Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen. Selma Lagerlöf
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Читать онлайн книгу Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen - Selma Lagerlöf страница 28
Er dachte eben, in dieser Nacht wolle er recht tapfer sein und sich nicht fürchten, als er etwas erblickte, was ihm einen großen Schrecken einjagte. Das war eine bergige Insel, die mit großen, scharfen Felsblöcken bedeckt war, und zwischen diesen schwarzen Blöcken glänzten funkelnde Stellen von schimmerndem Golde. Er mußte unwillkürlich an den Maglestein von dem Zauberer Ljungby denken, den der Zauberer zuweilen auf hohe goldne Säulen stellt, und er hätte gerne gewußt, ob dies etwas Ähnliches sei.
Aber die Steine da mit dem Gold wären schließlich noch angegangen, wenn es nicht rings um die Insel von lauter großen Meeresungetümen gewimmelt hätte. Sie sahen wie Wal- und Haifische und andre große Meeresungeheuer aus, aber der Junge war dafür, daß es Meergeister seien, die sich hier versammelt hatten und hinaufklettern wollten, um mit den dort wohnenden Landgeistern zu kämpfen. Und die auf dem Lande fürchteten sich sicher, denn der Junge sah einen großen Riesen ganz oben auf dem Gipfel der Insel stehen, der die Arme in die Höhe reckte wie in Verzweiflung über all das Unglück, das ihm und seiner Insel widerfahren sollte.
Der Junge erschrak nicht wenig, als er merkte, daß Akka sich gerade auf diese Insel niedersinken ließ. „Ach nein, ach nein!“ rief er. „Wir werden uns doch da nicht niederlassen sollen?“
Aber die Gänse sanken immer tiefer, und jetzt war der Junge aufs höchste überrascht, daß er so verkehrt hatte sehen können. Die großen Steinblöcke waren nichts andres als Häuser. Die ganze Insel war eine Stadt; die glänzenden, goldnen Punkte waren Laternen und erleuchtete Fensterreihen. Der Riese, der ganz oben auf der Insel stand, war eine Kirche mit zwei Türmen, und alle die Meeresungeheuer und Zauberer, die er zu sehen geglaubt hatte waren Boote und große Schiffe, die rings um die Insel herum verankert waren. Auf dieser dem Lande zugelegnen Seite der Insel lagen gepanzerte Kriegsschiffe, einige mit ungeheuer dicken, nach rückwärts geneigten Schornsteinen, dann wieder länger und schmäler gebaute, die sicherlich wie Fische durchs Wasser gleiten konnten.
Welche Stadt konnte nun das wohl sein? Ja, das konnte der Junge schon herausbringen, weil er die vielen Kriegsschiffe da unten sah. Sein ganzes Leben lang hatte er Angst vor Schiffen gehabt, obgleich er nie mit andern etwas zu tun gehabt hatte als mit den kleinen Segelbooten, die er auf dem Dorfteich hatte schwimmen lassen. Er wußte wohl, daß diese Stadt, die mit so vielen Kriegsschiffen dort lag, nur Karlskrona sein konnte.
Der Großvater des Jungen war früher Matrose auf einem Kriegsschiff gewesen, und so lange er lebte, hatte er jeden Tag von Karlskrona erzählt, von der großen Werft und allem andern, was es da gab. Hier fühlte sich der Junge ganz wie zu Hause, und er freute sich, daß er jetzt das alles sehen durfte, von dem er so viel hatte erzählen hören.
Nur im Fluge sah er den Turm und die Festungswerke, die den Hafeneingang abschließen, sowie die vielen Gebäude draußen auf der Werft, denn jetzt ließ sich Akka auf einem von den flachgedeckten Kirchtürmen nieder.
Das war allerdings ein sichrer Platz für solche, die einem Fuchse entwischen wollten, und der Junge fragte sich, ob er es nicht wagen könnte, in dieser Nacht wieder unter die Flügel des Gänserichs zu kriechen. Ja, das konnte er bestimmt, und es würde ihm sicher gut tun, wenn er wieder einmal ein bißchen schlafen dürfte. Am nächsten Morgen wollte er dann versuchen, etwas mehr von der Werft und den Schiffen zu sehen.
Dem Jungen kam es selbst sonderbar vor, daß er sich nicht ruhig verhalten und still warten konnte, bis er etwas von den Schiffen zu sehen bekäme. Er hatte sicher noch keine fünf Minuten geschlafen, als er unter dem Flügel hervorglitt und am Blitzableiter und an den Dachrinnen auf den Boden hinunterkletterte.
