Robin Gibb und die Bee Gees. André Boße

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Robin Gibb und die Bee Gees - André Boße

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Vinylkeller. Ein Eldorado für Menschen, die jederzeit eidesstattlich beschwören würden, Musik klinge definitiv besser, wenn sie auf Schallplatten gepresst und nicht digital komprimiert werde. Der Besitzer des Record-Shops ist ein typischer Vertreter dieses Berufsstandes: lange, fettige Haare, ein uraltes Tour-T-Shirt der Band Grateful Dead, mindestens vollschlank und auf den ersten Blick übel gelaunt. Doch seine Stimmung bessert sich schlagartig, wenn er in seinem Laden einen Kunden entdeckt, der sich für die richtigen LPs interessiert und bereit ist, ein paar Euro in das Kulturgut Schallplatte zu investieren.

      Nach einigem Stöbern findet man in einer Kiste auf dem Boden auch eine Handvoll Bee-Gees-Platten. Nicht die großen Verkaufsschlager der Band, sondern die Alben aus den frühen Siebzigerjahren, die sich damals eher schlecht verkauft haben und die heute kaum noch jemand kennt: Two Years On, Trafalgar, To Whom It May Concern – alle sind sie für knapp über zehn Euro zu haben. Der Besitzer des Concerto schaut an der Kasse auf die Cover, grinst und sagt: „War vielleicht ihre beste Phase. Die meisten Bands haben ihre besten Platten gemacht, wenn sie am wenigsten erfolgreich waren. Dann hat man nämlich als Künstler die Gelegenheit, sich auf das Talent zu konzentrieren.“

      Unverhofft zwängt sich der Plattenverkäufer mühsam hinter dem Tresen hervor, obwohl er seinen Platz während der Öffnungszeiten eigentlich nur im absoluten Notfall verlässt, verschwindet nach hinten ins Lager und kommt mit einer in roten Samt verkleideten Box zurück: Odessa, das kreative Meisterwerk der Gibbs aus dem Jahr 1969, die originale Doppel-LP in der legendären Luxus-Aufmachung. Der Preis ist beachtlich. Zu beachtlich. „Dann vielleicht beim nächsten Mal“, sagt der Plattenverkäufer und schiebt sich wieder hinter seinen Tresen. Beim Rausgehen ruft er hinterher: „Es gab mal eine Zeit, als es total uncool war, Bee-Gees-Platten zu kaufen. Die Typen, die das gesagt haben, waren ignorante Idioten, die heute Lady Gaga aus dem Internet herunterladen.“ Sein Lachen ist noch auf der Straße zu hören. Draußen dann ein kurzer Finanzcheck – und die Überlegung, ob Odessa im Original nicht vielleicht doch drin ist, wenn am Abend beim Essen gespart wird.

      Dritte Stunde, 18–19 Uhr

      Telefonat mit der Mutter. „Mensch, Robin Gibb. Die Bee Gees.“ Pure Nostalgie in ihrer Stimme. Erinnerungen an Weihnachten 1967. Der Plattenspieler war gerade ein paar Monate alt, als Geschenk gab es – hübsch eingepackt und liebevoll verziert – die Single World von den Bee Gees. Schnell in Mädchenschrift den Namen auf das Cover geschrieben, denn die Platte sollte natürlich bei der nächsten Party mit dabei sein.

      Jahre später wurde die Single dann an den Sohn weitergegeben, der die Plattenkiste zusammen mit dem Plattenspieler im Verlauf einer langweiligen Herbstferienwoche entdeckte. Das Foto auf dem Cover faszinierte: Die Bee Gees waren damals zu fünft, von links die drei Brüder: Barry in lockerer Pose wie aus einem Modekatalog, Maurice in Himmelblau und freundlich lächelnd, in der Mitte Robin mit hellbrauner Cordjacke sowie ungelenk vor dem Unterleib gefalteten Händen. Dann folgen Gitarrist Vince Melouney und Schlagzeuger Colin Petersen, die in den Sechzigerjahren die Bee Gees zu einem Quintett machten. Schon damals der Gedanke: Wenn das das beste Foto war, wie sahen dann die anderen aus? Doch schnell stellten sich andere Fragen: Welche Beziehung werden diese drei Brüder untereinander haben? Wer bestimmt, wo es langgeht? Und wieso schreiben diese drei Kerle, die noch so jung aussehen, so melodramatische Musik mit metaphysischen Texten?

      „Now I found that the world is round / And of course it rains everyday.“ Die Vokabeln waren selbst für einen Sextaner kein Problem, aber was zum Teufel sollten diese Zeilen bedeuten? Die B-Seite verwirrte dann endgültig: Sir Geoffrey Saved The World. Keiner konnte sagen, wer dieser Sir Geoffrey gewesen sein sollte, und auch die Musik war nicht sehr überzeugend. „Ist ja auch nur die B-Seite, die sind nie so gut“, sagte ein Kenner aus der Nachbarschaft. Die Herbstferien endeten schließlich mit einer selbst veranstalteten Kinderzimmer-Hitparade mit den Singles aus Mamas Plattenkiste. Um der Auswahl eine gewisse Endgültigkeit zu geben, wurden die Platzierungen in krakeliger Jungenschrift auf dem Cover festgehalten. Die Bee Gees schaffen es mit World auf Platz drei. Davor nur noch Eloise von Barry Ryan und In The Year 2525 von Zager & Evans. Ob Robin Gibb mit seinem Abschneiden zufrieden wäre? Er legt ja sehr viel Wert auf Hitparadenplatzierungen, das ist bekannt. Man könnte ihn das gleich einfach mal fragen. Wobei diese Hitparade ja eigentlich keinen interessiert, bis auf die Mutter vielleicht …

