Gefährlich gute Grooves. John Taylor

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Gefährlich gute Grooves - John Taylor

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und an Bates’ Spielzeugladen vorbei, durch Kings Heath mit dem riesigen Sainsbury’s-Supermarkt, wo ich jetzt an den Wochenenden arbeitete, vorbei an dem früheren Wohnhaus von Neville Chamberlain in Moseley und dem Edgbaston Cricket Club, hoch auf die Bristol Road und am ABC Kino vorbei (heute ein McDonald’s), dann am Albany Hotel abdrehen, am Crown Pub rechts und vorbei am Jacey Kin, wo Mum und ich früher Zeichentrick- und Kurzfilme anschauten, wo aber inzwischen rund um die Uhr Pornos liefen. Dann ging es plötzlich aus dem Tageslicht in die Tiefen des Busbahnhofs.

      Dort nahmen die Abenteuer ihren Anfang.

      Gibt es etwas Aufregenderes als die Geräusche und Gerüche einer großen Stadt? Vergesst die Architektur; der Krach in diesem trägen, schwarzen Bus-Depot war da etwas ganz anderes. Die schwer kämpfenden Getriebe, das Hochfahren fünfzig Jahre alter Dieselmotoren, das die Abfahrt ankündigende Hupen in Des-Moll. Und der Geruch: nach Maschinen, Feuer und siedendem Öl. Ah, die Midland-Red-Flotte, diese Industrie der Freiheit, die das Land in die Stadt und die Stadt aufs Land brachte!

      Vom Busbahnhof ging ich durch die Doppelschwingtür in die Bullring-Markthalle: mehr Lärm und Gestank. Der Fischmarkt, Blumenstände, Eisenwaren, Fleischer in weißen Schürzen und Hüten, die lautstark ihre Ware anboten, und ein kleiner Plattenstand, an dem ich zum ersten Mal Bob Marley hörte. Ich steuerte auf den Fahrstuhl zu, der mich in das neuere Bullring-Shopping-Centre brachte, wo es vergleichsweise ruhig und kultiviert zuging.

      Das Bemerkenswerteste am Bullring war die Shopping-Brücke drinnen, eine Siebzigerjahre-Variante des Ponte Vecchio in Florenz. Sie war eins der sieben Wunder von Birmingham.

      Es gab einen weiteren Plattenladen direkt auf der Brücke, dann den Eingang zum Mayfair-Tanzsaal, der tagsüber fest verschlossen war, und vielleicht machte ich noch Halt bei Hawleys Bäckerei am Ausgang zur New Street, um einen Tee zu trinken. Dann ging’s zu Threshold Records, das der Prog-Rock-Band The Moody Blues aus Birmingham gehörte. Ja, die Moody Blues hatten ihr eigenes Platten-Label, zu dem eine Ladenkette gehörte – heute unvorstellbar.

      Gerne schaute ich auch noch nach den Import- und Second-Hand-Schallplatten bei Reddington’s Rare Records hinter dem Co-Op. Wir alle verkauften im Lauf der Jahre unsere Seelen an Danny Reddington. Er war der Punk unter den Pfandleihern. 1977 musste ich die paar Kröten nehmen, die er mir für meine Alben-Sammlung anbot, um mir meine erste elektrische Gitarre und einen Verstärker kaufen zu können.

      Als Birminghams jugendlicher Flaneur bummelte ich die New Street entlang. Es war nicht Paris, aber mir genügte es.

      Um zehn Uhr ging ich rüber zum Bahnhof Moor Street, um den Roxy-Fan Marcus zu treffen, der gegen halb elf von seiner Schicht kam. Marcus sammelte gerade die Fahrkarten von ankommenden Pendlern ein. Er sah mich und lächelte: „Ich bin gleich fertig, und ich sterbe vor Hunger.“

      Er hängte seine Mütze an einen Haken an der Bürotür, und wir gingen, Hände in den Taschen, eilig durch den Fußgängertunnel, der unter dem Queensway hindurchführte. Dabei tauschten wir den neuesten Klatsch und Ideen aus. Meistens ging es um Musik. Marcus war ein paar Jahre älter als ich, und sein Geschmack war weiter entwickelt. Er mochte Enos Solo-Platten, besonders die letzte, Another Green World, die ich ziemlich wirr fand. Die Drucke, die dem Album beilagen, schmückten das Wohnzimmer der Wohnung in Moseley, die er mit seiner Freundin Annette teilte.

      Annette arbeitete in der Stadt und traf uns oft in ihrer Mittagspause. Wir kauften uns ein Sandwich oder gingen zur Oasis-Boutique, zum Bekleidungsmarkt oder zu Bus Stop (einer der cooleren Boutiquen), wo Annette sich nach Klamotten umsehen konnte. Das war 1975: immer noch viel Funkeln und Glitzern, aber auch Northern-Soul-Einflüsse wie Sternen-Pullover und gerippte T-Shirts. Die Schlaghosen wurden weiter. Hosen aus knitterfreiem Stoff mit sechs Knöpfen und Seitentaschen gab es auf dem Markt für ein Butterbrot.

