500 Jahre Reformation: Bedeutung und Herausforderungen. Группа авторов

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findet die deutlich protestantische Stimme in der Sozialethik im weiteren kulturellen Kontext trotz vieler und hochstehender Beiträge aus Kirche und Universität kaum Gehör. Daher erstaunt es nicht, dass das Selbstverständnis der Protestanten und insbesondere der Reformierten in Europa und anderswo von einer gewissen Unsicherheit umgeben ist. Die «protestantische» Identität wird häufig mit der typisch amerikanischen Prägung von wörtlicher Bibelauslegung und Sozialkonservativismus in einen Topf geworfen und einem gleichermaßen typischen «liberalen Protestantismus» gegenübergestellt, der sich nicht um Dogmen kümmert und sich allgemein für fortschrittliche Belange engagiert. Dieser Hintergrund hilft nicht, die eigentliche Reformation zu verstehen, geschweige denn die Bedeutung der reformierten Theologie in den letzten hundert Jahren. Studenten stehen oft ratlos vor der Frage, wo sie Karl Barth auf einer theologischen Karte, die durch die einfachen Gegensatzpaare rechts-links und konservativ-liberal definiert ist, ansiedeln würden. |56|

      2. Ich möchte in meinen kurzen Ausführungen den Beitrag einer erkennbar «protestantischen» Theologie zur christlichen Kultur generell untersuchen und dabei auf einige bleibend konstruktive Elemente sowie auch auf Faktoren mit eher gemischten Auswirkungen eingehen. Ich schreibe als Anglikaner, d. h. als Person, deren ekklesiale Identität durch die Zurückhaltung geprägt ist, die Kluft zwischen Protestanten und Katholiken nur als binären Gegensatz zu sehen, und die sich der Schlüsselrolle der reformierten Theologie für das Selbstverständnis der anglikanischen Kirche unbedingt bewusst ist. Ich erhielt meine geistliche Bildung im «katholischen» Flügel der anglikanischen Familie, wurde aber auch durch die Kindheit in der presbyterianischen walisischen Kirche und das stetige Interesse und den Enthusiasmus für verschiedene Strömungen der reformierten Tradition geprägt, für die Autoren wie Richard Baxter, Thomas Torrance und natürlich Karl Barth selbst stehen. Vor diesem persönlichen Hintergrund wage ich den Versuch, drei Themen der reformatorischen Theologie und Praxis zu behandeln, die nach meiner Auffassung von zentraler und dauerhafter Bedeutung für die theologische Gesundheit der christlichen Gemeinschaft sind. Außerdem möchte ich über drei weitere Themen nachdenken, die weniger offensichtlich fruchtbringend waren und die in der Tat zum Teil mitverantwortlich sind für die heutige kulturelle Trostlosigkeit und Verwirrung. Meine vorsichtige Schlussfolgerung lautet, dass man letzteren Themen nur mit einem theologisch fundierten Verständnis der ersteren entgegentreten kann, um letztlich eine positive, eigene und kreative Rolle für das Erbe der Reformation zu erkennen.

      3. Bei den anscheinend positiven Themen handelt es sich um folgende: Erstens bekräftigte die Reformation die absolute Unterscheidung zwischen geschöpflichem und unendlichem Handeln; mit der ständigen Betonung der Souveränität Gottes wird auf die Wahrheit verwiesen, dass Gottes Handeln und unser Handeln weder im Wettbewerb miteinander noch in Zusammenarbeit stehen können. Zweitens begründete die Reformation das Prinzip, wonach die Schrift nicht nur als Quelle der wahren Lehre sowie zu deren Veranschaulichung diente, sondern auch eine kritische Präsenz in der Kirche war; die Schrift «mischte sich» in das Leben der Kirche «ein» und war nie nur ein Instrument derselben. Drittens bezweifelte die Reformation grundsätzlich, dass Gnadenmittel durch menschliche Vermittler «verabreicht» werden konnten, und bekräftigte, dass die Kirche keine Versammlung von Herrschern und Untertanen, sondern in erster Linie eines Volkes sei. |57|

      4. Das ambivalente Erbe der Reformation lässt sich wie folgt zusammenfassen. Erstens verbündete sich die Betonung der souveränen Würde von Gottes Wort mit dem entstehenden Rationalismus und zeichnete so ein eindimensionales Bild der menschlichen Erkenntnis, in dem das Nonverbale als minderwertig galt. Zweitens leistete das Misstrauen gegenüber der Hierarchie einer halbherzigen Theologie der Kirche Vorschub; die Frömmigkeit und die Erkundungen des Einzelnen standen im Mittelpunkt, auf Kosten des Verständnisses der Gemeinschaft in Christus und im Geiste und einer intelligenten Aneignung der christlichen Vergangenheit. Drittens suggerierte die Hervorhebung der göttlichen Souveränität (gleichsam im Widerspruch zur eigentlichen theologischen Bedeutung) letztlich einen Gegensatz zwischen Menschlichem und Göttlichem, der durch die einfache Unterwerfung des erschaffenen Willens gelöst wurde: Die Emanzipation des Menschen, so dachte man, erfordert den Verzicht auf den theologischen Diskurs.

