Zahnärztliche Helfer bei der dentalen Hygiene?“
Unser Spaziergang, der uns auch durch das ehedem jüdische Viertel, dem Marais, führte, wo homosexueller Herdentrieb die einsamen Männer auf die Weiden ihrer Sehnsucht treibt, verstärkte fraglos ihre Zweifel an den Werten der westlichen Kultur. Orthodoxe Juden in schwerem, schwarzem Tuch, crepe- oder gummibesohlten Schuhen und überlangen Locken wanderten an den Schwulen vorbei. Die waren in Shorts gekleidet und hatten sich unübersehbar allesamt auf militärkurze Frisuren, ärmellose T-Shirts und klobige Schnürstiefel in beige, Marke „Timberland“, geeinigt.
Schleier weg, runter mit dem Tuch
Die Juden nickten und schwiegen, die Schwulen warfen den Langgelockten Handküsschen nach. Ibtissam war keine politische Eiferin, weder antisemitisch noch antiisraelisch eingestellt. Die öffentlichen Diskussionen über verhüllte muslimische Frauen nervten sie allerdings. „Warum wird eine Frau in eine Terroristenecke gestellt, weil sie aus religiöser Überzeugung am Strand oder im Shoppingcenter weder ihren Körper noch ihr Gesicht zeigen will?“, wollte sie im „Café Costes“ von mir wissen, und nahm versehentlich einen Schluck aus meinem Gin Tonic-Glas.
„In deinem Fall, bei solchen Beinen, wäre das Hochverrat“, erwiderte ich.
„Eine wirklich dämliche Bemerkung“, meinte sie und trank Perrier aus der Flasche, vermutlich um meinen Gin aus ihrem System zu spülen.
„Ja, Männergeschwätz“, räumte ich ein.
„Schleier weg! Runter mit dem Tuch! Das nennst Du Toleranz? Religionsfreiheit?“
Jawohl, da waren wir wieder im Nahostkonflikt. Verfangen in Emotionen. Bitte, bitte, nicht jetzt diese Debatte um Kopftücher oder Gesichtsschleier, nicht heute, später vielleicht, wenn alle Frauen der Welt den Musliminen nacheifern und Gesichtsmasken tragen, damit das Virus sie nicht beißt.
Ibtissams Parfum, ihre wallenden Mandelaugen, verwirrten und führten mich, immer wieder, an die Grenzen des Irrationalen, obwohl mir verführerische Schönheiten aus dem Morgenland über Jahre hinweg vertraut waren. Bei meinen ersten Flügen von Beirut nach Paris oder London fiel mir auf, dass sich die einheimischen Geschöpfe vor den Toiletten aufreihten, zwei Dutzend hintereinander, allesamt im keuschen Dschellabah, einer Mischung aus Kleid und Überhang. Wenige im Vollschleier. Ich konnte mir nicht erklären, warum der plötzliche Aufstieg auf 10.000, 12.000 Meter Flughöhe dem Augenschein nach dramatische Wirkungen auf das Verdauungssystem der weiblichen, arabischen Fluggäste hatte. War’s das gefilterte Wasser, die klimatisierte Luft? Nein, Dior, Balmain, Fath, Saint Laurent, später Gucci, Hermès, Versace, Chanel, Armani, Ralph Lauren, Lagerfeld. Die Ladies verließen die fliegenden Umkleidekabinen, als seien sie durch eine Zeitkapsel geschritten. Jäh war die Keuschheit, Gedanken an Nikab, Khimar, Burka, Vollschleier, Halbschleier, Sehschlitze oder ohne, Blickkontakt ja oder nein, Burkina oder Bikini, Versuchung oder Verführung, verdrängt: Körperbetonte Seidenkleider, hohe Absätze, mit denen sich die ersten Schritte nach den Sandalen als wackelig erwiesen, was bei den Bewegungen eines Flugzeuges nicht unbedingt auffiel.
Unberührte Unschuldslämmer
Die Busen ragten, teilweise, leicht angehoben aus den BHs und erfreuten sich an Licht und Freiheit. Die Schönheiten waren geschminkt und jene, die darauf verzichteten, weil das Licht auf den Toiletten oder fliegerische Turbulenzen keinen vernünftigen Lidstrich zuließen, bedeckten ihr Gesicht mit überdimensionalen Sonnenbrillen, deren Nasenbügel vergoldet waren.
Später, auf dem Rückflug, ein ähnliches Maskenfest. Vorbei die langen Nächte in Londons damaligen Edel-Discos „Annabelle’s“ oder „Tramp’s“, den Einkaufstouren in der Bond, Jermyn oder Kensington High Street, im Avantgarde-Kaufhaus „Biba’s“, oder bei „Harrod’s“. Die Wüstenkinder waren wieder unberührte Unschuldslämmer, eingehüllt in die Tücher der Keuschheit.
Ibtissam verlor sich nicht in der Heuchelei, der Komödie der Klamotten. Sie versuchte allerdings, das Ölumschwappte Emirat ihrer Familie zu meiden. Sie fürchtete, ihr Vater würde versuchen, sie gegen ihren Willen mit einem saudiarabischen Prinzen zu verkuppeln, solange der ein direkter Nachfahre des Herrschers war. Allein diese Vorstellung, hatte mir Ibtissam gebeichtet, sei für sie unvorstellbar – eingesperrt in einem Harem womöglich, ohne Freiheit, bewacht von Eunuchen oder Männern, die vorgaben es zu sein, begleitet von ihren aus Marokko oder den Philippinen importierten Dienerinnen beim Shopping.
Natürlich, offiziell sind Harem mit mehr als vier Ehefrauen, etwa in Marokko, Vergangenheit. Nur, wer wollte einem königlichen saudischen Abkömmling die diskrete Vielweiberei dieser Tage verbieten? Sie selbst würde reduziert werden auf den Rang einer diamantenbesetzten Gebärmaschine, von der ihr Mann, der Sohn des Königs, nur eines erwartete: Söhne. Nach einer Nacht voller Leidenschaft im Beduinenzelt würde er aufbrechen zur Falkenjagd oder mit dem Jet nach Monza düsen, zu Testfahrten mit dem neuesten Ferrari, von denen er sechs bestellte, davon fünf für seine Lieblingsbrüder.
Natürlich, das wusste sie, ein Leben mit drei weiteren Frauen, die sich den Prinzen, legal, teilen können, würde sich in einem Palast abspielen, der über Porsche SUVs verfügte, Maybachs, einige Dutzend restaurierter Oldtimer sowie aus Kentucky importierte Galopper, denen eine Klimaanlage im mahagoni-beschlagenen Stall das Wüstenleben erträglich machte.
Sicher, sie konnte sich ein Leben zu zweit durchaus vorstellen, mit Dienerinnen wie der mir bekannten sinnlichen, lieben Marokkanerin Attika, die auf Knopfdruck morgens um drei vor dem Bett stand, frischen Pfefferminztee servierte und Orangensaft, ohne diese irritierenden Fasern und Kerne. Mit Hummerschwänzen veredelte Omeletts, Zitronenpuffer, Mandel- und Marzipangebäck, unendliche Schokoladenmengen made in Switzerland, vor allem Pralinen.