Judengold. Erich Schütz
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»Meine Tante in Winterthur hat Geburtstag, und sie hat nur einen Wunsch«, die junge Frau versuchte, unbefangen zu wirken und öffnete auf den Fingerzeig des Zöllners folgsam ihre Tasche. »Schauen Sie …«
»Kuckuck, Kuckuck, Kuckuck …!«
Die Männer blickten ratlos. Zehn Mal hörten sie den künstlichen Schrei des Vogels, dann mussten sie alle lachen, nachdem Frau Levy das braune Packpapier von einer überdimensionalen Kuckucksuhr abgestreift hatte.
Es war Punkt 10 Uhr am 13. August 1937, und der Personenzug Singen–Winterthur überquerte, wie jeden Tag, ohne besondere Vorkommnisse die Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz.
*
Die deutschen Zöllner verließen vor dem schweizerischen Ramsen den Zug, die Schweizer Zöllner stiegen zu, nur Joseph Stehle und der Lokführer blieben nach der staatsvertraglichen Vereinbarung Zugbegleiter bis nach Winterthur.
Joseph Stehle nutzte diese Chance: Kaum hatte der Zug den Schweizer Bahnhof nach dem Grenzübertritt verlassen, zog es ihn in das Abteil der blonden Dame zurück.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie ängstlich, als er wieder in ihrem Abteil stand.
»Ja«, lachte Stehle freundlich, »aber Sie wollten mir doch noch das heutige Datum nennen?«
Luise Levys Gesichtsfarbe veränderte sich. In die vornehme Blässe ihrer Wangen schoss dunkelrot das Blut.
»Tja«, Joseph Stehles Stimme wurde amtlich, »wir haben gar nicht in den Kasten der Kuckucksuhr reingeschaut, geschweige denn die dicke Tasche ordentlich durchsucht.«
Luise Levys Kopf glühte plötzlich. Sie schluckte deutlich und antwortete unsicher: »Wir sind doch jetzt in der Schweiz.« Es klang wie eine Frage, auch wenn es eine Feststellung sein sollte.
»Aber noch immer in einem Waggon der Deutschen Reichsbahn«, konterte Stehle amtlich, legte geschickt eine kleine Pause ein, in der Luise Levys Gesichtsfarbe nun wieder ganz blass wurde, und setzte zynisch lächelnd nach: »Heute ist der 13. – Freitag, der 13., der Geburtstag Ihrer Tante! Das ist wohl kein Glückstag für Sie, oder?«
»Warum?«
»Weil man als liebe Nichte dieses Datum doch immer parat hat, oder?« Stehles Tonfall war plötzlich harsch geworden.
»Wollen Sie die Polizei rufen?« Luise Levy hatte sich schnell gefangen, es war offensichtlich für sie, dass der Schaffner Lunte gerochen hatte. Sie fragte sich nur, warum er seinen Verdacht nicht schon den Zöllnern gemeldet hatte, und schöpfte deshalb gleichzeitig Hoffnung. Die Begehrlichkeit der Menschen, das hatte sie in den vergangenen Jahren schon oft erfahren, machte diese angreifbar.
Joseph Stehle antwortete nicht. Er spürte die Angst in der jungen Frau aufkeimen. Diesen Augenblick genoss er.
»Was wollen Sie?« Luise Levy wollte handeln, um möglichst schnell diese für sie prekäre Lage zu verändern. »Ich biete Ihnen die Hälfte meiner Provision.« Ihr war klar, sie musste diesen Mann ködern. Er hoffte offensichtlich auf einen Vorteil, sonst hätte er die Grenzer noch auf deutschem Hoheitsgebiet gerufen.
Stehle hingegen zögerte. Er beugte sich nah zu ihr hinunter, roch die Mischung ihres teuren Parfums und inhalierte die Aura ihrer Angst. Er versank fast in ihrem Dekolleté.
Luise sprang von ihrer Sitzbank auf, sie spürte die Überlegenheit des fremden Mannes. Sie hasste diese Situation und diesen Schaffner. In Augenhöhe stand sie ihm nun aufrecht gegenüber.
