Big Ideas. Das Politik-Buch. John Farndon
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Wie die meisten gebildeten jungen Männer der Mittelklasse verfolgte Konfuzius eine Karriere als Verwaltungsbeamter. Dabei entwickelte er bestimmte Vorstellungen, wie ein Land regiert werden sollte. Die Beziehungen zwischen dem Herrscher und seinen Ministern sowie dem Herrscher und seinen Untertanen kannte er aus erster Hand. Er wusste genau, wie heikel die politische Situation war. Daher machte er sich daran, ein Rahmenwerk zu formulieren, das die Herrscher in die Lage versetzen würde, auf der Grundlage eines eigenen Systems der Moralphilosophie gerecht zu regieren.
Konfuzius’ Standpunkt war fest in der chinesischen Tradition verankert; im Kern ging es ihm um Loyalität, Pflicht und Respekt. Diese Werte verkörperte der junzi oder Ehrenmann: Sein Verhalten sollte den anderen als Beispiel dienen. Konfuzius hielt die menschliche Natur nicht für perfekt, aber er glaubte, sie könne durch das Vorbild aufrichtiger Tugend verändert werden – genau wie die Gesellschaft insgesamt durch das Vorbild einer gerechten und wohlwollenden Regierung.
Die Vorstellung der Gegenseitigkeit – dass ein gerechter und großzügiger Umgang eine ebensolche Reaktion hervorruft – ist ein Grundpfeiler der konfuzianischen Moralphilosophie. Damit eine Gesellschaft gut ist, muss ihr Herrscher die Tugenden verkörpern, die er bei seinen Untertanen sehen möchte. Die Menschen ihrerseits werden durch Loyalität und Respekt inspiriert, diese Tugenden zu leben.
In der Sammlung seiner Lehren und Sprüche, bekannt als Analekten, rät Konfuzius: »Wenn Eure Hoheit das Gute wünscht, so wird das Volk gut. Das Wesen des Herrschers ist der Wind, das Wesen der Geringen ist das Gras. Das Gras, wenn der Wind darüber hinfährt, muss sich beugen.« Um diese Idee umzusetzen, musste jedoch eine neue Gesellschaftsstruktur etabliert werden: In ihr sollte die neue meritokratische Klasse der Verwaltungsbeamten ihren festen Platz bekommen, während die traditionelle Herrschaft der adligen Familien weiterhin respektiert werden würde. Bei seinem Vorschlag, wie dies zu erreichen sei, verließ sich Konfuzius erneut auf traditionelle Werte. Er wollte die Gesellschaft umgestalten und sich dabei an den Beziehungen innerhalb der Familie orientieren. Für Konfuzius waren die Güte des Herrschers und die Loyalität seiner Untertanen wie ein Abbild des liebenden Vaters und seines gehorsamen Sohnes.
Konfuzius glaubte, ein weiser und gerechter Herrscher habe einen wohltuenden Effekt auf seine Untertanen.
Konfuzius glaubte, dass es fünf solche »elementaren Beziehungen« gibt: Herrscher – Untertan, Vater – Sohn, Ehemann – Ehefrau, älterer Bruder – jüngerer Bruder und Freund – Freund. Innerhalb dieser Beziehungen geht es nicht nur um den Rang der jeweiligen Personen in Bezug auf Generation, Alter und Geschlecht, sondern auch darum, dass es auf beiden Seiten Pflichten gibt. Die Verantwortung des Überlegenen gegenüber dem Unterlegenen ist genauso wichtig wie die des Jüngeren gegenüber dem Älteren. Die familiären Beziehungen übertrug Konfuzius auf die Gesellschaft als Ganzes, die dadurch ihren Zusammenhalt erhält: Die wechselseitigen Rechte und Pflichten sorgen für eine Atmosphäre der Loyalität und des Respekts unter den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten.
Die ererbte Herrschaft rechtfertigen
An der Spitze der konfuzianischen Hierarchie stand der Herrscher, der diesen Status ohne jeden Zweifel ererbt hatte. In dieser Hinsicht war das konfuzianische Denken konservativ. Die Familie galt als Modell für die Beziehungen innerhalb der Gesellschaft, der traditionelle Respekt gegenüber den Eltern wurde entsprechend dem Thronerben entgegengebracht. Die Position des Herrschers war allerdings nicht unanfechtbar, ein ungerechter oder unkluger Herrscher verdiente es, dass man ihm Widerstand entgegensetzte oder ihn sogar absetzte.
