Wer fürchtet sich vor Stephen King?. Uwe Anton

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Wer fürchtet sich vor Stephen King? - Uwe Anton

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diese Welt – einmal die der gescheiterten Familie, einmal die der scheinbar noch funktionierenden – bricht Cujo; er ist ein außenstehendes Element, ein nicht beeinflussbares Unheil, gegen das niemand gefeit ist. Durch ihn terrorisiert King seine Charaktere überzeugender, als es mit irgendwelchen Alptraummonstern möglich wäre. Der vollendete Höhepunkt des Romans ist eine mitunter schon sadistische Sequenz, in der Donna und ihr kleiner Sohn gefangen in ihrem Auto sitzen, abseits der Straße vor der billigen Reparaturwerkstatt von Joe Camber, hilflos der Hitze und dem sie belagernden tollwütigen Hund ausgesetzt. Kings Erzählstruktur war selten dichter und konsequenter. Der Leser erlebt kein happy end; die Rettung in letzter Sekunde bleibt aus. Auch wenn das Monster getötet werden kann, geht für die Überlebenden das Leben nicht in gewohnter Form weiter.

      Joe Camber stirbt; durch seinen Tod bekommen Charity und Brett, seine Frau und sein Sohn, die Chance auf einen Neuanfang. War bei King bislang die Familie das letzte intakte Gebilde im Staat, an dem sich das Leben nach der Katharsis wieder aufrichtete, zerstört King hier dieses Konzept.

      Mit CUJO hat King die Grenzen des traditionellen Horrorgenres gesprengt und zumindest seine amerikanische Leserschaft – das Bürgertum – verschreckt; der Roman wurde nur zögernd aufgenommen. Dieses Verschrecken der Leser gelingt durch die Konsequenz der Realität; das Konzept der Familie erweist sich nicht mehr als der Wirklichkeit überlegen, übrig bleibt nur eine Leere, die die der abgestumpften, zur Farce gewordenen zwischenmenschlichen Beziehungen bei der breiten Masse in erschreckender Weise verdeutlicht.

      Novellen, so schreibt Stephen King im Nachwort zu seinem nächsten Buch, FRÜHLING, SOMMER, HERBST UND TOD (DIFFERENT SEASONS, 1982), lassen sich mit einem schrecklichen Ort vergleichen – mit einer anarchistischen Bananenrepublik. Es gibt einfach keinen Markt für sie – sie sind zu lang für die Kurzgeschichtenmagazine und zu kurz für eine eigenständige Buchveröffentlichung.

      Umso höher muss man den Marktwert einschätzen, den King bereits 1982 für seinen Verlag hatte, als der Autor vorschlug, vier Novellen, die er jeweils nach Abschluss von vier Romanen geschrieben und fertig in der Schublade liegen hatte, gesammelt in einem Buch herauszugeben, und sein Lektor bereitwillig zustimmte.

      „Frühlingserwachen: Pin-up“ ist eine Mainstream-Novelle um zwei Lebenslängliche im Staatsgefängnis Shawshank. Red, der Erzähler, ist der große Organisator des Gefängnisses; er besorgt seinem Mitgefangenen Andy Dufresne, der immer wieder seine Unschuld beteuert, im Laufe von Jahrzehnten Hämmer und immer wieder neue Pin-up-Poster – mit denen Dufresne ein Loch tarnt, durch das ihm später der Ausbruch gelingt. Eigentlicher Inhalt der Novelle, die durch ihre realistische Gefängnis-Atmosphäre beeindruckt, ist jedoch die Problematik Schuld/Unschuld/Sühne/Hoffnung.

      Auch „Sommergewitter: Der Musterschüler“ muss dem Mainstream zugerechnet werden, beschäftigt sich jedoch mit einem der entsetzlichsten Schrecken unserer Wirklichkeit. Der dreizehnjährige Todd Bowden forscht über Kriegsverbrechen der Nazis und macht einen Nazi-Kriegsverbrecher in seiner Heimatstadt ausfindig. Langsam, schleichend verfällt er jedoch Kurt Dussanders Einfluss, bis sich die Beschäftigung mit dem Nazismus zur Besessenheit entwickelt und er das nationalsozialistische Gedankengut völlig verinnerlicht. Diese Novelle ist heute aktueller denn je und als glanzvolle Warnung vor einem schleichenden Gift zu verstehen: Nicht einmal ein „all-American kid“ wie Todd ist gegen den braunen Dreck gefeit. Eine gewisse Identifikation mit Todd bewirkt natürlich direkt schon wieder Angst im Leser: Eigentlich ist der Junge ja ganz nett – und wenn ihm sowas passieren kann, könnte es vielleicht auch mir passieren?

