Ich rede zu viel. Francis Rossi

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Ich rede zu viel - Francis Rossi

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ich es als Kind, wenn er zuhause war. Wenn ich aus dem Fenster blinzelte und es schneite, fühlte ich mich glücklich, da ich wusste, dass er zufrieden und fröhlich den ganzen Tag über in der Wohnung weilte. Manchmal ging er auch im Haus herum und erledigte diese oder jene Aufgabe, doch er war wenigstens da. Meist fürchtete ich mich vor dem Sommer, da ich ihn dann kaum sah. Er war den ganzen Tag und sogar den Abend über weg und schuftete im Eiswagen. Sogar jetzt noch nervt mich der beginnende Sommer. Dazu kommt noch, dass es viel zu heiß wird, was ich auch nicht mag. Ich ziehe es vor, drinnen zu sein, mag den Regen, der gegen die Fenster prasselt – und die hochgezogene Zugbrücke.

      Noch vor seinem Tod erzählte ich das Dad. Seine Antwort verblüffte mich. „Auch ich habe es gehasst, zur Arbeit zu fahren, mein Sohn. Ich liebte es, zuhause bei deiner Mutter zu sein.“ Sein Arbeitstag begann mit einer Fahrt zu Großmutters Haus in Catford, jeden Morgen um 6.30 Uhr. Weiter ging es mit dem Beladen des Eiswagens. Um 9.30 Uhr kehrte er zurück, wusch sich und putzte sich heraus. Dann kam er herunter und frühstückte mit Mum, wonach er sich darauf vorbereitete, seine Runden zu drehen! Die Schulen, die Spielplätze, all die Straßen, wo sich die Kinder vielleicht draußen aufhielten. Er erzählte mir, dass Mum ihn oft bei seinem Job „behinderte“, da sie plötzlich in ihrem Babydoll-Nachthemdchen vor ihm gestanden habe. „Sie war ein gutes Mädchen und wusste, wie sie sich durchsetzen konnte.“ Ich hörte mir das an, unsicher, wie ich reagieren sollte, und fragte nach: „Wirklich?“ Dann strahlte sein Gesicht: „Yeah!“

      So war mein Vater, ein Ausbund an Leben. Die Leute dachten oft, er sei betrunken, weil er immer so gute Laune hatte. In Wahrheit rührte er aber nie einen Tropfen an. Es mag vereinfachend klingen, wenn ich mein Talent, auf der Bühne aus mir herauszugehen, meinem Vater zuschreibe. Die Freude daran, andere Menschen glücklich zu machen.

      Meine Mutter war anders. Sie hatte viele Freunde, Menschen, die sie innig mochten. Doch ihr Charakter war mit einem Hauch irischer Melancholie eingefärbt – einer merkwürdige Ängstlichkeit, die mit zunehmendem Alter und einer stärker werdenden Religiosität immer deutlicher zum Vorschein kam. Sie erlitt einen Zusammenbruch. Heutzutage hätte man ihr unterschiedlichste Arzneimittel und Therapien angeboten. Doch dieses Problem schien nur eine Facette ihres Charakters zu sein. Vielleicht habe ich von ihr meine Neigung zur Schwermut „geerbt“? Ich bin in der einen Minute der positivste Mensch auf der ganzen Welt – und in der nächsten schon der besorgteste. Entweder leitet sich das von der Kindheit ab oder von den Drogen. Vielleicht auch von beidem …

      Wenn ich heute auf meine Zeit als Jugendlicher zurückschaue, denke ich: Oh, nein, was für ein Hohlkopf! Ich versuchte, mich ständig anzupassen, an Situationen und an andere Menschen. Und dann traf ich auf Alan Lancaster. Wir waren gleichaltrig und besuchten die Sedgehill Gesamtschule in Beckenham. Sedgehill war verdammt brutal! Die ganzen Kinder aus den umliegenden Sozialwohnungen gingen auf die Schule, und es drehte sich alles darum, wie hart man war. Jeder, der seine Freude am Unterricht hatte, wurde mit einem abwertenden Blick gestraft und dementsprechend behandelt. Täglich wurden irgendwelchen Kindern die Köpfe eingeschlagen. Ich mochte das Lernen, wollte aber nicht verprügelt werden. Und so entwickelte ich eine Macker-Ausstrahlung, wobei die Freundschaft zu Alan half, denn er war der wirklich harte Bursche.

      Doch hauptsächlich war ich wie besessen von Popmusik, besonders den Everly Brothers. Ich liebte den Sound, die Songs und das Aussehen der Gitarren. Alan stand eher auf Del Shannon, die Shadows und Nat King Cole. Die meisten anderen Jungs interessierten sich eher für Sport, besonders Fußball. Ich hingegen mochte Fußball nicht, eine Sportart, in der Italiener traditionell ja ziemlich gut sind. Der Sportlehrer der Schule war ein Vollidiot, der uns anbrüllte: „Grätsch dazwischen!“ oder „Mäh ihn nieder, Junge!“ Da verliert man doch die Lust. Bis zum heutigen Tag schalte ich augenblicklich ab, wenn sich der Rest der Band über Fußball unterhält. (So geht es auch Andrew Bown.) Ich versuchte mich beim Rugby, was nach hinten losging. Das komplette Spielfeld war gefroren – so wie ich auch: schockgefroren –, was damit endete, dass man mich ständig umrannte. Schrecklich.