Er grinste ihr jetzt unverschämt ins Gesicht. Gleichzeitig wurde ihm aber klar, dass diese Frau kein leichtes Opfer sein würde. Er begehrte sie zwar auf der einen Seite und war noch nie einem sich bietenden Seitensprung ausgewichen, fürchtete aber zugleich, dass das Spiel mit ihr vielleicht doch zu gefährlich werden könnte. Er überlegte daher, ob er nicht doch lieber das Angebot annehmen sollte, um sich ein paar Mark nebenbei zu verdienen. »Wie hoch ist denn die Provision?«
»Zehn Prozent, ich würde sie mit Ihnen teilen. Das hieße dann für Sie und für mich jeweils fünf.«
»Wie viel ist das in Mark und Pfennig?«
»Rund 1.000 Mark für Sie.«
Joseph Stehle überschlug kurz. Er bekam im Monat 275 Reichsmark von der Reichsbahn. Dafür musste er 56 Stunden die Woche arbeiten. 1.000 Mark, das war weit mehr als ein Vierteljahresverdienst, für nichts! Nur dafür, dass er nicht wahrnahm, was sowieso nur er aufgedeckt hatte. »1.500«, forderte er kalt.
»In Ordnung«, erwiderte Luise Levy.
»Und Sie eröffnen für mich ein Konto in der Schweiz und zahlen den Betrag dort ein.«
Luise Levy sah jetzt die Unsicherheit in den Augen des deutschen Schaffners. Ihm war klar geworden, dass er solch eine Summe unmöglich mit nach Deutschland nehmen konnte. Er hätte sie dort auch gar nicht ausgeben können.
Joseph Stehle zögerte plötzlich: Was hatte er von dem Geld? Er begab sich damit in die Hand dieser fremden Frau. Sie konnte ihn jederzeit verpfeifen und noch schlimmer: Sie konnte ihn erpressen. Auf der anderen Seite malte er sich aus, was er mit dem Geld alles tun könnte.
»Wir sollten uns auf neutralem Boden in Winterthur weiter unterhalten«, unterbrach Luise Levy die Gedanken des plötzlich ängstlich wirkenden Schaffners. Sie musste diesen unbekannten Mann für sich gewinnen, zumindest so lange, bis sie aus diesem Zug ausgestiegen war. Sie setzte auf ihre weiblichen Reize, straffte ihren Oberkörper, zog ihre Bluse glatt und zeigte stehend ihre attraktive Figur. Mit großen Augen und geöffneten Lippen sah sie Joseph Stehle an.
Joseph Stehles Angst wich blitzartig. Er sah ihre Lippen, er blickte unverhohlen auf ihren festen Busen, musterte ihre zierlichen Hüften und roch ihr teures Parfum. Er schöpfte erneut eine vage Hoffnung. Er wähnte sie in seiner Hand. Hinter dem Winterthurer Eisenbahnheim kannte er ein ziemlich heruntergekommenes Hotel. Dort war er bei solchen Gelegenheiten schon mehrfach abgestiegen. Stehle fühlte sich wieder wie ein ganzer Kerl. »Sie überlassen mir Ihren Pass und die Bewilligung zum Grenzübertritt, und wir treffen uns in Winterthur im Hotel Studer hinter dem Eisenbahnerheim. Sie werden es leicht finden, Sie gehen aus dem Bahnhof heraus, dann rechts, über die Brücke der Zürcherstraße, über die Gleise, und biegen dann links in den Bahnmeisterweg ein.«
Luise Levy fiel ein Stein vom Herzen. Sie lächelte ihn ehrlich aus ihren blauen Augen an, reichte ihm den Pass und die Grenzübertrittsbewilligung und versprach: »Ich werde eine halbe Stunde nach Ankunft unseres Zuges in Winterthur im Hotel Studer sein.«
»Ich weiß«, antwortete Stehle arrogant, »ohne Ihren Pass gibt es keinen Weg zurück, und deutsche Schmuggler werden aus der Schweiz direkt der Gestapo überstellt.«
*
Als Luise Levy die Hände ihres Mörders um ihren Hals spürte, wusste sie, dass alles Gold und Geld, welches sie bisher mit diesem Mann über die Grenze geschafft hatte, verloren war. Sie allein war die Garantin für ihre jüdischen Kunden, dass diese den ihr anvertrauten Schatz nach der Hitlerzeit wieder zurückbekommen würden. Den meisten hatte sie nur von einem Konto in der Schweiz erzählt, wohin genau die Summen und Schätze geschafft wurden, wussten diese nicht. Sie alle hatten ihr in ihrer Notlage vertraut, ihr vertrauen müssen. Mit ihrem Tod waren jedoch alle entscheidenden Informationen über