.
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу - страница 17
Im Allgemeinen ist sie, sofern man ihr nicht zu nahe kommt, nicht böswillig oder gefährlich. Ihr Auftreten löst dennoch oft Furcht und Schrecken aus, da sich durch sie familiäre Katastrophen, insbesondere unerwartete Todesfälle von Familienmitgliedern ankündigen. Die Sagen über die »Weiße Frau« sind bis heute moderne Folklore geworden.
I
Gut Lankenhorst
Sonntagnacht, 22. Oktober 2006
Natürlich, es gab sie. Keine Frage. Gut Lankenhorst hatte sein Gespenst wie es sich für ein altehrwürdiges Gemäuer im märkischen Sand gehörte. Seit Jahrhunderten spukte sie schon hier nächtens durch die Zimmer und im Treppenhaus. Auch im Park wurde sie schon gesichtet.
Stets war ihr Erscheinen an ein bevorstehendes Unglück gekoppelt. So stolz die Herren von Lankenhorst auf ihre »Weiße Frau« auch waren, so bedrückt waren sie auch jedes Mal durch ihr Erscheinen.
Der alte Quappendorff hielt eigentlich nichts von übersinnlichen Dingen. Zu rational war seine Weltsicht. Aber er erinnerte sich noch oft an diese Nacht in seiner Kindheit, als ihm dieser Spuk das erste Mal erschienen war.
Es war in den letzten Kriegstagen des Jahres 1945. In der Ferne konnte man die Einschläge der Granaten hören und im Dorf waren immer mehr verängstigte Städter zu sehen, die es noch geschafft hatten, dem Hexenkessel zu entkommen. Was sie berichteten, klang erschreckend. Brennende Häuser, überall Tote, marodierende Soldaten und hungrige Flüchtlinge aus dem Osten des kollabierenden Reichs.
Die Familie der Quappendorffs war im Torhaus von Gut Lankenhorst versammelt. Jedenfalls diejenigen, die nicht irgendwo an den Fronten kämpften. Der kleine Rochus und sein Bruder Hektor verstanden damals nicht sehr viel von dem, was sich die Erwachsenen hinter vorgehaltener Hand erzählten. Ihre kleine Schwester lag noch in der Wiege und bekam eigentlich gar nichts mit von den Vorgängen dieses Frühjahrs. Meist spielten die Jungs mit anderen Dorfkindern im Park. Man versteckte sich, mimelte mit kleinen Münzen oder schoss mit dem Flitzebogen auf imaginäre Eindringlinge.
Aber die angespannte Stimmung übertrug sich auf die bisher so unbeschwerte Welt der Kinder. So richtig fröhlich konnten sie nicht mehr spielen. Der Untergang des Reichs war für die Familie eine persönliche Bedrohung. Sie sahen einer ungewissen Zukunft entgegen und wussten nicht so richtig, wie sie mit den neuen Machthabern umgehen sollten. In einer nasskalten Mainacht passierte es denn auch.
Am Tage war im Radio etwas von Kapitulation zu hören gewesen. Die Frauen waren vollkommen verstört und schüttelten nur die Köpfe. Keiner sagte etwas zu den Jungen. Rochus spürte, dass etwas passiert war. Er lag schlaflos in seinem Kinderbett. Der drei Jahre jüngere Hektor, der sein Bett direkt am Fenster hatte, schlief tief und fest. Diese Nacht war irgendwie anders als sonst. Unheimlich still. Sonst konnte er in der Ferne das Wummern der Kanonen und die Motorengeräusche schwerer Fahrzeuge vernehmen. Aber diese Nacht war still. Rochus stand auf. Er wollte in die Küche, da gab es meist etwas zu naschen oder wenigstens stand da immer ein Krug mit Milch. Seine Zunge klebte am Gaumen. Um in die Küche zu kommen, musste der Kleine die große Treppe hinab.
Er kannte den Weg in die Küche gut. Täglich rannte er diesen Weg bestimmt zehnmal hin und zurück. Die Familie nutzte die Küche als Speisezimmer. Das große Wohnzimmer wurde nur genutzt, wenn die Männer auf Heimaturlaub kamen.
Rochus spürte beim Hinabsteigen plötzlich einen Windhauch, der ihn frösteln ließ. Er hielt für einen Moment inne und dann sah er sie. Plötzlich stand sie vor ihm. Eine große, weißgekleidete Dame, die ihn durchdringend ansah.
