500 Jahre Reformation: Bedeutung und Herausforderungen. Группа авторов

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bekommen, ihre Ansichten «mit wahrer göttlicher Schrift in deutscher Sprache» zu begründen. Ulrich Zwingli hatte seine Lehre in 67 Thesen gefasst, die zur Diskussion gestellt werden sollten.

      Der Ausgang der Disputation war eindeutig und das Urteil des Rats richtungsweisend: Da niemand Zwingli auf dieser Basis hatte widerlegen können, sollte dieser in seiner Verkündigung nun weiterfahren wie bisher. Und nicht nur er: Alle Pfarrer und Priester in Stadt und Land sollten von nun an nichts anderes predigen als das, was sie mit dem «heiligen Evangelium und sonst mit der rechten göttlichen Schrift beweisen» konnten.

      Es dauerte noch einige Zeit, bis sich die Reformation in Zürich endgültig durchgesetzt und etabliert hatte. Aber die Weichen waren damit gestellt. Der Zürcher Rat hatte die Zügel auf dem Feld von Kirche |89| und Religion in die Hände genommen, er hatte sich hinter den umstrittenen Prediger Ulrich Zwingli gestellt und er hatte das Evangelium, wie es allein in den biblischen Schriften zu finden ist (sola scriptura), als Kriterium anerkannt, an welchem auch die Christlichkeit der römischen Bischofskirche mit ihrem bisherigen Wahrheits- und geistlichen Machtanspruch im christlichen Europa gemessen werden sollte.

      Zwar wäre die Schweizer Reformation kaum denkbar gewesen ohne Luthers Auftreten und das reichsweite Echo, das es ausgelöst hatte. Der Zürcher Ratsentscheid vom Januar 1523 war dennoch in dieser Weise erstmalig und für die gesamte europäische Reformationsbewegung bahnbrechend. Ein nach damaligen Maßstäben souveränes politisches Gemeinwesen hatte im Grundsatz beschlossen, die Verkündigung des Evangeliums nach dem alleinigen Maßstab des «göttlichen Wortes» einzuführen, mit der unvermeidbaren Konsequenz, das eigene christlich-politische Gemeinwesen entsprechend zu «reformieren», ungeachtet aller kirchlich-religiösen Traditionen und reichspolitischen Drohgebärden. Vordenker dieses Geschehens war Ulrich Zwingli mit seinem eigenständigen theologischen Profil, an das die späteren «reformierten» Theologen direkt oder indirekt anknüpfen konnten. Dies gilt auch für Calvin, bei dem sich kaum ein theologischer Gedanke finden lässt, der nicht schon Jahre zuvor in der Schweizer Reformation geäußert und diskutiert worden wäre. Ebenso waren es Zürcher Impulse zur Gestaltung einer «gemäß dem Gotteswort reformierten» Kirche, die in die Reformationsbewegung einflossen. Man denke an das Mittel der öffentlichen Disputation zur Einführung der Reformation, das überall im Reich Nachahmung fand. Auch wenn es weit vom modernen Ideal einer gemeinsamen, herrschaftsfreien Suche nach der Wahrheit entfernt war, so gehört es doch grundsätzlich in diese Linie hinein und nicht in die Linie päpstlicher Erlasse oder landesfürstlicher Religionsdekrete. Zu denken ist aber auch an die theologischen «Hohen Schulen» und Akademien zur Ausbildung der Pfarrer unter Einschluss der humanistischen Bibelphilologie oder an die Einführung von Synoden, Pfarrkonventen oder Konsistorien als kirchliche Leitungsgremien und als Gegenmodell zu einer bischöflich-hierarchischen Leitungsstruktur.

      Ein wichtiger historischer Beitrag der Schweizer Reformation zur Reformationsbewegung besteht darin, dass sie als Wurzel des weltweiten reformierten Protestantismus wesentlich als Städtereformation oder Gemeindereformation entstanden ist. Das Bild der Wurzel soll zugleich andeuten: Schnell einmal entwickelte sich die Bewegung weiter, breitete |90| sich in viele Gebiete Europas aus, verschmolz verschiedentlich mit Impulsen und Traditionen der Wittenberger Reformation und nahm unterschiedliche theologische Färbungen und kirchliche Gestalten an. Anders als der lutherische Protestantismus, der bis heute seine Identität durch die bleibende – wenn auch faktisch sehr unterschiedlich interpretierte – Orientierung an seinem einen Gründervater sicherstellt, gehört es gerade zum Wesen und Selbstverständnis der aus dieser Wurzel stammenden Bewegung, dass sie sich nicht von einem einzelnen Reformator her definieren wollte. Später hat man dies allerdings oft doch getan und etwa den ursprünglich als Schimpfnamen verwendeten Titel des «Calvinismus» als Selbstbezeichnung übernommen. Das lässt sich geschichtlich erklären und hat dem «Calvinismus» vom 17. Jahrhundert an eine bestimmte «konfessionelle» Identität verliehen, allerdings auch mit problematischen Seiten und Konsequenzen. Man hat damit den historischen Reichtum und den theologischen Anspruch der aus der Schweizer Reformation hervorgegangenen Bewegung in problematischer Weise eingeschränkt.

