500 Jahre Reformation: Bedeutung und Herausforderungen. Группа авторов

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aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten».60 Wie die Rechtfertigung ist also auch der Glaube als ein trinitarisches Geschehen zu begreifen, das durch Vater, Sohn und Heiligen Geist bewirkt wird.

      Ebenso sagt es auch der Heidelberger Katechismus, die wichtigste Bekenntnisschrift der reformierten Kirchen, in der Antwort auf die 21. Frage, was wahrer Glaube sei: Glaube «ist nicht allein eine gewisse |84| Erkenntnis, dadurch ich alles für wahr halte, was uns Gott in seinem Wort offenbaret, sondern auch ein herzliches Vertrauen, welches der Heilige Geist durchs Evangelium in mir wirket, dass nicht allein andern, sondern auch mir Vergebung der Sünden, ewige Gerechtigkeit und Seligkeit von Gott geschenkt sei aus lauter Gnaden, allein um des Verdienstes Christi willen.»61

      Das Evangelium, von dem Luther und der Heidelberger Katechismus sprechen, ist, mit Paulus gesprochen, das kērygma Iēsu Christu (vgl. Röm 16, 25). Diese Formel beinhaltet gleichermaßen einen Genetivus objectivus wie einen Genetivus subjectivus. Es handelt sich beim Kerygma Jesu Christi also nicht nur um die Verkündigung, deren Inhalt Jesus Christus ist, sondern auch um die Verkündigung, deren Urheber und Subjekt Christus ist. Eben darum gehören Wort und Glaube nach reformatorischem Verständnis unmittelbar zusammen.

      Wo die Botschaft von Jesus Christus Aufnahme findet, wirkt Christus selbst. Mit Rudolf Bultmann gesprochen, beginnt das Christentum damit, dass der Verkündiger zum Verkündigten geworden ist. Dadurch, dass er verkündigt wird, spricht Christus selbst in die Gegenwart hinein.

      Im Neuen Testament wird Jesus von Nazareth als das Wort Gottes bezeichnet. Er ist freilich nicht mehr unmittelbar präsent, sondern nur mittelbar durch die christliche Verkündigung, paulinisch gesprochen: durch das Kerygma. Das Kerygma ist Wort des Glaubens, auch dies in der doppelten Bedeutung des Genetivs: Es bezeugt den Glauben an Jesus Christus und ist zugleich das Medium, welches den Glauben hervorruft. In der Botschaft (nicht im Bericht!) des Glaubens, in welcher der Glaube an Jesus als den Christus Gottes bekannt wird, kommt Gott selbst zur Sprache. Gott ist also diejenige Größe, welche die Botschaft des christlichen Glaubens als vermittels ihrer selbst Glauben provozierende und als solche in Erscheinung tretende zur Sprache bringt. Solchermaßen tritt Gott als Grund des Glaubens und damit als Grund aller Wirklichkeit in Erscheinung.

      Dass das «Wort des Glaubens» einerseits als Bekenntnis von Glauben, andererseits als Provokation zum Glauben zu verstehen ist, bedarf noch einer genaueren Erklärung. «Provokation» meint wörtlich «hervorrufen». Sofern das Wort des Glaubens die Weise ist, in der Gottes schöpferisches Wort vernehmbar wird, meint «hervorrufen» so viel wie «ins Sein rufen», |85| nicht etwa nur «herausfordern», wie wir das Wort «provozieren» üblicherweise übersetzen. Die Provokation des Wortes des Glaubens ist nicht nur als Forderung, d. h. als Appell zum Glauben zu verstehen. Vielmehr spricht das Wort des Glaubens «in der Weise vom Glauben, dass es ihn zuspricht und gibt, anstatt ihn nur zu fordern und abzuverlangen».62 Der neutestamentliche Glaube ist also «ein integrierender Bestandteil des Ereignisses, das er bezeugt».63

      Ist die Weise, in welcher uns Gottes Wort in Menschenworten begegnet, keine andere als das Wort des Glaubens, so ist der Glaube selbst – wie von Bultmann zu lernen bleibt – als eine Weise des Verstehens zu interpretieren. Der Glaube als eigentümliche Weise des Selbstverständnisses begreift sich aber passivisch als ein von Gott Erkannt- und Verstandenwerden. Auf ein letztes Offenbarwerden des eigenen Selbst richtet sich die eschatologische Hoffnung des Paulus in 1Kor 13, 12: «Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.» Der Glaube ist folglich nicht eine Weise aktiver Selbstbestimmung, sondern ein passives Bestimmtsein.64 Wiewohl der Glaubende im Glauben sich selbst neu versteht bzw. das gläubige Selbst sich selbst in Gott gründet, bleibt der Glaube doch ein Widerfahrnis, das sich bei aller Tätigkeit des Subjekts gerade nicht als eigenmächtige Tat, sondern nur als Gabe verstehen lässt. Von menschlicher Selbstbestimmung kann darum mit Blick auf den Glauben allenfalls so gesprochen werden, dass im Glauben das vorgängige Bestimmtsein durch Gott anerkannt und nachvollzogen wird.

