Geduld als Ressource. Bettina Siebert-Blaesing
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2.3.6.5 Karl Rahner
Im Jahr 1982 erklärt Karl Rahner (1904–1984)76 an der Universität Tübingen in seinem Vortrag Über die intellektuelle Geduld mit sich selbst (Rahner 1983), dass die Geduld mit der eigenen Person besonders schwierig sei, obwohl sich in ihr über die Gelassenheit die Freiheit zeige (vgl. Rahner 1983, S. 42). In seinen Ausführungen geht er auf das Verhältnis der stark gewachsenen Wissensbestände zur beschränkten Möglichkeit des Menschen ein, diese in einem Leben durchdringen zu können. Provokativ verfolgt er die These, dass der einzelne Mensch verglichen mit dem Menschheitswissen immer „dümmer“77 (Anm. BSB: In der Wortwahl Rahners) geworden sei, da er die Welt nicht mehr in übersichtlichen Kategorien beschreiben könne. Dies verlange im interdisziplinären Dialog, mit dem Rahner besonders die wissenschaftlichen Zuhörer*innen anspricht, einen respektvollen Umgang mit dem Wissen bzw. Nichtwissen der eigenen Person sowie anderer Personen (vgl. Rahner 1983, S. 6, S. 53–54). Die Geduld sieht Rahner als Bedingung an, um Nichtwissen ertragen zu lernen. Er vergleicht sie mit einer Vorstufe zur „docta ignorantia“ (Rahner 1983, S. 54–55), der Lehre des Nichtwissens, in der östliche wie westliche Mystiker ihre Erfahrung beschreiben, über die sie durch mentale Versenkung mit dem Göttlichen in Berührung kommen. Christliche Verantwortung sei es, in der Orientierung am Leben und Sterben Jesu geduldig die Widersprüchlichkeiten des Lebens auszuhalten, die Verantwortung des Mystikers bestehe darin, sich den Bedürfnissen der Armen in ihrem Alltag zuzuwenden (vgl. ebd., S. 54–55). Die Geduld, die Rahner als „Ausharren in der heutigen Spannung zwischen rationaler Einsicht und freier Entscheidung“ (ebd., S. 61) definiert, erfordert seiner Ansicht nach, die Fähigkeit des Menschen, mit seinen „Unzulänglichkeiten“ (ebd., S. 62) zurechtzukommen. Rahner betont, dass der Mensch „wie in winterlicher Zeit, mit sich Geduld haben müsse“ (ebd. S. 63).
2.3.6.6 Eberhard Jüngerl
Eberhard Jüngerl (geb. 1934)78 geht in seinem Vortrag Gottes Geduld – Geduld der Liebe (Jüngerl 1983) in der mit Rahner gemeinsam veröffentlichten Monografie Über die Geduld (Jüngerl und Rahner 1983) von einem leidenschaftlichen Gottesbild aus. Dort heißt es: „Gott ist geduldig – nicht obwohl, sondern weil er so leidenschaftlich ist“ (Jüngerl 1983, S. 11). Der Mensch ist ihm zufolge durch die Verbindung mit der Liebe Gottes in seiner Geduld und seiner Ungeduld leidenschaftlich. Die Geduld im Speziellen ist für Jüngerl „der lange Atem der Leidenschaft“ (ebd., S. 11). Auch die „Leidenschaft der Hoffnung“ (ebd., S. 24) wurzelt aus seiner Sicht in der Geduld. Am Vorbild der Geduld Gottes erfahre der Mensch, wie Gott ihm Raum und Zeit lasse, auch wenn seine Liebe einmal unerwidert sei (vgl. ebd., S. 29). Das Ziel der Geduld sei daher die Liebe und deren Triumph, die Zeit sowie Durchhaltevermögen erforderten (vgl. ebd., S. 11).
2.3.6.7 Kurt Marti
Kurt Marti (1921–2017)79 setzt sich in seiner Arbeit für ein Christentum ein, das sich sozial engagiert. In seinen Texten reflektiert er wie Sölle besonders den Vietnamkrieg, die Globalisierung, die atomare Bedrohung und die gesellschaftliche Verantwortung der Kirche. In seinem Gedicht „kirche hochzeit zwischen geduld und revolte“ (Marti 2011, S. 44)80 wendet er sich kritisch der Organisation Kirche und ihrem Umgang mit Macht zu. In der Formulierung „brüder stiftend in frommen verstecken die hochzeit zwischen geduld und revolte“ (sic, ebd.) äußert er seine Hoffnung auf strukturelle Veränderung in der Kirche über eine revolutionierende politische Eigenschaft der Geduld.