      Später fiel mir auf, dass es vielen Musikern ähnlich ging. Sie waren einfach nicht sportlich, zogen sich in ihre Zimmer zurück, saßen dort herum und übten Gitarre. Musiker wie Pete Townshend und Jimmy Page, Eric Clapton und David Bowie. Bei mir beschränkt sich das nicht nur auf eine Aversion gegen Sport. Abgesehen von der Musik, einigen wenigen Filmen und Comics, hatte ich einfach nichts anderes, was mir Spaß machte, etwas, zu dem ich eine Beziehung herstellen konnte. Wir besaßen eins dieser alten beigen Bush-Radios mit herausziehbarer Antenne. Es war immer auf Radio Luxemburg eingestellt. Das Radio hatte etwas Modernes an sich, wirkte beinahe schon futuristisch. Ich setzte mich hin und bewegte mich zum Rhythmus des Popsongs, den sie gerade spielten.

      Allerdings brachten sie damals kaum Stücke über das Transistorradio, die ich mochte, doch „Red River Rock“ von Johnny and the Hurricanes und „The Young Ones“ von Cliff Richard stachen heraus. Cliffs Scheibe übte den gleichen magisch-vereinnahmenden Einfluss auf mich aus wie „Stairway To Heaven“ Jahre später bei einer ganzen Generation von Led-Zeppelin-Fans. Der Titel wirkte so profund und jugendlich-prophetisch, besonders das Fazit: „Cos we may not / Be the young ones / Very long …“ Er brachte sogar den zwölfjährigen Schuljungen, der ich nun mal war, angesichts erahnter Nostalgie zum Weinen.

      Acker Bilks „Stranger On the Shore“ war hingegen ein Instrumental, das mich fast in Ohnmacht fallen ließ. Gütiger Jesus, wie Dad zu sagen pflegte … diese sinnlich tremolierende Klarinette und dann noch die an ein Strandkonzert erinnernden Streicher! Wurde das Stück an einem Sonntagmorgen gespielt, während wir vor unseren Würstchen und Schinken saßen, verfielen wir in eine Art kollektives „Erröten“ und ließen unsere Gefühlen langsam freien Lauf, die vom Tisch aus in den Raum auszustrahlen schienen. Niemand sprach, denn alle pendelten sich auf das schöne Gefühl ein.

      Dann kamen die Beatles und alles – alles! – änderte sich schlagartig. Nicht nur die Musik, sondern buchstäblich alles. Hat man die Zeit nicht miterlebt, lässt es sich nur schwerlich vorstellen, welch großen Wandel die Ankunft der Beatles weltweit auslöste. Es war Anfang der Sechzigerjahre, der Beginn einer neuen Nachkriegswelt. Die Beatles standen auf der Seite der Engel, hatten aber bessere Songs als der Teufel. Jeder Musiker kurz vor oder nach den Beatles wurde von der Band grundlegend beeinflusst.

      Was das Lernen eines Instruments anbelangte: Mit vier Jahren spielte ich auf einer Mundharmonika herum. Dann besaß ich ein Hohner-Mignon-Akkordeon, die italienische Marke, die so aussah, als verfüge sie über eine Klaviertastatur an der einen Seite. Allerdings musste man für das Instrument Unterricht nehmen, und ich hatte in dem Alter noch keine Geduld dafür. Ich wollte einfach raus in den Garten, um mit meinen Brüdern und Cousins zu spielen. Das Fernsehen war damals totaler Mist, denn es gab nur zwei Kanäle, die bei uns sowieso niemand schaute, da wir arbeiteten.

      All das wirkte sich auf meine Einstellung zur Musik aus. Ich musste unbedingt das Gitarrenspiel erlernen, und schon von Beginn an maß ich den Erfolg an der Popularität. Ich wollte natürlich ein guter Gitarrist sein, doch es würde mir nichts bedeuten, wenn es keinem gefiele. Sind Musiker ehrlich zu sich selbst, liegt allem diese Motivation zugrunde. In der Minute, in der man versucht, einem Publikum ein Ticket zu verkaufen, das den Musiker erleben möchte, wird der Erfolg an den Zahlen gemessen, daran, wie viele Besucher einen Künstler tatsächlich sehen wollen. Ich wollte immer wissen, wie viele Fans zu den Shows kamen. Wie viele Singles man von einem bestimmten Song absetzte, und in welchem Verhältnis das zu anderen Verkaufszahlen stand. Mum und Dad redeten ständig vom „Umsatz“, und genau so habe ich den Erfolg immer gemessen. Daran, wie viele Tickets und Karten wir verkauften. Wie viel „Stück“, um auf den Sprachgebrauch meiner Eltern anzuspielen.

      Ich kann mir gut vorstellen, dass einige Leser nun den Eindruck gewinnen, ich sei nur wegen des Geldes ins Musikbusiness eingestiegen. Das war allerdings nicht der einzige Grund, doch ich sah es als eine Möglichkeit, um über die Runden zu kommen. Ich würde es entweder als Musiker schaffen oder den Eiswagen durch die Straßen kutschieren. Es wäre einfach gewesen, mich dem Familiengeschäft

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