Gefährlich gute Grooves. John Taylor
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Zwei Dinge an diesem alten Möbelstück faszinierten mich. Das war zunächst, seit ich ein Kleinkind war, der Plattenteller selbst. Es machte Spaß, ihn als Teststrecke für meine Matchbox-Autos zu benutzen. Ich hielt die kleinen Fahrzeuge so nahe an den kreisenden Filz, dass die Räder in den sich wie verrückt drehenden Belag griffen. Dabei beugte ich mich herunter, um eine Nahansicht der winzigen Reifen zu bekommen. Den visuellen Eindruck begleitete ich mit stimmlich erzeugten Sound-Effekten: der Gangschaltung und dem Brummen der Motoren.
Das zweite Element, das mich in späteren Jahren an der Musiktruhe faszinierte, war ein Röhrenempfänger, der zum Warmlaufen über eine Minute brauchte. Das Radio empfing Signale aus ganz Europa, und auf dem Frequenzband standen Orte wie Hilversum und Luxemburg, die einen exotischen Reiz ausübten. In meinen häuslichen Geografie-Stunden hatte ich vage von ihnen gehört. Der Ton schwankte, mal war er gleichmäßig und beruhigend, mal stotterte der Empfang. War das ein Spionage-Netzwerk? Ich liebte das Geräusch, wenn der Empfang schlecht war, fast genauso wie die Sendungen. Das Knistern, Ploppen und Zischen waren Töne von anderen Planeten.
Ich presste mein Ohr an den Lautsprecher und drehte, langsam wie ein Safeknacker, am Regler, in der Hoffnung, den Sender besser reinzukriegen. Es gab alle Arten von Musik; etwas Pop, häufiger aber erhebende Sinfonien und eine spröde, rhythmische Musik, bei der es sich, wie ich später erfuhr, um Jazz handelte. Fremde Sprachen schwappten in den Raum, Wetterberichte, Hochwasser und glühende Hitzewellen.
Es war, als würde das ganze Universum durch einen Trichter in das vordere Zimmer unseres Hauses gefüllt. Das war aufregend, und es ging so vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Ein Zimmer, das gerade mal neun Quadratmeter maß, war zu einem Raum von unendlicher Größe geworden, wie die TARDIS bei Dr. Who. Dieser Raum würde nicht mehr nur sonntags und an Weihnachten benutzt werden. Ich musste in der Nähe dieses Apparats bleiben.
Sonntagabende endeten unweigerlich mit Dads Aufforderung: „Mach dich fertig, Junge, morgen ist Schule. Ab ins Bad.“
„Alles klar, Dad, mach ich“, antwortete ich dann. Doch anstatt gleich für die obligatorische Körperpflege nach oben zu gehen, schlüpfte ich in die Stube und schaltete im Dunkeln das Radio ein. Das Licht, das es abstrahlte war zu schwach, um mich zu verraten. „Wo ist jetzt dieses Radio Luxemburg auf der Skala?“, fragte ich mich, als die Röhren warmliefen.
8: Meine Mondlandung
Als ich elf war, absolvierte ich das vorgeschriebene Elf-Plus-Examen, das darüber entschied, ob ich auf ein Gymnasium oder eine Mittelschule gehen würde. Traditionell war das Gymnasium angesagt. Mein Vater ließ mich in einem Anfall pädagogischer Einsicht eine spezielle Prüfung für Birminghams bestes Gymnasium, die King Edwards Grammar School, ablegen (dort hatten sie J. R. R. Tolkien unterrichtet). Aber ich fiel durch, nachdem ich mich zwischen den Tests beim Herumtollen auf dem Sportplatz völlig mit Matsch beschmiert hatte. Mein Dad bekam einen solchen Wutanfall, dass ich mich in der zweiten Runde nicht mehr davon erholte und mit den Aufgaben nichts anfangen konnte.
Ich mochte nicht der fleißigste Schüler gewesen sein, doch ich bestand das reguläre Elf-Plus-Examen und verließ die beschränkte katholische Welt von Our Lady of the Wayside in Richtung der grüneren Gefilde der County High School in Redditch. Die Schule war eine sechzigminütige Busreise von unserem Haus in Hollywood entfernt. Ich gewöhnte mich dort nie recht ein. Auch dort war das System sehr konkurrenzbetont, und die Klassen waren größer. Es war mir unmöglich, die Aufmerksamkeit zu bekommen, die ich gebraucht oder mir gewünscht hätte. Nach ein paar mit fragwürdigem Erfolg absolvierten Jahren („Schlechteste zweite Klasse aller Zeiten: 2F3“; „Schlechteste dritte Klasse in der Geschichte der Schule: 3F2“) begann ich blauzumachen.