      Vierte Stunde, 19–20 Uhr

      Rund um den Leidseplein gibt es Dutzende Bars, Kneipen und Restaurants. Hier findet man das Amsterdam, das alle lieben: wuselig, farbenfroh, entspannt. Es ist noch immer warm, die Menschen sitzen draußen, trinken, reden, beobachten. Vor der Sugar Factory, einem angesagten Club mit tollem Disco-Programm, versammeln sich ein paar junge Leute aus den Vorstädten Amsterdams. Ein weiteres vollgepacktes Auto fährt heran, und als die Türen aufgehen, ballert aus dem Wagen Musik in unmenschlicher Lautstärke. Fette Hiphop-Beats, das perfekte Warm-up für diese professionellen Partygänger. Ein Track von Jay-Z läuft aus, dann startet ein neuer: Hate In Your Eyes von Mack 10. Der Kerl rappt böse und grimmig, er hat keine schöne Geschichte zu erzählen. Doch die Musik hebt die Stimmung: Der Gangsta-Rapper Mack 10 aus Kalifornien hat für seinen Song Stayin’ Alive von den Bee Gees gesampelt: den Beat, die Gitarre und auch die Melodie.

      Dies ist zwar nicht New York City im Jahr 1977, sondern Amsterdam mehr als 30 Jahre später. Aber für einen Moment kann man sich vorstellen, wie diese Musik damals durch die sommerliche Stadt pulsiert und Menschen glücklich gemacht hat. Die Party-People aus der Vorstadt haben allemal ihren Spaß. Sie singen – als sich das Auto und mit ihm die Musik schon lange auf die elendige Suche nach einem Parkplatz gemacht hat – mit höchstmöglichen Stimmen das berühmte „ha-ha-ha-ha“ aus dem Refrain und ziehen weiter auf die Vergnügungsmeile.

      Fünfte Stunde, 20–21 Uhr

      Zum Frischmachen zurück ins eigene Hotel. Es gibt deutsches Fernsehen, im ZDF läuft Wetten, dass..?, live aus München. Als musikalische Gäste sind Take That dabei, die ihren neuen Song The Garden vorstellen, damals noch ohne den Wiederkehrer Robbie Williams. Ganz hübsches Lied, aber man denkt unweigerlich daran, dass sich jeder in der Halle und vor dem Fernseher freuen würde, wenn die Jungs einen ihrer alten Hits sängen. Back For Good, Never Forget oder How Deep Is Your Love? – Letzteres ein Song der Brüder Gibb. Schon komisch, wie oft man den Bee Gees begegnet, wenn man darauf wartet, mit einem von ihnen zu sprechen.

      Die Wetten sind eher langweilig, man hat Zeit für Erinnerungen. Die Gibbs waren ein paar Mal zu Gast bei Thomas Gottschalk und spielten ihre Hits der Achtziger- und Neunzigerjahre, die man schon aus dem Radio kannte: You Win Again, Alone, This Is Where I Came In. Es gibt Künstler, die man automatisch mit Wetten, dass..? verbindet, weil sie so häufig in der Show zu Gast waren und ihre Lieder irgendwie in eine Samstagabendshow für die ganze Familie passen: Chris de Burgh, Joe Cocker, Rod Stewart, Peter Maffay – und eben auch Robin Gibb und die Bee Gees. Einmal, 1991, waren Robin und Maurice ohne Barry in der Show, als Paten für eine Wette, bei der zwei Kandidaten aktuelle Poplieder daran erkannten, auf welche Art ihre Schallwellen ein Kerzenlicht ins Flackern brachten. Robin hatte wasserstoffblonde Haare und trug einen Zopf, Maurice riss pausenlos Witze. Dann sang Thomas Gottschalk zusammen mit den beiden Brüdern I’ve Gotta Get A Message To You; sicherlich das erste und letzte Mal, dass ein Lied über einen zu Tode verurteilten Straftäter in einer großen Samstagabendshow intoniert wurde.

      Sechste Stunde, 21–22 Uhr

      Zurück im Hotel „Okura“, das sich im Laufe der letzten Stunden in einen Ort voller Glanz und Gloria verwandelt hat. Hier findet heute Abend eine Benefiz-Gala für die hohe Gesellschaft von Amsterdam statt. Männer in Smokings, Frauen in Abendkleidern. Mittendrin und unverkennbar: der baumlange Tour-Manager, jetzt auch im schwarzen Anzug. Robin Gibb ist der Stargast dieses Charity-Events. Er gibt ein kurzes Konzert mit den größten Erfolgen der Bee Gees und Juliet, seinen Solo-Hit aus den Achtzigern. Sein Gig soll dazu beitragen, dass die ehrenwerten und schwerreichen „Damens en Heren“ bei der Tombola möglichst viele Lose kaufen. Zudem ist der Auftritt ein Testlauf für

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