      „Herbstsonate: Die Leiche“ ist eine der besten und – nicht zuletzt wegen der gelungenen Verfilmung – auch der bekanntesten Novellen des Autors. Vier junge Freunde brechen zu einer – zugleich symbolischen und realistischen – Reise ins Unbekannte auf, um eine Leiche zu suchen, die irgendwo an den Bahngleisen liegen soll. Sehr gefühlvoll beschreibt die Novelle den Verlust der Kindheit und die bittersüße Erinnerung daran, die verlorene Jugend, ein Motiv, das King auch bei dem Roman ES sehr geschickt anwandte. Mit dem Fund der Leiche endet für einige der Jungen abrupt ihre unbeschwerte Jugendzeit, und sie werden viel schneller erwachsen, als es dem Erzähler der Novelle, einem schwach verkleideten Stephen King, eigentlich recht ist.

      King arbeitete zwei frühe Kurzgeschichten in diese Novelle ein, die er, wie es der autobiografischen Färbung nur entspricht, dem Erzähler Gordon Lachance zuschreibt.

      „Ein Wintermärchen: Atemtechnik“ ist die einzige Horrorerzählung in diesem Buch, eigentlich eine Erzählung in einer Erzählung. In einer altehrwürdiger Tradition der phantastischen Literatur erzählen sich die Mitglieder eines Klubs Geschichten, und ein Arzt weiß von einer zielstrebigen Frau zu berichten, der er während der Schwangerschaft die richtige Atemtechnik für die Entbindung beibrachte. Als es so weit ist, wird sie auf dem Weg ins Krankenhaus bei einem Unfall geköpft, doch der Körper setzt die Atemtechnik fort, bis das Kind auf die Welt gekommen ist, und der Kopf bedankt sich noch, bevor die Frau das Atmen einstellt.

      Ob es nun am Thema liegt, das gegen die drei anderen Beiträge deutlich abfällt, oder die Novelle eine Konzession an Leser und Verlag darstellt, die von King zumindest einen expliziten Horror-Text erwarteten – die wichtigsten Beiträge dieser Sammlung sind eindeutig die Mainstream-Novellen. Dennoch zeigt sich die Sammlung nicht zuletzt durch die Klammern der vier Jahreszeiten sehr geschlossen, wobei King auch ein geschicktes Spiel mit den Titeln treibt: „Fall“ und „Spring“, also „Herbst“ und „Frühling“, haben in den Originaltiteln hier völlig andere Bedeutungen.

      DIFFERENT SEASONS bewies eindrucksvoll, dass King nicht nur als Genreautor sein Publikum fesseln und Beeindruckendes produzieren kann.

      Mit seinem nächsten Roman, CHRISTINE, begab sich King nach dem Experiment mit CUJO und den „vier Jahreszeiten“ wieder auf sicheres Terrain. Im Mittelpunkt der Handlung stehen ein Spukauto – Christine – und ein typischer High School-Verlierer – Arnie Cunningham, mit dem sich wieder zahlreiche Leser identifizieren können; er verliebt sich auf den ersten Blick in den Plymouth Fury Baujahr 1958, eine schrottreife Rostlaube.

      Während er emsig an Christine werkelt, hat er weiterhin seine Probleme mit den fiesen Mitschülern, doch als das Auto dann wieder in einwandfreiem Zustand ist, geht es auch Arnie besser: Seine Akne schwindet, er wird muskulöser, sein Selbstbewusstsein wächst. Nur von seinem einzigen Freund Dennis (der den Roman erzählt), der ihm bislang in der Schule den Rücken gestärkt hat, entfremdet er sich zusehends, zumal Dennis ihm auch noch die Freundin ausspannt, was Christine hingegen sehr recht ist. Sie weiß zu verhindern, dass es in dieser Hinsicht wirklich zur Sache geht, denn sie ist höllisch eifersüchtig. Und lässt nichts auf Arnie kommen, was dessen alte Peiniger merken, als sie ihn erneut quälen wollen und Christine demolieren: Sie bringt sie kurzerhand um.

      Dagegen hat Arnie nicht unbedingt etwas, aber ernst wird es, als auch Dennis und seine Freundin in den Bann des eifersüchtigen Automobils geraten. Es geling Dennis zwar, Christine zu vernichten, doch in genau demselben Augenblick stirbt auch Arnie, meilenweit entfernt, im Auto seiner Eltern: Die unheilige Verbindung hat ein Ende gefunden.

      Ein Wunder, dass das Buch die Wirkung erzielt, die es erzielt. King verbrät eine nicht besonders originelle Grundidee – nach einem Spukhaus nun ein besessenes Spukauto –, greift auf ein recht eingängliches Klischee zurück – der Außenseiter auf der Schule –, mit dem sich die Leser augenblicklich identifizieren können, und dreht ein altes Thema um: Obwohl Arnie nichts anderes tut als zahlreiche andere Männer auch, die mit solcher Hingabe an ihrem Auto werkeln, putzen und lackieren, dass ihre Frauen allen Grund zur Eifersucht haben, lässt er hier das Auto eifersüchtig werden: auf die Freundin und auf alle anderen, die den Besitzer ebenfalls beanspruchen könnten. Wahrhaftig die Geschichte einer fürchterlichen Besessenheit. Und doch gelingt ihm erneut eine Geschichte von verlorener Jugend, von wahrer und übernatürlicher Besessenheit, die es in sich hat. King präsentiert sich mitunter in Hochform; obwohl auf

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