      Ich hatte mir die Stadt nach einem Drei-Stufen-System erschlossen. Ihr könnt es euch inzwischen denken: Plattenläden, Essenspausen und Klamotten. Ich konnte den ganzen Tag damit verbringen, von Stufe zu Stufe zu wechseln.

      Und dann gab es da noch Virgin.

      Mit Virgin Records begann das Virgin-Firmen-Imperium. Vor der Fluglinie, dem Kreditgeschäft, dem Medienkonzern und der Cola waren die Plattenläden da. Sie waren die am wenigsten kommerziellen Schallplatten-Geschäfte, die man sich vorstellen kann.

      Ich kannte keinen Ort, der so sehr Bohème war wie Virgin. Es war eine Hippie-Enklave. Flugzeugsitze säumten die Etage, und du konntest herumsitzen und über die unglaublich großen Kopfhörer Musik hören, solange du wolltest.

      Es war extrem. Sie hatten Plattenteller hinter der Ladentheke, und du konntest sie bitten, irgendein beliebiges Album aufzulegen. Der Geschäftsführer gab mir gelegentlich Jobs und bezahlte mich mit gebrauchten Schaufensterplakaten, die ich an der Wand meines Zimmers aufhängte. Einmal schenkte er mir Tickets für Gong, die sich die Pot Head Pixies vom Planeten Gong ausgedacht hatten.

      Als Virgin in seinen glänzenden, teuren Megastore in der New Street umzog, war ich der erste Kunde, der dort ein Album kaufte – das Debüt der Doctors of Madness. Zur Belohnung bekam ich Mike Oldfields Ommadawn, dessen Cellophanhülle ich nie geöffnet habe. Mike Oldfield? Wen interessierte der schon?

      Überall in Birmingham gibt es Monumente für die Helden des Industrie-Zeitalters, Helden der Produktion und der Technik. Die viktorianische Vergangenheit, in deren Blütezeit die City gebaut wurde, bildete die DNA der vermeintlich so unerschütterlich soliden Stadt. Aber Birmingham hört nie auf, sich zu verändern.

      1975 war es die perfekte moderne Großstadt, und ich habe nie die Kids beneidet, die wie der Sex-Pistols-Gitarrist Steve Jones in London aufwuchsen. Wie in aller Welt soll man sich mit sechzehn in diesem Steinhaufen zurechtfinden? Ich habe keine Ahnung. Mit sechzehn hatte ich meine Stadt abgesteckt. Ich liebte alles an ihr. Ich konnte nicht genug Zeit dort verbringen. Ich konnte tagsüber meine Raubzüge machen, meinen Kopf mit Kultur füllen und dann in den roten Bus zurück nach Hollywood steigen. Nie verließ ich die Stadt mit leeren Händen, und oben auf meinem Hochsitz inspizierte ich die Beute, ein Album oder ein Magazin. Hinter mir verschwand die Stadt, während der Bus südwärts drehte und mich der Geborgenheit meines Zimmers, meinem Schutzraum, näher brachte.

      Gegen Ende meiner Schulzeit konnte ich die Tour zeitlich perfekt planen. Ich erreichte die Haustür der Simon Road 34 gerade dann, wenn meine Klassenkameraden aus dem Schulbus stiegen. Diese ahnungslosen Trottel!

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      11: Neurotischer Außenseiter

      Wenn die Stadt das Klassenzimmer war, dann war der New Musical Express das Lehrbuch. In den Siebzigern schrieben die unglaublichsten und angesagtesten Autoren für den NME: Nick Kent, Charles Shaar Murray, Ian MacDonald. Sie sahen aus wie Rockstars und sie lebten auch so. An den meisten Abenden der Woche hingen sie mit den Stars herum und nahmen Drogen mit ihnen. Jedenfalls bekam man diesen Eindruck.

      Die Welt der Musik, die der NME einem erschloss, war eine Offenbarung. Von einer Woche zur nächsten gab es zum Beispiel Miles Davis auf dem Cover oder einen Bericht über Bowies Konzert in New York oder aus Jamaika einen Beitrag über Bob Marley.

      Meinem kleinen, entfremdeten Ich, das keinen Draht mehr zur Schule und auch nicht mehr zur Kirche hatte, eröffnete der NME die Möglichkeit, sich als Teil von etwas zu fühlen. Ich gehörte zu einer Clique mit einer eigenen Sprache, die ich zu sprechen lernte.

      In einer Buchkritik in den späten Neunzigern schrieb der Guardian: „Der NME war in den Siebzigern verantwortlich für die Entstehung einer Generation von Jungen, die neurotische Außenseiter waren.“

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