Judengold. Erich Schütz
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Joseph Stehle war sich über seine Position schnell klar geworden. Er hatte darauf gesetzt. Sie waren sich damals in dem Winterthurer Hotel nähergekommen. Er hatte Zeit genug gehabt, sie kennenzulernen. Er hatte schon damals ihre ständige Angst gespürt, wie zuvor in dem Zugabteil. Zur Schmugglerin war sie nicht geboren. Deshalb empfand er sie schon bald als Gefahr für sich. Immer, wenn er sie in Stuttgart besuchte, um bei ihr neue Geldbündel und andere kleine Schätze abzuholen, war sie zu besorgt und furchtsam. Sie hatte es ihm leicht gemacht, ihr die gesamten Geschäfte abzunehmen. Jetzt hielt er alle wichtigen Papiere in seinen Händen. Seit dem Gerede über die Vernichtungsanlagen für Juden war ihre Angst ins Unermessliche gewachsen.
Er musste sie töten, bevor es zu spät war – ob er wollte oder nicht!
Sie musste weg.
*
Zunächst hatte er ihren Tod bedauert. Er hatte es geliebt, mit ihr zu schlafen, wenn sie bei seinen Besuchen in Stuttgart vor Angst zitterte. Er lernte Katharina Gloger kennen. Sie war keine Goldader, dafür ein echter Goldschatz. Die junge Frau war auf der Flucht aus der besetzten Tschechoslowakei. Sie war ihm regelrecht in die Arme gelaufen. Es war im August 1943, kurz nach 22 Uhr. Er hatte Dienstschluss und wollte gerade das Bahnhofsgebäude in Singen verlassen, da hatte er sie getroffen.
Er hatte Katharina Gloger schon gesehen, bevor sie vor ihm stand. Sie trug einen auffallend schönen Koffer, mit hellem, braunem Holz gerahmt und mit dunkelbraunem Leder bezogen. Joseph Stehle fiel das Gepäckstück aber nicht wegen dessen Verarbeitung auf, sondern weil es offensichtlich schwer war. Für die Größe des kleinen Handgepäcks war es zu schwer. Stehle hätte gerne gewusst, was sich darin verbarg.
Sie hatte ihn gezielt nach der Wohnung des katholischen Stadtpfarrers gefragt. Joseph Stehle schilderte ihr hilfsbereit den Weg zum Pfarrhaus. Danach folgte er ihr unauffällig. Er ahnte, dass diese Frau eine illegale Absicht verfolgte. Eine fremde Dame, spätabends allein auf der Straße, das war ungewöhnlich. Und August Ruf, der Stadtpfarrer, war bekannt für seine antinazistische Einstellung. Joseph Stehle witterte ein mögliches Geschäft für sich. Zu lange schon hatte er seine Fähigkeit, Wertsachen über die deutsch-schweizerische Grenze zu schieben, nicht mehr genutzt.
Er sah in der Dunkelheit, wie der Frau im Pfarrhaus Einlass gewährt wurde. Er wartete. Es dauerte circa eine halbe Stunde, dann kam sie wieder aus dem Pfarrhaus heraus und ging direkt zum Central-Hotel.
Stehle folgte ihr durch die Adolf-Hitler-Straße bis vor das Hotel in der Innenstadt Singens. Er sah, wie nach kurzer Zeit in einem Gästezimmer ein Licht angeknipst wurde. Es war im ersten Stock, das dritte Zimmer von links.
Stehle rauchte genüsslich eine Zigarette und wartete, bis ihr Licht erlosch.
Dann wusste er, was er zu tun hatte.
Kapitel 2
»Nichts wäre leichter, als mit dem Boot den ganzen Kladderadatsch von Kreuzlingen nach Meersburg zu schippern, warum nur müssen wir versteckt über diese kahlen Felder kutschieren?«
»Was machst du dir einen Kopf? Bisher ging immer alles glatt, Opa wird schon wissen, warum er uns mit der Karre nach Zürich geschickt hat!«
»Sind wir überhaupt noch in der Schweiz? Oder sind wir schon in Deutschland?«
»Was soll’s, wir sind mitten in Europa, mach dir nicht ins Hemd, du Scheißer.«
Sven steuerte den schweren, silbergrauen Mercedes mit leichter Hand über die schmalen Straßen am Südhang des Randen entlang. Das eingebaute Navigationsgerät verriet ihm die kleinsten Feldwege mit allen möglichen Grenzübergängen. Sven war wie immer gut gelaunt. Er hatte eine große, neumodische Sonnenbrille auf der Nase, freche Sommersprossen und lockige, blonde Haare, die ihm tollkühn ins Gesicht hingen. Er grinste verwegen und drehte das Radio lauter. Er hatte gerade eine CD der Böhsen Onkelz eingeschoben und grölte mit. »Nur die Besten sterben jung …«
Sven führte oft und gerne Aufträge für seinen Opa aus. Der kleine Gefallen, den er ihm heute tat, war eine Lappalie. Einmal Zürich und zurück, pah! Er würde die Karre noch einige Zeit behalten dürfen, und schon allein dieser Gedanke gefiel ihm. Heute Abend würde er damit eine Tour durch die Singener Innenstadt unternehmen. Zwar waren die Gartenwirtschaften jetzt im späten Herbst längst geschlossen, aber seine Kumpels hingen noch immer gerne vor dem ›Exil‹, einer seiner Stammkneipen, herum.