Bald stand er auf einem großen Marktplatz, der sich vor der Kirche ausbreitete; er war mit rundlichen, oben zugespitzten Steinen gepflastert, und das Gehen darauf war ebenso beschwerlich für ihn, wie für große Leute das Gehen auf einer Wiese voll Erdschollen. Leute, die in einer unbebauten Gegend und weit draußen auf dem Lande wohnen, fühlen sich immer ängstlich, wenn sie in eine Stadt kommen, wo die Häuser steif und aufrecht dastehen und die Straßen und Plätze offen daliegen, so daß sie jeder, der vorübergeht, betrachten kann. Und wenn große Leute so denken, kann man sich leicht vorstellen, wieviel mehr es dem Däumling so gehen mußte. Als er auf dem Markt von Karlskrona stand und die Deutsche Kirche und das Rathaus und den Dom, von dem er gerade heruntergekommen war, sah, wünschte er sich unwillkürlich zu den Gänsen droben auf dem Kirchturm zurück. Zum Glück war der Marktplatz ganz leer. Kein Mensch war zu sehen, wenn man nicht etwa ein Standbild, das auf einem hohen Sockel stand, für einen solchen rechnen wollte. Der Junge betrachtete das Standbild lange und hätte gerne gewußt, wer dieser große Mann in Dreispitz, langem Rock, Kniehosen und groben Schuhen sei. Er hielt einen langen Stock in der Hand und sah aus, als mache er auch Gebrauch davon, denn er hatte ein furchtbar strenges Gesicht mit einer großen Habichtsnase und einem häßlichen Mund.
„Was hat denn dieser Lippenfritze hier zu tun?“ sagte der Junge schließlich.
Noch nie hatte er sich so klein und ärmlich gefühlt wie an diesem Abend. Er versuchte sich aufzuraffen, indem er etwas Keckes sagte. Dann dachte er nicht mehr an das Standbild, sondern bog in eine breite Straße ein, die zum Meer hinunterführte. Aber er war noch nicht lange gegangen, als er hörte, daß jemand hinter ihm herkam. Vom Markt her kam jemand, der mit schweren Füßen auf das Pflaster stampfte und seinen Stock auf den Boden aufstieß. Es klang fast, als hätte der große Mann aus Bronze, der drüben auf dem Markte stand, sich auf den Weg gemacht.
Der Junge horchte auf die Schritte, während er die Straße hinunterlief, und immer deutlicher erkannte er, daß es der Mann aus Bronze sein mußte. Die Erde bebte und die Häuser zitterten, sicherlich konnte niemand anders so gehen; und der Junge erschrak, als ihm einfiel, was er vorhin über ihn gesagt hatte. Er wagte nicht einmal den Kopf zu drehen, um nachzusehen, ob er es wirklich sei.
„Er geht vielleicht nur zu seinem eignen Vergnügen spazieren,“ dachte der Junge weiter. „Wegen der paar Worte, die ich über ihn gesagt habe, kann er doch unmöglich böse auf mich sein. Es war ja gar nicht schlimm gemeint.“
Anstatt nun geradeaus zu gehen, um womöglich an die Werft zu gelangen, bog der Junge in eine nach Osten führende Straße ein. Er wollte dem, der hinter ihm herkam, um jeden Preis ausweichen.
Aber gleich darauf hörte er den Bronzenen auch in diese Straße einbiegen. Da erschrak der Junge so sehr, daß er einfach nicht wußte, was er tun sollte. Und wie schwer ist es, einen Schlupfwinkel zu finden in einer Stadt, wo alle Türen fest verschlossen sind! Da sah er zu seiner Rechten eine alte aus Holz gebaute Kirche, die etwas abseits von der Straße in einer großen Anlage stand. Er bedachte sich nicht einen Augenblick, sondern stürzte auf die Kirche zu. „Wenn ich nur hineinkomme, werde ich wohl vor allem Übel beschützt sein!“ meinte er.
Während er dahinstürmte, sah er plötzlich einen Mann auf einem Sandweg stehen, der ihm winkte. „Das ist gewiß jemand, der mir helfen will,“ dachte der Junge; es wurde ihm ganz leicht ums Herz, und er eilte auf den Mann zu. Er hatte wirklich Herzklopfen vor lauter Angst.
Aber als er bei dem Mann angekommen war, der am Rande des Weges auf einem kleinen Schemel stand, stutzte er sehr. „Der kann mir doch nicht gewinkt haben,“ dachte er; denn jetzt sah er, daß der ganze Mann aus Holz war.
Er blieb vor dem Mann stehen und betrachtete ihn. Es war ein grobgeschnittener Kerl mit kurzen Beinen,