500 Jahre Reformation: Bedeutung und Herausforderungen. Группа авторов

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reagiert Jesus mit seiner zentralen These: «Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.» (3, 3)

      Das Reich Gottes kommt im Johannesevangelium nur in diesem Kontext vor, in Vers 3 und in Vers 5. In anderen synoptischen Evangelien wird es ja immer wieder mit dem Vergleich eingeführt, dass wir uns Kindern annähern müssen, um Zugang zu finden. So etwa Mk 10, 15: «Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solchen gehört das Reich Gottes» oder auch Mt 18, 3: «Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.» Im Grunde ist das Johannesevangelium noch radikaler: nicht nur wie ein Kind werden, nein, neu geboren werden. Was kann das heißen?

      Genau das fragt Nikodemus: «Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?» (Joh 3, 4) Das ist, finde ich, eine sehr angenehm realistische Frage! Kann denn ein alter Mann neu anfangen? Gibt es das wirklich, als alte Frauen alles hinter sich lassen, noch einmal zurück auf Los? Ich sehe solche Thesen mit wachsendem Unbehagen. Beim Hamburger Kirchentag im Mai dieses Jahres war ich auf einem Podium zur Zukunft des Alterns in Deutschland. Eine Wissenschaftlerin beschrieb, dass wir alle immer älter werden, ständig Neues lernen sollen, neue berufliche Wege einschlagen, uns neu orientieren… Ich habe tiefe Erschöpfung gefühlt. In unserer Gesellschaft sollen wir uns alle verjüngen, ob durch Botox oder Haarimplantate, neu aufbrechen sollen wir, mobil und flexibel sein. Vielleicht möchte ich aber gar nicht mehr ständig neu anfangen, sondern endlich mal Ruhe haben und alles lassen wie es ist? Da kann die Forderung, neu geboren zu werden, ja auch Stress auslösen! Oder ist etwas ganz anderes gemeint als der Jugendwahn unserer Zeit? |43| Ein Geburtsvorgang ist ein tiefgreifendes einmaliges Geschehen. Es geht doch Johannes viel mehr um eine Erfahrung von Neu-Werden, die das Leben neu orientiert. Nicht aus mir selbst, aus Gnade lebe ich, aus Gottes Lebenszusage und nicht aus meinen Leistungen definiere ich den Sinn meines Lebens, im Glauben finde ich Halt im Leben und im Sterben – sola gratia und sola fide, wie die Reformatoren es konzentriert ausgedrückt haben.

      Was kann das aber heißen, aus dem Geist geboren? Erst wird vom Geist gesprochen, dann vom Wasser: «Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.» (3, 5)

      O ja, jetzt kommen wir in diffiziles ökumenisches Minengelände! Da gibt es diejenigen, vor allem Baptisten, die sagen: erst der Geist, dann das Wasser – der Taufe! Für die Reformierten ist diese Frage nach Geistwirken besonders wichtig. So heißt die Frage 53 im Heidelberger Katechismus, dessen 450. Jubiläum wir 2013 feiern: «Was glaubst du vom Heiligen Geist?» Und die Antworten lauten:

      Erstens:

      Der Heilige Geist ist gleich ewiger Gott

       mit dem Vater und dem Sohn.

      Zweitens:

      Er ist auch mir gegeben

       und gibt mir durch wahren Glauben

       Anteil an Christus

       und allen seinen Wohltaten.

       Er tröstet mich

       und wird bei mir bleiben in Ewigkeit.

      Für die Getauften ist der Heilige Geist in dieser Tradition also bleibender Beistand Gottes.

      Aber ich bin Lutheranerin und frage mich natürlich: Warum hat der ökumenische Kongress gerade mir einen solchen Text vorgegeben?

      Für Martin Luther wurde immer klarer: Die Taufe ist das zentrale Ereignis und Sakrament. Hier sagt Gott einem Menschen Gnade, Liebe, Zuwendung, Lebenssinn zu. Und alles Scheitern, alle Irrwege des Lebens können das nicht rückgängig machen. Gehen wir zur Taufe zurück, brauchen wir keine Buße, kein Bußsakrament: Wir sind erlöst, wir sind längst Kinder Gottes. «Baptizatus sum» – ich bin getauft. In den schwersten Stunden seines Lebens hat Martin Luther sich das gesagt und daran Halt gefunden. |44|

      Und: Jeder, der aus der Taufe gekrochen ist, ist Priester, Bischof, Papst. Von da her hat Luther auch den Respekt gegenüber Frauen entwickelt. Sie sind getauft und damit stehen sie auf gleicher Stufe. Zu sagen: Wir sind getauft und damit vor Gott gleich, war ein theologischer Durchbruch und zugleich eine gesellschaftliche Revolution. Aus diesem Taufverständnis entwickelte sich durch die Jahrhunderte die Überzeugung, dass Frauen in der Tat jedes kirchliche Amt wahrnehmen können. Mir ist wichtig, die theologischen Hintergründe deutlich zu machen, gerade da, wo von anderen Kirchen die Ordination von Frauen in Pfarr- und Bischofsamt infrage gestellt wird. Es geht nicht um Zeitgeist, es geht um Theologie.