Sein nur um wenige Jahre älterer Bruder Bernd dagegen wirkte eher ängstlich. Er saß steif neben Sven. Er trug eine etwas biedere Kombination: braune Kordhose, blaues Hemd und ein schwarzes Sakko. Seine Haare waren kurz geschnitten, seine Brille hatte dicke Gläser mit Zylindern. Im Gegensatz zu seinem Bruder gefielen ihm die Aufträge seines Opas nie. Er hatte dabei immer das Gefühl, etwas zu tun, das er nicht ganz durchschaute.
Auf der anderen Seite war der Auftritt heute Morgen cool gewesen. Sie waren in Zürich in der Bahnhofstraße direkt beim Hauptsitz der Schweizer Bankgenossenschaft vorgefahren. Locker hatte Sven den Wagenschlüssel in die Hände eines Bediensteten geworfen, dann hatten sie die Papiere von Opa auf einen Tisch gelegt, und schon waren sie bedient worden wie Staatsgäste im Bundespräsidialamt. Es hatte Kaffee und feinste Sprüngli-Pralinen und anschließend eine Führung in die Katakomben des noblen Bankhauses gegeben. Dort hatte ihnen ein weiterer Bediensteter mehrere Schlüssel überreicht, und gemeinsam hatten sein Bruder Sven und er mehrere Fächer seines Opas in dem Saferaum geplündert. Sie hatten dabei konzentriert vorgehen, zum Teil nummerierte Goldbarren entnehmen und notieren sowie einen nicht unerheblichen Batzen Bargeld zusammenzählen müssen.
»Befehl von Opa«, hatte Sven gegrinst und einige Scheine, wie in einem schlechten Hollywoodstreifen, in die Luft geworfen.
»Woher der das alles nur hat?«, wollte Bernd im Auto wissen.
»Du fragst, wie immer, zu viel«, wies ihn Sven zurecht. »Du weißt doch: W-Fragen beantwortet nur der liebe Gott.«
»Scheiß drauf, das muss gerade der Alte sagen, der weiß ja nicht einmal, wie man Gott schreibt.« Bernd hasste die Ausflüchte seines Opas auf alle die Fragen, die darauf abzielten, ein bisschen Licht in das mysteriöse Leben des alten Herrn zu bringen.
»Dafür muss er einen guten Draht zu ihm haben«, beschwichtigte Sven seinen Bruder, »der Nebel kommt doch wie vom lieben Gott selbst gemacht.«
Es war ein klarer Novembertag. Für die Jahreszeit war es bisher viel zu warm. Sonnenstrahlen schafften sich immer wieder einen Weg durch die wallenden Nebelbänke, die vom See aus dank dem leichten Ostwind sanft westwärts geschoben wurden. Jetzt in den späten Nachmittagsstunden drückten sich die Nebelbänke aus dem Tal unterhalb des Randen nach oben in die Hügelkette zwischen der Schweiz und Deutschland empor. Die Wälder liegen hier einsam, nur unterbrochen von einigen Wiesen und Feldern und wenigen einzelnen Bauernhöfen. Wanderer können sich nur schwer orientieren, wo und wann sie die Staatsgrenze überschreiten. Dabei kann es vorkommen, dass sie trotz Geradeausmarsch in nur eine Himmelsrichtung öfter die Grenzseite wechseln, als sie es selbst wahrnehmen. Hie und da stehen alte, längst vermooste Grenzsteine, manchmal ein neues Schild, das Grenzgänger ermahnt, nicht zu schmuggeln.
Die Autofahrer haben es leichter, sich zu orientieren. Sie sehen zumindest die obligatorischen Grenzschranken, sofern sie auf den ordentlichen Straßen