Das Geheimnis von Karlsruhe. Bernd Hettlage
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„Richtig“, sagte Birkenmeyer, „die alten Ägypter ließen sich so begraben. Um zur Mumie zu werden, mussten ihnen die Organe, die ja im Körper verfaulen konnten, entfernt werden. Und ihre Herrscher, die Pharaonen, wurden wo bestattet? In Pyramiden. Ein ägyptischer Bestattungsritus bei den Markgrafen? Oh ja, und es geht noch weiter.“ Birkenmeyer hob jetzt die Hände wie ein Prediger, Fink ließ die Taschenlampe kreisen. Das Ganze wirkte tatsächlich ein wenig unheimlich. Nicht schlecht gemacht, dachte Arnold amüsiert.
„Die Pharaonen ließen sich zwar ohne Organe begraben, doch zu den Grabbeigaben gehörte auch ihr Herz. Das wurde ihnen auf den Sarkophag gelegt oder mit hinein in den Sarkophag, denn für jeden Ägypter gab es ja noch das Totengericht. Bevor sie ins Totenreich kamen, musste sich jeder, auch die Pharaonen, vor Osiris rechtfertigen, dem Herrscher des Totenreiches. Das Totengericht befand sich in der Halle der Wahrheit.“
Birkenmeyer hielt inne, weil eine Straßenbahn kreischend um die Kurve in Richtung Hauptbahnhof bog. Die Menge ließ sich nicht stören. Alles hing an den Lippen des dicken, schwitzenden Regisseurs, der sich wieder einmal über den Kopf strich und dabei beiläufig seine Haare in die rechte Form zu bringen versuchte.
Die Straßenbahn hielt hinter ihnen, ein paar Menschen kamen heraus und blieben stehen, um zu schauen, was vor der Pyramide im Gange war. Der Regisseur und sein Assistent waren inzwischen über die niedrige Kette gestiegen, die rings um die Pyramide verlief, um deren leicht ansteigenden Sockel als Bühne zu benutzen.
„In der Mitte der Halle der Wahrheit“, hob Birkenmeyer an, als die Straßenbahn endlich weitergefahren war, „stand die Seelenwaage. Auf der wurde das Herz des Toten gewogen. Wenn der Verstorbene sich durch genau vorgeschriebene Formeln aus dem Totenbuch von seinen Sünden freisprach, zeigte die Waage an, ob er die Wahrheit sagte. Neigte sich die Schale mit dem Herzen aber, so log er und es wurden ihm schreckliche Strafen auferlegt, Feuer und Folter, er wurde von einem Ungeheuer verschlungen und der Weg ins Totenreich war ihm für immer versperrt. Nur wer ein reines Herz hatte, ein Herz, leicht wie eine Feder, durfte das Reich des Osiris betreten.“
Birkenmeyer hielt kurz inne und sah bedeutungsvoll in die Zuschauermenge. „Und jetzt raten Sie, meine Damen und Herren, wo sich die Herzen der Markgrafen befinden?“ Er fixierte noch einmal sein Publikum. „Sie wurden ihnen in herzförmigen Urnen auf ihre Sarkophage gelegt, sodass auch die Markgrafen bei ihrer Reise ins Totenreich ihre Herzen dabeihatten – ganz genauso wie bei den Ägyptern.“
Ein ungläubiges Staunen ging durchs Publikum.
„Beweise“, rief jemand.
Birkenmeyer strahlte. „Wir können zwar die Pyramide nicht betreten – und selbst wenn, könnten wir es nicht sehen, denn die Grabkammer des Markgrafen ist ja zugemauert, wie wir heute wissen – angeblich.“ Er zwinkerte verschwörerisch. „Aber gehen Sie mal am Tag des Denkmals, der übrigens am kommenden Sonntag stattfindet, in die Grabkapelle der badischen Markgrafen im Hardtwald. In der dortigen Gruft im Keller der Kapelle können Sie den Beweis besichtigen. Die Herrschaften und ihre Gattinen haben alle herzförmige Urnen auf ihren Särgen, in denen ihre Herzen – oder das, was von ihnen übrig ist – aufbewahrt werden. Bei jeder Führung wird Ihnen bereitwillig bestätigt, was ich Ihnen gerade erzählt habe.“
Birkenmeyer machte wieder eine Pause und ließ seine Worte wirken.
