500 Jahre Reformation: Bedeutung und Herausforderungen. Группа авторов

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haben manche Differenzen überwunden. Bei seiner Vollversammlung in Stuttgart hat der Lutherische Weltbund am 22. Juli 2010 ein Schuldbekenntnis gegenüber den Mennoniten als geistlichen Erben der zur Reformationszeit brutal verfolgten Täuferbewegung (s. o.) abgelegt. In der Erklärung heißt es: «Im Vertrauen auf Gott, der in Jesus Christus die Welt mit sich versöhnte, bitten wir deshalb Gott und unsere mennonitischen Schwestern und Brüder um Vergebung für das Leiden, das unsere Vorfahren im 16. Jahrhundert den Täufern zugefügt haben, für das Vergessen oder Ignorieren dieser Verfolgung in den folgenden |46| Jahrhunderten und für alle unzutreffenden, irreführenden und verletzenden Darstellungen der Täufer und Mennoniten, die lutherische AutorInnen bis heute in wissenschaftlicher oder nichtwissenschaftlicher Form verbreitet haben.»13

      Das war wichtig. Und heilsam. Im Jahr 2007 haben fast alle Kirchen in Deutschland ihre Taufe erstmals formell gegenseitig anerkannt und so ein gewichtiges Zeichen der Gemeinsamkeit gesetzt. Der römisch-katholische Bischof Feige sagte damals, die gegenseitige Anerkennung zeige, «dass mit der Taufe etwas gegeben ist, was getrennte Kirchen und Christen fundamental verbindet». Diese Rückbesinnung auf die Taufe schließt zwar leider noch nicht alle überall ein. Die Taufanerkennung kann aber ein gewichtiger ökumenischer Schritt sein. Ich erinnere mich gut daran, wie überlegt wurde, welches sichtbare Zeichen von Gemeinschaft denn beim Ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 gesetzt werden könnte. Es war am Ende im Schlussgottesdienst die Tauferinnerung. Protestanten und Katholiken und Christen anderer Konfession malten einander mit Taufwasser gegenseitig ein Kreuzzeichen auf die Stirn. Mich hat das berührt.

      Was aber ist die Geistgeburt? Unser Bibeltext heute Morgen ist eine deutliche Herausforderung. Alle Exegeten, bei denen ich nachgelesen habe, betonen, wie sorgfältig dieses Gespräch im Johannesevangelium aufgebaut ist. Johannes will Jesus schon hier, zu Beginn seines Wirkens als den erweisen, als der er erst nach der Auferstehung sich erschließt: der Menschensohn, der Messias, der Sohn Gottes. Johannes der Täufer hat nach diesem Evangelium gesehen, wie bei der Taufe der Geist Gottes als Taube zu Jesus kam. Im Reden und Wirken Jesu können Menschen Gott erkennen. Sie erfahren, wie Gott ist, wie ein liebender Vater, wie eine suchende Witwe, wie ein fürsorgender Weingartenbesitzer, wie Jesus, der alle an einen Tisch lädt.

      Aber wie verhalten sich Geist und Taufe? Wirkt die Taufe die Anwesenheit des Geistes? Noch einmal Klaus Wengst: «Gottes Geist ist souverän. Sein Wirken kann von Menschen nicht festgelegt werden – auch nicht durch die Taufe.»14 Das stimmt gewiss, die Taufe domestiziert das Wirken des Geistes nicht. Manches Mal haben wir ja eher Angst vor zu viel Geistwirken. Das war schon bei den Reformatoren so, Luther eilte von |47| der Wartburg nach Wittenberg zurück, als allzu viel freier Geist zu wirken begann. Und auch Zwingli und Calvin legten Wert auf klare Ordnung statt viel freiem Geist.

      Auch heute suchen wir die Balance zwischen notwendiger Ordnung und ebenso notwendiger Freiheit des Geistes. Eine Kirche als Institution kann da von viel Geist schon mal irritiert werden. Ich erinnere mich an den konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung. In Westdeutschland wurde er von manchen als nervender Störfaktor gesehen. In Ostdeutschland führte er zu übervollen Kirchen, in denen politisch debattiert wurde – da fürchteten manche, es werde die Kirche beschädigen. Aber am Ende führte es zu einer friedlichen Revolution. Ich denke auch an die Schweiz; hier in Basel fand 1989 die Erste Europäische Ökumenische Versammlung statt und es war zu spüren: In den Kirchen Osteuropas gärt es, da will sich ein Geist der Freiheit Raum verschaffen. Das kennen auch unsere Partnerkirchen in den Ländern des Südens, etwa wenn angefragt wird, wie viel Patriarchat die Kirche verträgt, ob es zu viel Anpassung gibt an eine Diktatur, ob über Homosexualität überhaupt gesprochen werden darf.