2.3.6.8 Johannes Kuhn
Johannes Kuhn (1924–2019)81 zufolge ist Geduld eine – wenn auch nicht geschätzte – Tugend, besonders für krisenhafte Tage. Um wirken zu können, braucht die Geduld Kuhn zufolge wie bei Jüngerl „einen langen Atem“ (Kuhn 1989, S. 7) und setze damit der Hektik des Alltages eine zeitliche Struktur der Langlebigkeit entgegen. Geduld ist nach Kuhn dort sinnvoll, wo das Lebenstempo das Handeln und Erleben zu stark bestimmt. Die Perspektive auf die Geduld ermögliche einen neuen, eigenen „Ausgangspunkt“ (ebd.), von dem aus sich eine als mühsam erfahrene Fragestellung anders betrachten lasse. Anlässe für Geduld können nach Kuhn im Leben unerwartet auftreten oder eine Routine unterbrechen. Geduld ereigne sich somit als eine Begegnung, die sich verbunden mit Unerwartetem und Ereignissen, Höhen und Tiefen zeige und in einen „Lernprozeß“ (ebd.), den er mit „Das Leben ist so!“ (ebd.) kommentiert, einbinde (vgl. Kuhn 1989, S. 7).
2.3.6.9 Tomáš Halík
Tomáš Halík (geb. 1948, vgl. Halík 2010) diskutiert in seiner Monographie „Geduld mit Gott“ (Halík 2010) die Frage, warum Gott gerade in persönlichen und gesellschaftlichen Krisen – wie es der Atheismus im Kommunismus ihm zufolge darstellt – als nicht erfahrbar erlebt werde. Halík versteht Geduld als Unterscheidungskriterium zwischen dem Glauben und dem Atheismus. Halíks Auffassung nach wirkt Gott oft im Verborgenen und lädt den Menschen dazu ein, mit ihm geduldig zu sein. Dies zeige sich besonders im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe, die er als die drei „Aspekte unserer Geduld mit Gott“ (Halík 2010, S. 10–11) definiert, über die in einer Glaubenskrise der Einfluss Gottes erfahrbar werden könne (ebd.). Die Aufgabe des Priesters sei es, anderen Menschen mit Geduld und Respekt zu begegnen (ebd., S. 29) und sie unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Status orientiert am Vorbild Jesu in ihrem Leben und ihrer Suche nach Sinn mit Offenheit in ihren existenziellen Fragen zu begleiten (vgl. ebd., S. 38–40). Am Beispiel der Begegnung von Zachäus und Jesus werde deutlich, dass die Figur Jesu selbst ein Vorbild in Bezug auf Geduld gewesen sei (vgl. Halík 2010, S. 69).
2.3.6.10 Jean-Philippe Toussaint
Jean-Philippe Toussaint (geb. 1957)82 geht von einer Dualität der Kräfte in einem kreativen Prozess des Schreibens aus. Seiner Auffassung nach sind die „Dringlichkeit und die Geduld“ (Toussaint 2012, S. 21–22) die beiden Pole, die einen Schreibprozess maßgeblich bestimmen. Vordergründig scheinen sie nach Toussaint nicht vereinbar zu sein. Dennoch bedingten sie einander und sorgten bei jedem Schriftsteller in unterschiedlicher Gewichtung für die Entstehung eines Werkes. Mit der Dringlichkeit kämen der Antrieb und das Tempo hinzu, die Geduld zeige sich im Durchstehen in zähen Phasen, bringe Langsamkeit und Beständigkeit mit sich, meist zu Beginn und im gründlichen Abschluss des Werkes (vgl. ebd.). Bei Toussaint heißt es: „Alles beginnt und endet beim Schreiben eines Buches mit der Geduld“ (ebd., S. 23). Die Dringlichkeit entspricht ihm zufolge dem aktiven, anstrengenden Eindringen in den abstrakten Ort eines Inneren (vgl. ebd., S. 33). Erreichbar sei sie als Zustand, in dem alles herausbricht und sich von selbst entwickelt, „nur mit unendlicher Geduld“ (ebd., S. 35) und stelle deren Belohnung dar (vgl. ebd.). Die Geduld zeige sich gerade in den Phasen der „Flaute“ (ebd. S. 36–37) des „Nichtvorankommens“ (ebd.), in denen „Ausdauer“ (ebd.), „Zähne zusammenbeißen“ (ebd.) und „Dranbleiben“ (ebd.) gefordert seien.
2.3.7 Zusammenfassung: Geduld im historischen Kontext
Über die genannten historischen Kontexte und persönlichen Lebensbedingungen hinweg werden Veränderungen des Verständnisses von Geduld sichtbar (vgl.