500 Jahre Reformation: Bedeutung und Herausforderungen. Группа авторов

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und dessen uneingeschränkte souveräne Freiheit so weit geht, dass er diese Geschöpfe keineswegs schikanieren oder nötigen muss; Gottes freier Wille ist ein Wille der Vergebung, der Heilung und der Weitergabe der göttlichen Liebe und Wonne an die Schöpfung.

      19. Hier zeichnen sich die Umrisse einer Theologie ab, die eine anspruchsvolle spirituelle Disziplin voraussetzt, einen nüchternen und bedachten Gebetsstil, eine Freiheit, die eigene Integrität ständig und ohne Panik prüfenden Blicken auszusetzen und dasselbe für die Gemeinde und ihre Einrichtungen zu tun, ein christozentrisches Verständnis der menschlichen Geschichte und eine radikale politische Vision, die Ungleichheiten und willkürliche Herrschaft jeder Art infrage stellt. Kurz: Die Leitthemen der wirklichen reformatorischen Theologie stellten nicht nur die radikalsten Ideen und Gedanken der Kirchenväter wieder her; sie bieten auch eine ebenso starre und profunde Hilfe zum Umgang mit den heutigen gesellschaftlichen Krisen an wie die Tradition der katholischen Soziallehre – nicht als konkurrierende, sondern als komplementäre Auffassungen, wobei der Beitrag der reformatorischen Tradition vor allem in der Betonnung der unvergleichlichen Souveränität Gottes liegt, die uns von der moralischen Beurteilung von Verdiensten befreit und uns einlädt, in unseren Taten und Beziehungen die «grundlose» Treue zum Liebesversprechen, das zu Gott gehört, zu widerzuspiegeln.

      20. Die größten Theologen der Reformation waren keine Zeloten, die die Geschichte und die Symbole aus der christlichen Gesinnung löschen wollten, noch waren sie Individualisten, die sich der Autonomie ihres Gewissens verpflichtet hätten, noch Theokraten, die der ganzen menschlichen Gesellschaft eine unveränderte Version des mosaischen Gesetzes aufzwingen wollten, noch Rationalisten, die, von Wörtern besessen, |67| Schweigen und Zeichen hintanstellten, noch biblische Literalisten mit einem mechanischen Inspirationsmodell. Versehen der Geschichte brachten das reformatorische Christentum jedoch in unterschiedlichen Zusammenhängen mit all diesen Kreisen in Verbindung; natürlich gibt es bei Luther, Calvin, Melanchthon oder Zwingli Elemente, die solche Gedanken fördern könnten. Die gängige Vorstellung vom Protestantismus im Westen wird immer noch stark von solchen Klischees beherrscht. Doch um die Wesensmerkmale und den Wert des Erbes der Reformation für die Gegenwart zu formulieren, müssen wir sie aus den grundlegenden Erkenntnissen und Fragestellungen der Reformatoren lösen.

      In meinem bescheidenen Beitrag zu diesem Unterfangen habe ich versucht, darauf hinzuweisen, wo wir meiner Meinung nach die Schwerpunkte setzten sollten. Hilfreich und ermutigend war für mich eine Denkströmung in jüngeren Arbeiten zu Calvin, die ihn als humanistischen Gelehrten betrachten, der Erkenntnisse aus den ersten Jahrhunderten des Christentums zu gewinnen versucht und einen neuen Fokus auf die eucharistische Transformation des Gläubigen und der Gemeinde anbietet; kein Logiker, der die allmächtige Freiheit Gottes auf Kosten der Vernunft und der menschlichen Würde etablieren will. Calvin birgt in sich eindeutig ein «tragisches» Element, das besonders in seiner Betonung der gründlichen Verderbtheit der gefallenen Menschen und der (daraus folgenden) Willkür der Prädestination sichtbar wird. Calvin und weitgehend auch die calvinistische Tradition tun sich damit genauso schwer wie Augustinus. Allerdings handelt es sich nur um eine Nebenströmumg seines Denkens, die wir relativieren sollten. Am bedeutsamsten ist die umfassende Erforschung der Leitmotive der erneuerten Theologie, die der menschlichen Reife derart große – politische und psychologische – Freiheit einräumt und gleichzeitig die menschliche Fähigkeit in einem schonungslos realistischen Rahmen behält. Ein christlicher Glaube, der vom Gläubigen keinerlei Bevormundung verlangt, ist wohl das wichtigste Streben der Reformation des 16. Jahrhunderts; dieses Bestreben ist heute gebotener denn je, wenn der christliche Glaube überzeugen, gewinnen und bekehren soll.