Sie war einfach so da.
Rochus hatte keine Ahnung woher sie gekommen war. Trotzdem hatte er keine Angst vor ihr. Sie kam ihm seltsam vertraut vor, als ob er sie schon oft gesehen hatte. Die Dame in Weiß nickte ihm kurz zu und verschwand dann wieder so plötzlich, wie sie gekommen war.
Die Begegnung hatte den kleinen Rochus vollkommen verstört. Er schlich zurück in sein Zimmer und verkroch sich unter seiner Bettdecke.
Am nächsten Morgen erzählte er am Frühstückstisch von seiner unheimlichen Begegnung. Es wurde ganz still am Tisch. Die Erwachsenen sahen ihn bestürzt an. Seine Mutter lachte schrill auf, nur ganz kurz und auch nicht sehr lustig. Dieser kurze Lacher verstörte den kleinen Rochus noch mehr. Er schaute zu seiner Tante Amalie und zu seiner Cousine Henny, die bereits eine fünfzehnjährige junge Dame war. Auch diese beiden Frauen schauten ihn betreten an, so als ob er das beste Geschirr gerade auf den Boden geworfen hätte.
Nur die Großmutter seufzte kurz und schickte ihn in den Park zum Spielen. Abends dann erzählte sie ihm von der »Weißen Frau«.
Jedes Mal, wenn sie erschien, starb jemand im Hause. Deshalb war ihr Erscheinen stets ein Unglück für die Familie. Rochus fragte, ob jemand anderes die »Weiße Frau« auch schon mal gesehen habe. Die Großmutter schüttelte den Kopf. Der letzte, dem sie sich gezeigt hatte, war wohl sein Urgroßvater gewesen. Er habe sie durch den Park gehen sehen.
Einen Tag später war er tot.
Schlaganfall.
Das sagten die Ärzte jedenfalls. Er war ja auch schon weit über Siebzig. Aber alle in der Familie wussten es. Es war die Begegnung mit dieser unheimlichen Spukgestalt, die ihm die letzte Lebensenergie entzogen hatte.
Die Großmutter erzählte ihm und seinem kleinen Bruder Hektor, der inzwischen auch begierig der aufregenden Gutenachtgeschichte lauschte, wie es zu dem unheimlichen Spuk gekommen war.
Die Quappendorffs waren lange Jahrhunderte schon hier im märkischen Land beheimatet. In der wüsten Raubritterzeit ritten sie wohl mit den Putlitzens und den Quitzows und bereicherten sich auf unlautere Art und Weise. Der damalige Stammsitz in der Prignitz wurde von den Rittern des Reichsgrafen Friedrich von Hohenzollern überrannt und niedergebrannt.
Die Burgbewohner konnten sich in Sicherheit bringen. Nur die junge Regula, die älteste Tochter des damaligen Burgherren, Ritter Konradin, hatte es nicht mehr geschafft, aus dem brennenden Gebäude zu entkommen. Sie verbrannte bei lebendigem Leibe. Ihre Schreie sollen weithin zu hören gewesen sein. Sie verfluchte ihre Verwandtschaft, weil sie sie im Stich gelassen hatte. Als Konradin auf dem Sterbebett lag, erschien sie das erste Mal. Sie trat wie aus dem Nichts in ein weißes Gewand gekleidet an ihn heran, fasste seine Hand und im selben Moment verschied er. Seither soll sie wohl des Öfteren zu sehen gewesen sein.
Der kleine Rochus schlief nach dieser Erzählung seiner Großmutter tief und fest. Im Traum erschien ihm der Ritter Konradin in einer glänzenden Rüstung und die »Weiße Frau« Regula, die von einem hohen Turme herab ihm zuwinkte.
Auch sein Vater tauchte in diesem Traum auf, allerdings in der Uniform der deutschen Wehrmacht. Er war mit Konradin zusammen auf einem großen schwarzen Pferd unterwegs.
Am nächsten Morgen wollte er seiner Mutter von diesem Traum berichten, aber dazu kam er nicht mehr. Auf dem alten Küchensofa saß die Mutter und weinte. Tante Amalie und Cousine Henny saßen bei ihr und schauten ihn betrübt an.
Henny kam zu ihm, umarmte ihn ganz fest und flüsterte ihm ins Ohr, dass sein Papa nicht mehr wiederkommen würde und er jetzt ganz stark sein müsse.