      1.2 Die Schweizer Reformation als europäische Reformation

      Im zeitgenössischen Verständnis bestand die (reformierte) «Schweiz» geografisch im Wesentlichen im direkten Einflussgebiet der zwinglischen Reformation, markiert durch die Städte Zürich, Schaffhausen, Basel und Bern. Sehen wir uns allerdings die hier tätigen Reformatoren als die geistigen Träger der Bewegung genauer an, wird die Schweizer Reformation bald einmal zur europäischen Reformation. Schon Ulrich Zwingli selber war ursprünglich kein vollwertiger Eidgenosse. Er stammte aus dem Toggenburg, einem Gebiet, das sich der Eidgenossenschaft angeschlossen hatte, aber weniger politische Rechte besaß. Protokollführer der zweiten Zürcher Disputation war der spätere Täufermärtyrer Balthasar Hubmaier aus Friedberg bei Augsburg. Zwinglis Amtsnachfolger war Heinrich Bullinger, der in der «Gemeinen Herrschaft» Aargau aufgewachsen war. Zwinglis engster Kollege und Mitstreiter war Leo Jud, Pfarrer an der Zürcher Stadtkirche St. Peter. Leo Jud stammte aus dem Oberelsaß. Ebenfalls aus dem Elsass, aus Schlettstatt, stammte der erste Zürcher Pfarrer, der öffentlich heiratete, Wilhelm Reublin. Konrad Pellikan, der berühmte Hebraist und Lehrer für Altes Testament an der Zürcher Hohen Schule, stammte aus Rufnach, auch er ein Elsässer. Sein nicht weniger berühmter Kollege an der hohen theologischen Schule, Theodor Bibliander, war ursprünglich aus Bischofszell gekommen. Der hochberühmte Gelehrte Peter |91| Martyr Vermigli stammte aus Italien. Die Situation für Basel, Bern und Schaffhausen war bezüglich der Herkunft der prägenden Reformatoren nicht anders, und dies galt dann erst recht für Lausanne, Neuenburg und Genf, das nahezu vollständig von französischen Reformatoren geprägt wurde. Ein Grund dafür war die enge Verknüpfung der Schweizer Reformation mit dem Netz des europäischen Humanismus. Nicht zufällig hat sich der Katholik Erasmus gegen Ende seines Lebens Basel als Wohnort ausgesucht, und die Grabesrede für ihn hielt der aus dem katholischen Luzern stammende Reformator und frühere Mitstreiter Zwinglis Oswald Myconius.

      2. Zum theologischen Beitrag der Schweizer Reformation für die Reformationsbewegung

      Worin aber besteht der besondere theologische Beitrag der Schweizer Reformation zur Reformationsbewegung – wie er nicht nur Vergangenheit ist, sondern möglicherweise auch Potenzial und Bedeutung für deren Zukunft besitzt? Wir fragen hier also nicht theologiegeschichtlich, sondern versuchen, an das genannte charakteristische Merkmal der Schweizer Reformation anzuknüpfen und es für die heutige und künftige Reformationsbewegung fruchtbar zu machen. Dazu muss es zunächst noch etwas genauer entfaltet werden.

      2.1 Das Evangelium von der Versöhnung

      Inhalt des Evangeliums, wie es Zwingli an der ersten Zürcher Disputation vom Januar 1523 definiert hatte, ist nichts anderes als Christus selbst: In ihm werden Gottes Wille und Gottes Versöhnungstat für uns offenbar: «Summe des Evangeliums ist, dass unser Herr Christus Jesus, wahrer Gottessohn, uns den Willen seines himmlischen Vaters kundgetan und uns mit seiner Unschuld vom Tode erlöst und Gott versöhnt hat.»

      Nicht eine «neue Lehre» sollte hier vorgetragen werden. Letztlich ging es einzig um den Ruf, auf «Christus allein» (solus Christus) zu hören und sich ihm als dem Ort der Versöhnung mit Gott anzuvertrauen. Wenn man die Reformatoren als «Neugläubige» bezeichnet und den römisch-katholischen «Altgläubigen» gegenübergestellt hat, war dies Polemik oder beruhte auf einem Missverständnis. Die Schweizer Reformation wollte nichts anderes als eine Rückbesinnung auf die (ungetrübte) Quelle und Konzentration auf das Wesentliche und Grundlegende des gemeinchristlichen Glaubens sein. Die Schweizer Reformatoren verstanden sich |92| als Vertreter des «alten Glaubens», wie etwa Heinrich Bullinger ausdrücklich hervorgehoben hat. In diesem Grundanliegen der Reformation sahen sie sich vor allem mit den Wittenberger Reformatoren zutiefst verbunden. Und doch ist bei genauerem Hinsehen durchaus ein eigenes Schweizer Profil zu erkennen – das aber, jedenfalls aus Schweizer Sicht, niemals Grund zu einer innerprotestantischen

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