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      Ulrich H. J. Körtner, Wien

      Exklusiver Glaube – Das vierfache «Allein» reformatorischer Theologie18

      1. Reformatorische Theologie

      Wenn wir darüber nachdenken wollen, was es heute bedeutet, evangelisch zu sein, müssen wir zunächst zwischen «evangelisch» und «protestantisch» unterscheiden. Das bevorstehende Reformationsjubiläum 2017 bietet Anlass, sich auf die zentrale Botschaft der Reformation zu besinnen, die das Evangelische im Sinn des Evangeliumsgemäßen neu zur Geltung gebracht hat. Das Evangelium von Jesus Christus aber ist ein kritischer Maßstab für die Verkündigung aller Kirchen und Konfessionen, der sich durchaus gegen bestimmte Entwicklungen und auch heutige Tendenzen im Protestantismus richtet. Die Frage, was heute evangelisch ist, soll auch nicht allein als Ausdruck konfessioneller Selbstvergewisserung, sondern in ökumenischer Weite gestellt werden. Ich verstehe das Reformationsjubiläum als Einladung an alle Kirchen und Konfessionen, darüber nachzudenken, inwiefern die Einsichten der Reformation von ökumenischer Tragweite sind, wenn es heute darum geht, sich auf das Evangelium und das Evangeliumsgemäße zu besinnen.

      Die nachfolgenden Ausführungen gehen davon aus, dass die Lehre von der bedingungslosen Annahme und Rechtfertigung des Gottlosen und die aus ihr abgeleitete Kirchenkritik zwar nicht der alleinige Inhalt, wohl aber das theologische Herzstück reformatorischer Theologie sind. In ihnen gründen das evangelische Verständnis christlicher Freiheit wie auch das evangelische Kirchenverständnis und sein Kerngedanke vom Priestertum aller Gläubigen.

      Nach reformatorischer Auffassung beruht die Rechtfertigung auf der bedingungslosen Vorgabe des Heils und damit auf der klaren Unterscheidung zwischen dem empfangenden und dem tätigen Wesen des Glaubens. Diese Unterscheidung wird durch ein Geviert von Exklusivbestimmungen zum Ausdruck gebracht, deren Sinn für die Gegenwart erschlossen werden soll: Allein durch den Glauben – sola fide – wird der |69| Mensch vor Gott gerechtfertigt, und zwar durch den Glauben an Jesus Christus, weil allein Christus – solus Christus – das Heil und die Rettung des sündigen Menschen erwirkt. Das geschieht allein aus Gnade – sola gratia – und wird gültig bezeugt allein durch die Schrift – sola scriptura – als der Quelle und dem Maßstab des rechtfertigenden Glaubens, des Lebens aus dem Glauben, aller Verkündigung und der Theologie.

      Die Pointe der reformatorischen Botschaft erschließt sich nur, wenn man beachtet und bedenkt, wie sich die vier genannten Exklusivpartikel gegenseitig interpretieren. Keine von ihnen darf isoliert genommen werden. Dass das Heil des Menschen allein an Gottes Gnade hängt, konnte auch die katholische Kirche des Spätmittelalters sagen. Und auch das Konzil zu Trient hat in seinem Dekret über die Rechtfertigungslehre die Alleinwirksamkeit der göttlichen Gnade aussagen können – jedoch so, dass diese eben nicht mit der Alleinwirksamkeit des Glaubens gleichgesetzt wurde. Was reformatorisch unter Glauben zu verstehen ist, wird aber auch verdunkelt, wenn man unter Glauben ein allgemeines Urvertrauen, Transzendenzbewusstsein oder Bewusstsein schlechthinniger Abhängigkeit versteht, das allen Menschen mehr oder weniger eigen sein soll. Glaube im reformatorischen Sinne ist Glaube an Jesus Christus als den alleinigen Grund göttlicher Annahme und Vergebung. Was das bedeutet, muss allerdings, wie sich noch zeigen wird, trinitätstheologisch erschlossen werden. Die Rechtfertigung des Sünders um Christi willen ist ein trinitarisches Geschehen. Woher aber wissen die Glaubenden das alles? Worauf gründen sie ihr Vertrauen und ihre Zuversicht? Darauf antwortet die reformatorische Tradition, dass es die Bibel Alten und Neuen Testaments ist, die dies auf gewiss machende Weise bezeugt, weil in ihr Christus selbst zu hören ist.

      Der rechtfertigende Glaube ist also nach reformatorischem Verständnis exklusiver Glaube – exklusiv in dem Sinne, dass er allein das Heil bewirkt. Doch erschließt sich dieser exklusive Glaube nur durch das Geviert der sich wechselseitig interpretierenden reformatorischen Exklusivpartikel, wobei dem solus Christus der Primat gebührt, ist doch der Glaube im reformatorischen Sinne wohl eine menschliche Tat, aber kein menschliches Werk. Im Glauben ist der Mensch auf eigentümliche Weise passiv, weil das Glaubenkönnen eben kein menschliches Vermögen und keine von der Natur mitgegebene Begabung, sondern eine unverfügbare Gabe ist und bleibt. Die Tat des Glaubens aber besteht darin, der Christusbotschaft – dem Evangelium – Glauben zu schenken und darauf im Leben und im Sterben zu vertrauen. |70|

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