      Das gilt auch mit Blick auf Rassismus. In Südafrika erzählte ein Missionar, dass viele weiße Farmer sich in der Zeit der Apartheid dagegen wehrten, dass ihre schwarzen Arbeiter getauft werden sollten. «Dann sind sie ja wie wir» – o ja, eine tiefe theologische Einsicht, denn genau so ist es! Die Taufe ist ein Zeichen gegen alle rassistischen, sexistischen und anderen Ausgrenzungen innerhalb der Gemeinschaft der Kirche.

      Zölibatäres Leben galt vor der Reformation als vor Gott angesehener, der gerade Weg zum Himmel sozusagen. Für viele Reformatoren war der Schritt zur Ehe ein Signal, dass auch Leben in einer Familie, mit Sexualität und Kindern von Gott gesegnetes Leben ist. Die öffentliche Heirat von bisher zölibatär lebenden Priestern und Mönchen und Nonnen war ein theologisches Signal. Die Theologin Ute Gause erklärt, sie sei eine Zeichenhandlung, die «etwas für die Reformation Elementares deutlich machen wollte: Die Weltzuwendung und demonstrative Sinnlichkeit des neuen Glaubens»11. Nun wird ja den Evangelischen im Land eher unterstellt, dass sie weniger sinnlich seien als die römischen Katholiken oder die Orthodoxie. Die Reformatoren aber wollten gerade deutlich machen: weltliches Leben ist nicht weniger wert als priesterliches oder klösterliches. Es geht darum, im Glauben zu leben im Alltag der Welt – da dürfen Protestanten auch sinnlich sein.

      Und das finde ich in unserem Bibeltext für heute Morgen bestätigt. Im Johannesevangelium heißt es: «Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch: und was vom Geist geboren ist, das ist Geist.» (Joh 3, 6) Das muss doch gerade kein Dualismus sein, auch wenn es in der Exegese oft so gesehen wird: sarx und pneuma! Natürlich sind wir als Menschen eingebunden in die Zusammenhänge unseres Lebens. Wir wären doch |45| verantwortungslos, würden wir alles abstreifen hier und jetzt um einer vermeintlich geistgewirkten Zukunft willen! Genau da mahnt Luther zu Verantwortung in der Welt mit seinem Begriff von Berufung als Beruf, den wir da ausüben, wo Gott uns hingestellt hat. Und doch wirkt die Frage nach der Geistgeburt wie ein Korrektiv: Gibt es nicht noch eine ganz andere Wirklichkeit Gottes? Eine, in der Gut, Ehr, Kind und Weib oder eben alles das, was wir besitzen, woran unser Herz hängt, völlig in den Hintergrund tritt? Oder wie Bultmann schreibt: Der Mensch kann wissen, «dass er eigentlich in das jenseitige Sein gehört und doch faktisch in das diesseitige geraten ist»12. Ich denke nicht, dass hier ein Entsagen der Welt angedeutet ist. Es wird vielmehr die Frage gestellt, in welchem Horizont ich mein Leben verstehe. Gehe ich auf in sarx, Fleisch, dem Weltlichen, oder weiß ich um die Realität Gottes, pneuma, das zwar viele, gerade heute in einem säkularisierten Zeitalter nicht wahrnehmen wollen, als «Opium des Volkes», Selbsttäuschung, ein Weglaufen vor den Realitäten ansehen. In welchem Licht begreife ich mein Leben? Darum geht es.

      Wir wissen doch: Mit der Bibelstelle von heute Morgen haben wir manche Probleme als Kirchen in ökumenischer Gemeinschaft. Kann die Kindertaufe wirkmächtig sein, wenn Menschen nicht auch mit ihrem Verstand, mit bewusstem Ja zur Taufe stehen? Muss es dann nicht eine zweite Taufe als Erwachsener geben oder nur eine Erwachsenentaufe?

      Schon zu reformatorischen Zeiten war das eine Auseinandersetzung. Die von den Gegnern sogenannten Anabaptisten oder Wiedertäufer wurden hart verfolgt von der «Mainline-Reformation». Ihnen lag an einer Gläubigen– bzw. Erwachsenentaufe, denn die Taufe setze ein persönliches Bekenntnis zu Jesus Christus

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