Zuerst schwänzte ich Sport, dann auch den Unterricht im Anschluss daran. Mit der Zeit fiel es mir immer schwerer, Interesse für das schulische Angebot aufzubringen. Ich war kein Star auf dem Sportplatz, schaffte die Arbeit nicht, ich war nicht im Orchester, und in der Klasse hatte ich keinen Anschluss. Meistens beschäftigte ich mich obsessiv mit Julie McCoy, mit der ich jeden Abend mindestens eine Stunde telefonierte. Die Tatsache, dass sie einen Freund hatte, hielt mich nicht davon ab, aber sie sorgte dafür, dass nicht mehr daraus wurde.
Die Schule gab mich schließlich auf. Ich hielt mich für sehr clever, dass ich damit durchkam, aber die Lehrer dachten wohl einfach: „Warum sollen wir uns mit ihm abmühen, wenn wir all die anderen Kinder haben, die das wollen, was wir ihnen anbieten?“
Meine Eltern hatten keine Ahnung, was vor sich ging. Sie kümmerten sich noch weniger um meine Schulausbildung als ich. Wenn die Schule ihnen einen Brief schrieb, um mich zu verpfeifen, konnte ich das förmlich riechen, und er kam nie an. Ich wurde ein versierter Fälscher. Ich konnte die Unterschriften meiner beiden Eltern perfekt imitieren, und es war leicht, ein „E“ auf dem Zeugnis in ein „B+“ zu verwandeln, was eigenartig war, wenn man den dazugehörigen Kommentar berücksichtigte: „Er hatte ein sehr schwaches Jahr, seine Leistungen sind weiterhin enttäuschend, B+.“
Während die Bedeutung der Schule abnahm, wurde die Musik zu einem immer größeren Einfluss in meinem Leben.
Als ich zwölf war, übernahm mein fünf Jahre älterer Cousin Eddie, der im Viertel der Zeitungsjunge war, von meinem Vater die Rolle als wichtigstes männliches Vorbild. Ich war, ganz so wie es in all den Büchern über die Erziehung von Jungen steht, auf Zielkurs. Er hatte drei Schwestern, was ein zusätzlicher Grund dafür gewesen sein mag, bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu ihm nach Hause zu radeln.
Eddie besaß außerdem eine expandierende Plattensammlung. Keine gewöhnliche Plattensammlung, sondern eine Sammlung von Alben. So ziemlich jeden Künstler, der sein Geld wert war, habe ich zuerst in der Gesellschaft meines Cousins Eddie gehört: David Bowie, Rod Stewart, Elton John, Cat Stevens, James Taylor, Melanie … okay, nicht alle waren so bedeutend, aber wie er seine Musik liebte! Und er hatte die entsprechenden Poster an der Wand. Eddie verschrieb sich restlos dem Rock-Mythos.
Vierzig Jahre später ist er immer noch ein wahrhaft Gläubiger. Vierzig Jahre später rufe ich ihn immer noch an, wenn ich wissen will, was in der britischen Musikszene los ist.
Ich half ihm beim Austragen der Zeitungen und wurde vorzeitig in die Welt männlicher Teenager eingeführt, in die Welt der Mädchen und des Aftershaves, der Rennräder und Klamotten: Rundkragen, Schlaghosen, eng anliegende Fairisle-Pullover und Plateauschuhe.
Das war 1972.
Wenn ich mit Eddie und seinen Freunden zusammen war, fühlte ich mich groß. Ich wurde ohne Einschränkung akzeptiert, wie von Mum und Dad, aber das hier war viel cooler.
Ich erinnere mich, wie er mir Bowies Album Hunky Dory vorspielte, mein erster Kontakt mit diesem kulturellen Giganten der Siebziger.
„Wart’s ab, Kleiner“, sagte Eddie. „Bowie wird richtig groß werden. Wir haben Tickets für seinen Gig in der Town Hall nächste Woche, zehnte Reihe. Nicht wahr, Stan?“
Eds Kumpel Stan nickte eifrig. „Jawohl, haben wir, Ed.“
„Das wird richtig gut, Kleiner, hör dir das hier mal an.“
Der Tonarm des Plattenspielers senkte sich noch einmal. Das Album lief wieder. „Still don’t know what I was waiting for …“