In Bezug auf die nächste Gesellschaftsschicht war Konfuzius besonders innovativ. Er wollte eine Klasse von Gelehrten etablieren, die als Minister, Berater oder Verwalter fungieren sollten. Aufgrund ihrer Mittlerposition zwischen Herrscher und Untertanen hatten sie die Pflicht, beiden Seiten gegenüber loyal zu sein; damit trugen sie viel Verantwortung. Für diese Aufgabe kamen also nur sehr fähige Kandidaten infrage. Wer ein öffentliches Amt bekleidete, musste höchsten moralischen Ansprüchen genügen; er musste ein junzi sein. Im konfuzianischen System wurden die Minister vom Herrscher ernannt. Daher hing viel davon ab, wie es um den Charakter des Staatsoberhaupts selbst bestellt war. Konfuzius sagte: »Die Kunst des Regierens besteht darin, die richtigen Menschen zu bekommen. Man erhält sie über den Charakter des Herrschers. Dieser Charakter muss kultiviert werden, indem er dem Weg der Pflicht folgt. Dass er dem Weg der Pflicht folgt, erreicht man, indem er die Güte zu schätzen lernt.«
»Die rechte Regierung besteht darin, dass die Herrscher Herrscher, die Minister Minister, die Väter Väter und die Söhne Söhne sind.«
Konfuzius
Die Rolle der Beamten war vorrangig beratend. Minister mussten sich nicht nur in Bezug auf die Verwaltung und die Struktur der chinesischen Gesellschaft gut auskennen, sondern auch über Geschichte, Politik und Diplomatie Bescheid wissen. Das war nötig, um dem Herrscher bei Allianzen und Kriegen mit Nachbarstaaten zur Seite stehen zu können. Zudem hatte die neue Gesellschaftsklasse die Aufgabe, den Herrscher am Despotentum zu hindern. Zwar waren die Beamten ihrem Vorgesetzten gegenüber loyal, doch gleichzeitig verhielten sie sich wohlwollend gegenüber den Untertanen. Sie mussten wie der Herrscher durch ihr Beispiel führen und sowohl das Staatsoberhaupt als auch die Untertanen durch ihre Tugend beflügeln.
Die Bedeutung des Rituals
Viele Teile der Schriften des Konfuzius lesen sich wie ein Handbuch der Etikette oder des Protokolls. Sie gehen auf das angemessene Verhalten eines junzi in den verschiedensten Situationen ein. Betont wird, dass es sich bei den beschriebenen Ritualen nicht um Leerformeln handelt, vielmehr haben sie einen tieferen Sinn. So war es wichtig, dass die daran Beteiligten sich aufrichtig verhielten, um die Bedeutung der Rituale zu verdeutlichen. Staatsbeamte etwa mussten ihre Pflichten tugendhaft erfüllen und sollten dabei auch gesehen werden. Konfuzius legte großen Wert auf Zeremonien. Sie signalisierten, welche Positionen eine Person innerhalb einer Gesellschaft einnahm.
Zeremonien und Rituale erlaubten es den Staatsbeamten, Ergebenheit (nach oben) und Rücksichtnahme (nach unten) zum Ausdruck zu bringen. Doch Konfuzius zufolge sollte es in allen Gesellschaftsgruppen Rituale geben: vom formalen Zeremoniell bei Hofe bis zur täglichen sozialen Interaktion, bei der die Beteiligten sorgfältig ihre Rollen einhielten. Nur so konnte die Idee der Führung durch Vorbild Erfolg haben. Für Konfuzius zählten dabei Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit zu den wichtigsten Tugenden, Treue war ebenfalls von Bedeutung.
Viele der Rituale und Zeremonien entstammten religiösen Riten, aber dieser Aspekt stand nicht im Vordergrund. Die Ethik des Konfuzius beruhte nicht auf religiösen Überzeugungen. Er ging einfach davon aus, dass die Religion einen festen Platz in der Gesellschaft hat. Tatsächlich bezog er sich in seinen Schriften selten auf die Götter. Allenfalls äußerte er die Hoffnung, dass die Gesellschaft in Übereinstimmung mit dem Mandat des Himmels organisiert und regiert werden könne – was dazu beitragen würde, die Staaten, die um die Macht kämpften, zu vereinen. Obwohl Konfuzius an die Vererbung der Herrschaft glaubte, sah er keine Notwendigkeit, sie als göttliches Recht hinzunehmen.
»Der Edle regiert die Menschen nach ihrem Charakter, wie es zweckmäßig ist, und sobald sie sich vom Falschen abwenden, hört er damit auf.«
Konfuzius