„Übrigens“, fuhr er dann fort, „um noch einmal zu den Geheimgesellschaften zu kommen, die diese Stadt gegründet haben: Thomas Jefferson, der spätere Präsident der USA, besuchte im Jahr 1788 Karlsruhe und schuf die Hauptstadt Washington nach dem Vorbild des Karlsruher Stadtgrundrisses. Und sehen Sie sich mal die Dollarnote an.“
Er zog tatsächlich eine aus seiner Tasche, sein Assistent hielt auf einmal ein DIN-A4-Blatt mit einer vergrößerten Kopie eines Dollarscheines in der Hand und schwenkte sie, beleuchtet von seiner Taschenlampe, von rechts nach links, sodass jeder sie sehen konnte.
„Eine solche Pyramide haben wir ja auch hier vor uns. Sie ist übrigens auch ein Illuminatensymbol. Und Jefferson war ebenfalls ein Freimaurer. Dito George Washington.“
Er schmunzelte und stieg schwungvoll vom Sockel der Pyramide herab.
„Weiter geht’s!“
Doch nach ein paar Metern stoppte er schon wieder.
„Schauen Sie sich noch einmal um in Richtung Schloss.“
Die Menge folgte ihm, als sei er ihr Dompteur.
„Wenn wir von sogenannten Geheimgesellschaften reden ... Ich sage Ihnen, die sind noch heute in Karlsruhe aktiv.“ Er winkte die Gesellschaft eng zu sich heran und senkte die Stimme, als ginge es jetzt um etwas besonders Geheimnisvolles oder gar Gefährliches. „Sehen Sie links das ‚m‘ des Hotels am Markt? Rechts prangte ein großes ‚V‘ am alten Volksbankgebäude. Am neuen ist es, warum auch immer, nicht mehr zu sehen. Zwei hervorstechende Embleme, die das Schloss bis vor wenigen Jahren einrahmten. Und wo finden wir diese beiden Buchstaben wieder?“
Er leuchtete die Gesichter der Umstehenden an, auch das von Arnold, der nah an ihn herangetreten war, um alles zu verstehen. Birkenmeyer beugte sich nach vorn und raunte: „Der berühmte und sagenumwobene MI 5, der britische Geheimdienst, führt die beiden Buchstaben M und V in seinem Wappen.“
Er richtete sich wieder auf. „Oh ja, meine Damen und Herren“, sprach er mit nun dröhnender Stimme. „Seien Sie vorsichtig, in Karlsruhe, da hatte die seltsame Dame vorhin gar nicht unrecht, ist bis heute so einiges im Gange, an dem man besser nicht rühren sollte.“
„Humbug“, sprach ihn da jemand von der Seite an. „Das ist doch Humbug, was Sie da erzählen.“ Es war der kleine Mann mit dem wirren Haar, der Arnold schon zu Beginn der Veranstaltung aufgefallen war. Ob er etwa auch zu den Schauspielern gehörte?
„Sie vermischen durchaus Ernsthaftes und Wahres mit völligem Blödsinn. Sie treiben hier Klamauk, das ist der Sache nicht angemessen. Das Geheimnis, um das es hier geht, ist viel größer, als Sie überhaupt ermessen können. Sie wissen gar nicht, was Sie tun, also lassen Sie es besser sein.“
Birkenmeyer lächelte, als sei er geradezu erfreut über den Protest.
„Guter Mann!“
Er hob beschwichtigend die Hände.
„Ach was!“
Der Mann wirkte wirklich zornig.
„Es ist wie immer: Halbwissen zu verbreiten ist viel schlimmer, als gar nichts zu wissen.“
„Aber Sie wissen wirklich Bescheid?“, fragte Birkenmeyer.
„Ja, allerdings“, antwortete der Mann.
Es sah aus, als wollte er noch etwas hinzufügen, doch dann schüttelte er den Kopf und entfernte sich. Birkenmeyer lächelte, sah aber gleichzeitig ein wenig unsicher aus.
Lukas Arnold folgte kurz entschlossen dem Mann, der schnellen Schrittes von der Menge weglief.
„Warten Sie!“
„Was?“ Der Mann drehte sich unwirsch um.
„Warten Sie bitte.“
Vor dem Eckhaus, in dem das