Robin Gibb und die Bee Gees. André Boße
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Zwischen den Galagästen wirkt die Smoking-lose Gruppe, bestehend aus dem Tour-Manager, den Tontechnikern und Musikern sowie einem deutschen Journalisten, wie ein Fremdkörper. Einige Gäste finden genau das interessant und beginnen, Fragen zu stellen: Wer man sei, was man für einen Auftrag habe, ob es auch irgendwo kühles Bier gebe, denn auf Dauer sei der Champagner ja auch nichts. Bier gibt es zwar nirgendwo, aber dass man etwas mit Robin Gibb zu tun hat, lässt selbst stark umschminkte Augen funkeln. Es fallen viele Kommentare: „Ein Held meiner Jugend.“ „Die unverkennbarste Stimme der Popmusik.“ „Der sensible unter den drei Brüdern.“ „Ein Mann, der auch seine schweren Zeiten hatte.“ „Etwas kauziger Typ mit komischen Frauengeschichten.“
Dann ist es kurz vor 22 Uhr, und der Tour-Manager mahnt zum Aufbruch: „Bitte ihn nicht warten lassen!“ Es geht mit dem Aufzug ungezählte Stockwerke nach oben, dann durch einen dieser endlos scheinenden und verwinkelten Hotelgänge in Robins Zimmer. Auf das Klopfen öffnet ein Assistent. Die Suite ist nicht übermäßig groß, auf dem Tisch liegen Plakate, Autogrammkarten und ein Filzstift. Robin Gibb trägt bequeme schwarze Kleidung, der Anzug, den er nachher auf der Bühne tragen wird, liegt schon parat. Der Fernseher läuft, ein Nachrichtensender zeigt unschöne Bilder von einem Unglück. „Are you from Germany?“, fragt Robin. „Ja. Für Sie eigentlich immer ein guter Ort, oder?“ Seine Antwort kommt sofort, er spricht schnell, die Fakten sitzen: „Mein Song Juliet war dort ein Nummer-eins-Hit, und 1967/68 hatten wir in Deutschland drei Nummer-eins-Hits in Folge: Massachusetts, World und Words.“
Wenn Robin Gibb über Hitparaden reden darf, dann ist er in seinem Element. Und dann hat er eben doch noch Freude daran, noch einmal ausführlich über sein Leben zu reden. Über ein Leben, das von Beginn an von der Musik, seinen Brüdern und der gemeinsamen Band bestimmt wird: den Bee Gees.
Dass ihre Söhne Barry, Robin und Maurice über ein besonderes gesangliches Talent verfügten, entdeckte Barbara Gibb an einem Samstagnachmittag im Jahr 1957. Wie so oft war Großvater Gibb zu Gast in der Mietwohnung von Sohn Hugh und dessen Familie in Manchester, um sich ein Cricket-Match im Fernsehen anzuschauen. Als Barbara die Wohnungstür öffnete, hörte sie laute Musik. „Soll ich den Jungs sagen, dass sie das Radio leiser drehen sollen?“, rief sie ihrem Schwiegervater zu. „Das wird nichts nützen“, entgegnete der, „das ist nicht das Radio, das sind die Jungs, die da singen!“ Ungläubig folgte Barbara Gibb dem Gesang bis ins Kinderzimmer. Was sie da hörte, klang nicht nach ein paar Kids, die singen. Dafür klang es einfach zu gut. Zu ausgefeilt. Zu harmonisch. Doch da saßen ihre drei Söhne auf dem Bett und sangen Popsongs – und zwar formvollendet im harmonischen Dreiklang!
Großvater Gibb war weniger überrascht als seine Schwiegertochter, schließlich hatte er die erstaunlichen Gesangseinlagen seiner drei Enkel schon öfter gehört; sie waren gewissermaßen der Soundtrack zu seinen Cricket-Nachmittagen vor dem Fernseher. Dann versammelten sich Barry (geboren am 1. September 1946) und die Zwillinge Robin und Maurice (geboren am 22. Dezember 1949) im Spielzimmer, stülpten leere Konservendosen über Haarbüsten und sangen so gut in ihre „Mikrofone“, dass ein jeder den Eindruck bekommen konnte, diese Stimmen gehörten Profis. Für ihre Gesangseinlagen mussten die Brüder nicht einmal alle zugleich in einem Raum sein: Es schien, als unterstützten sich ihre Stimmen in traumwandlerischer Sicherheit gegenseitig – auch wenn der eine im Wohnzimmer, der andere im Bad und der dritte in der Küche weilte. „Zwischen den dreien gab es von Anfang an etwas ganz Besonderes“, beschreibt Barbara Gibb die Beziehung der Brüder.