      Der Glaube aber bleibt nicht selbstgenügsam bei sich selbst, sondern er ist gepaart mit der Liebe zu Gott und dem Mitmenschen wie auch mit der Hoffnung. In den johanneischen Schriften des Neuen Testaments wird Gottes Wesen als Liebe und der Glaube als ein Sein in der Liebe beschrieben. Glaube und Liebe verhalten sich nach Luther zueinander wie |86| Person und Werk,65 Täter und Tat66. Der Glaube zeigt sich in der Dankbarkeit,67 die in einem gelebten Ethos praktisch wird. Er kann aber nicht darauf reduziert werden, lediglich als Motivation zum Handeln zu dienen.

      Die Rechtfertigungsbotschaft setzt voraus, dass zwischen dem Handeln Gottes und demjenigen des Menschen begrifflich unterschieden wird. Wenn Luther von den Taten der Liebe als Früchten des Glaubens spricht, steht das Handeln des Menschen freilich nicht unverbunden neben dem Handeln Gottes, sondern es bezieht sich gerade auf dasjenige, was allein Gottes Werk ist. Die Rechtfertigungslehre spricht exklusiv vom gnädigen Handeln Gottes am Menschen und der Welt. Die Rede vom rechtfertigenden Handeln Gottes eröffnet ein spezifisch theologisches Verständnis von Freiheit, welche die Grundbedingung allen Handelns ist. Auf diese Weise werden sowohl der gängige Handlungsbegriff als auch ein allgemeines Verständnis von Ethik der Kritik unterzogen. Eine rechtfertigungstheologisch begründete Ethik ist, recht verstanden, nicht so sehr eine solche des Tuns als vielmehr des Lassens. In Umkehrung des Satzes aus Jak 1, 22 lautet ihr Motto, plakativ formuliert: «Seid aber Hörer des Wortes und nicht Täter allein, wodurch ihr euch selbst betrügt!»

      Das Hören des Wortes Gottes weist ein in eine Ethik des Lassens, die Gott Gott und den Mitmenschen ihn selbst sein lässt, statt über ihn und die Welt eigenmächtig verfügen zu wollen.68 Es kommt eben keineswegs darauf an, mit Marx gesprochen, die Welt oder unsere Mitmenschen nach unseren Heilsvorstellungen zu verändern oder zu verbessern, sondern darauf, sie zu verschonen. Den Anderen und die Schöpfung sein zu lassen, schließt freilich das tätige Wohlwollen ein, das jedoch immer wieder in die Gefahr geraten kann, den Mitmenschen paternalistisch zu bevormunden. Eine aus der Rechtfertigung begründete Ethik ist daher immer auch eine Ethik der Selbstbegrenzung des handelnden Subjekts.

      Es gilt, das Evangelium, d. h. die gute Nachricht von der Rechtfertigung des Gottlosen allein durch den Glauben, gegen seine Verkürzung auf eine bestimmte Moral zu schützen. Auch zu diesem Zweck ist das vierfache solus reformatorischer Theologie in Erinnerung zu rufen. Die |87| Rechtfertigungsbotschaft ist freilich ebenso gegen das Missverständnis zu schützen, als komme es auf das menschliche Tun und Lassen gar nicht an. Der Glaube ermutigt und befähigt gerade zur Verantwortungsübernahme vor Gott und den Menschen. Die Aufgabe einer evangelischen Ethik besteht darin, den inneren Zusammenhang von Freiheit, Liebe und Verantwortung zu verdeutlichen und für das gegenwärtige Handeln in Gesellschaft und Politik fruchtbar zu machen.

       |88|

      Peter Opitz, Zürich

      Der spezifische Beitrag der Schweizer Reformation zur reformatorischen Bewegung69

      1. Zum historischen Beitrag der Schweizer Reformation zur Reformationsbewegung

      1.1 Die Schweizer Reformation als historische Wurzel des weltweiten reformierten Protestantismus

      Anfang Januar 1523 riefen der Bürgermeister und die Räte der Stadt Zürich alle Pfarrer, Seelsorger, Prädikanten und Priester des Zürcher Gebiets zu sich ins Rathaus zu einer «Disputation», die Ende des Monats stattfinden sollte. Dabei ging es um die Schlichtung eines Streits: des Streits zwischen solchen, die behaupteten, «dem gemeinen Menschen das Gotteswort von der Kanzel zu verkündigen», und die sich dabei auf das «Evangelium» beriefen, und ihren Gegnern, die sie als «Irrlehrer, Verführer und Ketzer» beschimpften. Auch an den Bischof von Konstanz ging eine Einladung. Erst nachdem dieser der Aufforderung

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