Judengold. Erich Schütz

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Judengold - Erich Schütz

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hatte. Leon überlegte: Warum bringt ein Mann sich um, der lediglich beim Schmuggeln ertappt wurde? Diese Frage galt es zu klären, dachte er.

      Hätte Bernds Bruder, Sven, sich umgebracht, der den Beamten niedergestreckt hatte, ja, dann hätte er den Selbstmord widerspruchslos hingenommen. Sven hätte hundert Mal eher einen Grund gehabt, sich umzubringen; aber Bernd? Auch bei der gewiss außergewöhnlich hohen Summe war eine nicht viel höhere Strafe zu erwarten als bei kleineren Zollvergehen. Leon konnte es drehen und wenden, wie er wollte, der Selbstmord leuchtete ihm nicht ein. Drei Jahre Haft, eine Lappalie gegen ein Leben lang tot.

      Am gegenüberliegenden Ufer, nahe Dingelsdorf, warnte mit blinkendem, orangefarbenem Licht der Wetterdienst vor weiteren heraufziehenden Stürmen. Das Wasser des Sees schimmerte dunkelgrau. Auf der Wasseroberfläche brachen hin und wieder helle Wellen zu kleinen Schaumkronen. Längst waren alle Freizeitboote aus den Häfen gehievt worden, nur die Seeperle, das kleine Fährschiff zwischen Überlingen und Wallhausen, pendelte hin und her über den See.

      Bernd Vierneisel wird dies Schauspiel nie mehr sehen, dachte Leon. Er würde ihm auch nicht mehr sagen können, warum er sich tatsächlich erhängt hatte. Leon war auf einmal klar, dass er sich dieser Geschichte nicht mehr entziehen konnte. Er würde sich ihrer nur zu gerne annehmen. Zu viele Fragen lagen unbeantwortet auf der Hand, Fragen, die die Staatsanwaltschaft noch gar nicht gestellt hatte. Zumindest hatte er noch immer keine Antwort gelesen, warum die Burschen das Gold überhaupt nach Deutschland geschmuggelt hatten. Und nun fehlte ihm eine logische Erklärung für den Selbstmord eines jungen Mannes, der außer drei Jahren Gefängnis nichts weiter zu befürchten gehabt hätte.

      Leon ging ins Bad und duschte. Danach stellte er eine Pfanne auf den Herd, schnippelte Speck, Schalotten, eine kleine Karotte und ein bisschen Grün von dem Ende einer Lauchstange in eine Pfanne mit Butter und Olivenöl und briet sich ein Rührei nach seinem Geschmack.

      Zum Frühstück schnappte er sich den Südkurier. Der Aufmacher widmete sich erneut dem spektakulären Schmuggelversuch und dem heimtückischen Mordanschlag von Singen. Auf der Seite eins, direkt unter dem Titelkopf, war in Farbe der Staatssekretär des Innenministeriums abgebildet, wie er dem verletzten Zollbeamten an dessen Krankenbett versuchte, einen Blumenstrauß in die Hand zu drücken. Der Staatssekretär strahlte, der verletzte Beamte schaute gequält auf den viel zu großen Strauß. Er konnte ihn mit seinen Verletzungen und Armschienen gar nicht annehmen.

      Leon überlegte, wie er sich der Geschichte nähern könnte, da klingelte sein Telefon. Der Redaktionsleiter seines Fernsehsenders war am Apparat. »Kaum bist du am See, da schlägst du auch schon Wellen«, lachte er.

      Leon verstand den Scherz nicht wirklich, lachte aber mit.

      »Du wolltest doch mal eine Geschichte über den Konstanzer Grenzzaun drehen«, kam der Redaktionsleiter direkt zu seinem Anliegen, »du kannst die Geschichte jetzt ausdehnen und eine Reportage entlang der Schweizer Grenze von Konstanz bis Basel produzieren. Am besten für die Abendschau auf Achse, da hast du 30 Minuten Zeit.«

      »Wie kommt ihr jetzt plötzlich darauf?«, hakte Leon unbekümmert nach.

      »Zugegeben, auch durch den aktuellen Fall, der sich gerade bei euch da unten am See abspielt.«

      Geschenkt, dachte Leon und ließ jede bösartige Bemerkung zur Frage der Themenauswahl fallen. Ein Auftrag vor der Haustür und dazu noch eine halbe Stunde, da war seine Kasse erst mal für die nächsten drei Monate saniert. »Gebongt«, antwortete er schnell, »wann wollt ihr den Streifen haben?«

      »Möglichst bald, lege aber die Geschichte am besten als eine Reisereportage entlang der Grenze an. Damit wir uns verstehen: Euer aktueller Fall hat mit unserer Geschichte der Grenze nichts, aber auch gar nichts zu tun. Ich will keine Räuberpistole von dir, sondern ein Reisefeature«, legte der Redaktionsleiter die Route fest.

      Leon war in diesem Augenblick bereit, jeder Anordnung zuzustimmen. »Klar doch«, stellte er routiniert fest, »ein zeitloser, feuilletonistischer Reisebericht, über Menschen und Landschaft entlang der Grenze.«

      »Genau, ohne deine Gauner und Verbrecher, denen du sonst gerne immer nachstellst«, warnte ihn der Redaktionsleiter sicherheitshalber nochmals.

      Während des Telefonats mit Stuttgart hatte das Wasser des Bodensees die dunkle Farbe verloren. Die Wellen schienen jetzt freundlicher und flacher, und sie schimmerten in den Höhen silbern. Einige Wolkenfetzen waren so auseinandergestürmt, dass die Sonnenstrahlen auf den Wellenspitzen tanzten. Es schien Leon Dold, als wäre es plötzlich Frühling geworden.

      Er rieb sich die Hände. Er lachte innerlich. Gerade hatte er noch einen Zugang zu der mysteriösen Singener Grenzstory gesucht, da hatte er auch schon den Auftrag. Natürlich hatte er den Redaktionsleiter richtig verstanden. Dieser wollte einen Reisebericht, eine leichte Reportage durch die Hintergärten der Grenzanlieger. Bitte, das war ihm klar, den würde er auch liefern, aber eben auch einen Bericht über die Menschen, die mit der Grenze lebten. Dazu gehörte doch auch der Zöllner, der gerade an der Grenze nach einer Schießerei fast sein Leben verloren hatte, und die Angehörigen eines Schmugglers, von denen einer sich, nach der Verhaftung, im Knast selbst umgebracht hatte, entschied Leon für sich.

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