Heute etwas mit Begeisterung zu machen und morgen schon die Lust daran zu verlieren, ist ein übliches Verhalten von Kindern, da muss man nur die Millionen Eltern fragen, die ihren Söhnen und Töchtern Klavierunterricht verordnet oder ein Haustier geschenkt haben. Doch Robin, sein Zwillingsbruder Maurice und der gut drei Jahre ältere Barry blieben der Musik treu. Regelmäßig versammelten sich die drei Brüder im Kinderzimmer, spielten Popstars – und sangen bereits wie ebensolche. Ihr Vater Hugh wird sich beim Anblick seiner Söhne manches Mal in ihnen wiedererkannt haben, denn auch er – geboren 1916 in Manchester – träumte als Jugendlicher den Traum eines Lebens ohne die Zwänge des üblichen beruflichen Alltags. Er war ein musikalischer Freigeist, der keinerlei Drang verspürte, wie die meisten Männer in der Fabrik zu arbeiten, am Freitag mit dem Wochenlohn nach Hause zu kommen und die Hälfte davon schon am Wochenende in den Pubs zu vertrinken. „Ein solches Leben war damals normal, und ein anderer Ablauf war in den Augen der Leute nicht erwünscht“, erinnerte er sich später. „Ein Musiker zu sein bedeutete dagegen, das Leben eines Vagabunden zu führen. Aber genau das war es, was ich wollte!“
Also rüstete sich Hugh Gibb als junger Mann mit einem Schlagzeug aus und wurde Drummer – trotz aller Vorbehalte aus Familie und Nachbarschaft. Zu dieser Zeit war das gar keine schlechte Berufswahl, denn mit Beginn des Zweiten Weltkriegs hatten Unterhaltungsorchester in England Hochkonjunktur. Die britische Bevölkerung verlangte nach Zerstreuung, und selbst die Regierung fand, ein wenig beschwingte Musik würde den Briten in dieser dunklen und schrecklichen Zeit guttun. 1940 gründete Hugh Gibb „The Hugh Gibb Orchestra“. Er verschaffte seiner Gruppe, in der er das Schlagzeug spielte, ein regelmäßiges Engagement in den Mecca Ballrooms der britischen Firma Mecca, die überall im Land ihre legendären Tanzveranstaltungen organisierte.
Im Jahr 1941 verguckte sich Hugh Gibb an einem dieser Abende in die damals 20 Jahre alte Barbara May Pass. Weil er befürchtete, das Mädchen könne den Saal verlassen, bevor er mit seiner Band fertig war, forderte er einen seiner Schlagzeugschüler auf, die Drums zu übernehmen. Und so tanzte Hugh Gibb zu den Klängen seines eigenen Orchesters zum ersten Mal mit seiner späteren Frau – fraglos eine Geschichte wie aus einem romantischen Bee-Gees-Song. Auch Barbara war eine gute Sängerin, doch Hugh Gibb nahm sie nicht in seine Band auf. „Ein Musiker in der Familie ist genug“, sagte er streng. Was diese Worte wirklich wert waren, wird er vielleicht schon Ende der Fünfzigerjahre geahnt haben, als seine Jungs noch keine Teenager waren – und trotzdem schon so herzzerreißend schön im Dreiklang sangen.
Hugh Gibb hatte zwei Möglichkeiten, mit der Leidenschaft seiner Söhne umzugehen: Er konnte seine Jungs entweder so schnell wie möglich von der Musik wegbringen und ihnen stattdessen die Notwendigkeiten eines „normalen“ Lebens vermitteln. Oder sie fortan fördern, wie es im fernen Amerika zeitgleich und über jedes sinnvolle Maß hinaus ein Mann namens Murry Wilson mit seinen Söhnen Brian, Dennis und Carl tat, die später als die Beach Boys bekannt werden sollten. „Wir waren aber nicht so eine Art von Familie“, erinnert sich Robin, angesprochen auf die Wilsons und die Jacksons, auf diese Familien, die sich zu regelrechten Musik-Unternehmen entwickelten. „Unser Vater verstand zunächst gar nicht, woher wir dieses Wissen um den Harmoniegesang überhaupt hatten. Es hatte uns ja niemand das Singen beigebracht. Aber auch später war er keiner dieser bestimmenden Show-Business-Dads, die ihre Kinder auf die Bühne zwingen. Im Gegenteil, meine Eltern waren am Anfang eher besorgt, weil sie nicht wussten, wo all das enden würde und ob sie es unterstützen sollten oder nicht.“
So selbstbewusst die drei Brüder auf ihrer fiktiven Bühne im Kinderzimmer gewesen sein mögen: Auf den Straßen und in der Schule hatten sie es bedeutend schwerer. Die Zeiten waren hart, und als die Gibbs 1955 nach einigen Jahren auf der Isle Of Man, wo Hugh Gibbs Orchester engagiert gewesen war, nach Manchester zurückkehrten, besorgte sich ihr Vater zusätzlich zu seinen abendlichen Gigs gleich zwei Brotjobs als Verkäufer in einem Fernsehladen sowie als Vertreter für Kühlschränke, da das Einkommen als Orchesterleiter nicht mehr ausreichte. Auch Barbara Gibb ging arbeiten, schließlich galt es eine sechsköpfige Familie zu ernähren (die drei Jungs hatten noch eine ältere Schwester, Lesley). Die Brüder waren daher oft unbeaufsichtigt – und stellten dabei allerhand Unfug an. Robin zum Beispiel entwickelte eine regelrechte Obsession für Feuer. Nichts war vor seinen Zündeleien sicher, einmal erwischte ihn sogar die Polizei, als