      5. Zum ersten der drei Punkte: Der Fokus des Protestes der Reformation gegen die populäre Theologie und Praxis des späten Mittelalters lag auf einem Sprach- und Gewohnheitsmuster, das scheinbar davon ausging, ein versöhntes, gnadenerfülltes Leben lasse sich mit Gott «aushandeln.» Die Welt der Frömmigkeit wurde (nicht immer gerechterweise) als Weg für die Menschen gesehen, um bestimmte erschaffene Mittel, deren Auswirkungen Gott gewährleistete, dazu zu nutzen, die von Gott versprochenen Belohnungen zu erhalten. Obwohl Gott in diesem Rahmen als der prioritäre Handelnde anerkannt wird, entsteht unmittelbar der Eindruck einer «spirituellen Technologie», wobei Gott verpflichtet ist, die Konditionen, die er selbst festgelegt hat, einzuhalten. Der erschaffene Akteur weiß, wozu Gott «verpflichtet» ist – das ist der wunde Punkt: Gottes Handeln erscheint wie aus der gegenwärtigen Lage herausgelöst und wird zu einem abstrakten Rahmen, in dem das menschliche Handeln plant und das menschliche Schicksal zu kontrollieren versucht (nicht zuletzt durch die besonderen Arten von Kontrolle im Zusammenhang mit dem geweihten Amt, das die Verabreichung des Gnadenmittels kontrolliert). Das Ergebnis ist entweder eine selbstgefällige Reduktion des Lebens der Jüngerschaft auf die Befolgung des neuen «Gesetzes» oder, wie Luther entdeckte, eine zerstörerische Verzweiflung daran, der Gnade Gottes als unmittelbare Lebenswirklichkeit zu begegnen; in diesem Zustand herrscht eine Dissonanz zwischen dem, was die Kirchenbehörden verbindlich als wahr erklären, und dem persönlichen Empfinden von Schuld oder Verlassenheit. |58|

      6. Luther setzt die göttliche Souveränität wieder ein, indem er sich an einen Gott wendet, der immer im Verborgenen ist; einen Gott, mit dem man nicht verhandeln kann und dessen Gegenwart man immer im Herzen seiner eigenen anscheinenden Abwesenheit findet und nicht dort, wo man seine Gegenwart gemäß einer systematischen Karte seiner Tätigkeiten vorhersagen kann. Die Theologie ergibt nur dann Sinn, wenn das wiedergefunden wird, was seit je ein Grundprinzip der katholischen Theologie bildete, aber immer wieder verdeckt wurde: das Prinzip, dass Gottes Handeln und endliches Handeln nicht zwei Beispiele ein- und desselben sind; sie können nicht miteinander wetteifern und sie können nicht wie im Wettstreit um ein einziges umstrittenes Gebiet gesehen werden. Dieses Prinzip durchzieht die theologische Welt von Thomas von Aquin (es ist in sehr interessanter Weise besonders in seiner Christologie am Werke). Der Protest der Reformation beharrt jedoch darauf, dass es auf jeder Ebene der Theologie und Praxis angewandt werden muss. Theologische Idiome oder Gebetsgewohnheiten, die davon ausgehen, dass Gott auf die Initiative des Menschen reagiert, sind vom echt theologischen Diskurs auszuschließen, weil Gottes Handeln in keiner Weise durch menschliches Handeln bedingt ist. In der von Calvin vertretenen Prädestinationstheologie – die umstritten, ja schockierend ist – geht es im Wesentlichen um diese grundlegende Unvergleichbarkeit des erschaffenen und des nicht erschaffenen Akts: zeitliche Abfolge, logische Konsequenz, moralische Angemessenheit – all dies sind ein fatal falscher Rahmen für Überlegungen über das Verhältnis von Gott zur Schöpfung. Paradoxerweise impliziert dies – dem calvinistischen Gedankengut nicht so fremd, wie einige glauben –, dass die Würde des Menschen durch die Erhabenheit Gottes nie bedroht werden kann, so wie auch die Erhabenheit durch die Affirmation konkreter Menschenrechte nicht bedroht werden kann, weil das Endliche und das Unendliche gar nicht miteinander konkurrieren. Der Grundsatz der Reformation, die bedingungslose Souveränität Gottes, sollte uns vor Angst und Groll gegenüber Gott befreien und eine solide Theologie der menschlichen Berufung und der Freiheit im sozialen/politischen Bereich zulassen.

      7. Dies hängt mit dem zweiten positiven Argument zusammen. Wenn die Schrift «Gottes geschriebenes Wort» ist, dann ist sie eine Trägerin desselben bedingungslosen göttlichen Handelns. Die Schrift ist kein vom Menschen zu entdeckendes passives Instrument, das Wahrheiten äußert, die in ein ordentliches Schema von Konzepten gegossen werden können (aus diesem Grund bildet der Fundamentalismus im Wesentlichen eine |59| Antithese zur echten reformierten Theologie); die Schrift lebt und wirkt, ein Feld voller Erinnerungen, Lieder und Maximen, in dem der menschliche Diskurs jederzeit in greifbarer Weise zum Träger einer verbindlichen Kommunikation werden kann und zur Jüngerschaft ermahnt. Dies bedeutet, dass die Schrift in der Kirche immer

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