      Wie aber unterscheiden wir die Geister? Ist es purer Libertinismus oder Geist Gottes? Wirkt hier Gottes Ruach oder der Geist des Chaos? Ich denke, es gibt zwei Kriterien. Zunächst: Jesus Christus. Es heißt im Text: So muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben (3, 15). Es geht um den Glauben an Jesus, der einsteht für Gottes Wort in der Welt und bei dem aus genau diesem Grund der Tod nicht das letzte Wort hatte. Der Geist mag fröhlich brausen, aber Menschen, die sich auf den Geist berufen, müssen sich daran messen lassen, ob es um sie selbst geht, um selbst ernannte Ziele oder um Jesus Christus, der für diesen Geist steht.

      Das zweite Kriterium ist der Aufbau der Gemeinde. Und hier finden wir auch den Zusammenhang zur Taufe. Ein letztes Mal Klaus Wengst: «Da die Taufe zugleich Aufnahmeritus in die Gemeinde ist, wird damit auch deutlich, dass der Geist nicht voneinander isolierte Individuen produziert, sondern dass die Geburt aus dem Geist in die Gemeinschaft der Gemeinde versetzt. Die Taufe mit Wasser ist daher gegenüber dem primären Wirken des Geistes als menschlicher Gehorsamsakt zu bestimmen, der diese Wirken als ein in die Gemeinde berufendes öffentlich und |48| verbindlich anerkennt.»15 Die Taufe nimmt uns hinein in eine Gemeinschaft. Und wo der Geist wirkt, will er diese Gemeinschaft aufbauen. Allzu oft beruft man sich auf die Freiheit des Geistes im Namen der Individualität. Nun ist Individualität für Protestanten nicht negativ besetzt. Aber wo sie zur Egomanie wird, die Gemeinschaft nicht mehr zählt, sondern nur die persönliche Grundüberzeugung, da wirken andere Geister. Ein Unterscheiden der Geister kennen wir doch auch bei anderen Institutionen. Denken wir an die Olympischen Spiele. Da soll der Geist von Sport und Völkerverständigung wirken und die Spiele verlieren ihre Glaubwürdigkeit, wenn er sich nur als Geist von Doping und Geld entpuppt.

      Unsere Kirchen werden sich immer wieder daran messen lassen müssen, ob das solus Christus der Reformatoren den Geist bestimmt. Und daran, ob sie der Gemeinschaft dienen. Für Protestanten gilt es, auch mit Blick auf das 500-jährige Jubiläum darüber nachzudenken, was es bedeutet, dass der Geist der Spaltung sie so oft umweht hat. Das ist eine berechtigte Anfrage. Als ich im Juni in den USA war, hat mich noch einmal neu berührt, dass es dort 22 lutherische Kirchen gibt, die nicht alle Abendmahlsgemeinschaft haben. Was für ein Zeichen ist das?

      Gott sei Dank gibt es auch eine 500-jährige Lerngeschichte der Reformation. Seit 40 Jahren haben wir mit der Leuenberger Konkordie eine Form von Kirchengemeinschaft in Europa gefunden, die Unterschiede respektiert, aber doch die gegenseitige Anerkennung als Kirchen und damit das gemeinsame Abendmahl möglich macht.

      «Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.» (3, 5b) Vielleicht will Johannes vor allem sagen: Du musst dich auch öffnen für den Geist. Nikodemus verschwindet ja eigentümlich leise aus dieser Szene, der Dialog geht über in eine Offenbarungsrede Jesu. Ob das andeutet: Nikodemus kann sich nicht wirklich öffnen? Kann sich auf den Weg Jesu nicht einlassen? Bultmann sieht das Wort als «Mahnung – freilich nicht eine moralistische, sondern die Mahnung, sich selbst in Frage zu stellen»16. Es geht nicht um «Besserung des Menschen»17, sondern darum, dass der Mensch seinen Ursprung in Gott findet und begreift, dass er das Leben nicht im Griff hat. Das finde ich einen äußerst hilfreichen Gedanken. Heil lässt sich nicht |49| herstellen, nicht kaufen, sondern ist Gottesgeschenk, Gnade. Ich muss mich mit meinen Sicherheiten in Glaubens- und in Lebensfragen öffnen, mein ganzes Vertrauen auf Gott werfen, nicht auf all das, was so richtig und wichtig erscheint: Geld, Rechtgläubigkeit, Konformität.

      Die Taufe ist ein Zeichen der Zugehörigkeit. Sich auf Gottes Geist einlassen ein Zeichen für Gottvertrauen. Das gilt im persönlichen Leben. Das gilt aber auch für Kirchen als Institutionen, die immer mal wieder ein Geistbrausen brauchen, wenn sie es sich allzu behaglich in der Welt eingerichtet haben. Ich denke an unsere Strukturen, aber auch an die Herausforderungen, in den Fragen der Gerechtigkeit, der Flüchtlinge, des Kriegs und der Waffengeschäfte, der Bedrohung der Zukunft dieser Erde mutige Worte und Taten zu wagen. Am Ende aber können wir uns als Getaufte in all unserem Ringen nur Gott anvertrauen, dem Wirken des Geistes Gottes, das wir immer wieder spüren dürfen.

       |50|

      Klára Tarr Cselovszky, Budapest

      Matthäus

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