Kranichtod. Thomas L. Viernau
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Aber es gab sie. Sie waren präsent und sie wirkten natürlich aufs Gemüt, auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte.
Eigentlich war der Baron ein Optimist, ein Idealist oder auch ein positiver Träumer, der seine Träume auch in praxi umgesetzt hatte. Aber die Wiederbelebung von Gut Lankenhorst und die Betreuung all der vielen Projekte, die damit zusammenhingen, kostete ihn mehr Kraft als er je zu ahnen gewagt hätte. Sein Optimismus war inzwischen ausgehöhlt. Zur Schau stellte er immer noch seine Zuversicht, dass alles gut werde. Tief im Innern wusste er jedoch, dass es noch viele Jahre brauchte, um dieses Großprojekt endlich zum Laufen zu bringen. Und ob er selbst es noch sein würde, der die Früchte seines Handelns einfahren könnte, war ungewiss.
Ein Windhauch traf ihn plötzlich. Ihn fröstelte. Er musste an seine beiden Töchter denken, die er heute wieder sehen würde. Sonst freute er sich immer auf diesen Augenblick, aber heute hatte er ein bedrückendes Gefühl. Als ob etwas nicht stimmen würde. Die Ereignisse der letzten Nacht kamen wieder in sein Bewusstsein und er dachte an seinen nächtlichen Spaziergang durch den Park.
Ihm fiel die unheimliche Begegnung mit dem weißen Schatten wieder ein und auch die grausame Entdeckung der toten Vögel direkt vor der großen Treppe. Ein Gefühl des Ausgeliefertseins an unheimliche Mächte konnte er nicht mehr verdrängen.
Wie ein Wink aus dem Jenseits standen die unheimlichen Spukbilder seiner Kindheit vor ihm. Er schüttelte kurz den Kopf, zog seine Strickjacke zusammen und wandte sich ab. Zwiebel kam in zwanzig Minuten zum Dienst. Er würde mit ihm über diese grässlichen Vogelkadaver sprechen müssen. Noch mehr Kopfzerbrechen bereitete ihm jedoch im Moment das heutige Treffen des Stiftungsrats.
Bevor er den gesamten Stiftungsrat treffen würde, hatte er noch vor, mit seinem Vertrauten Hülpenbecker über die Finanzierung seiner Projekte in den nächsten Monaten zu sprechen. Die Kreditlinie, die ihm Hülpenbeckers Bankhaus so großzügig gewährt hatte, war ausgereizt. Die Konten waren allesamt am Rande des gewährten Dispokredits und verharrten da seit ein paar Monaten auch hartnäckig. Hülpenbecker hatte bereits telefonisch angedeutet, dass man eine Lösung finden müsse um weiterhin liquide zu bleiben. Dabei hatte er etwas von EU-Geldern erwähnt und auch irgendwelche Bundeshilfen in Aussicht gestellt.
Der Baron überließ solche Sachen gern seinem Neffen Lutger. Der hatte beruflich mit so etwas sowieso zu tun, kannte die entsprechenden Gesetze und wusste, wo es was zu beantragen galt. Lutger hatte da eine gewisse Professionalität im Umgang mit den Beamten, die ihm vollkommen fehlte. Er kam sich stets wie ein armer Bittsteller vor, dem es peinlich war, Fördergelder in Anspruch nehmen zu müssen. Hülpenbecker beruhigte ihn da zwar immer. Keine moderne Investition in solch strukturschwachen Gegenden käme heutzutage ohne entsprechende Förderung seitens des Landes, des Bundes oder der EU mehr aus. Und was er da mache, nun ja, es wäre ja zum Wohle der Allgemeinheit und nicht zu seiner privaten Bereicherung. Also brauchte er auch keine Gewissensbisse zu haben, wenn er solche Fördertöpfe anzapfe.
Hülpenbeckers Einfallsreichtum und finanzielles Geschick hatte bisher stets die Stiftung vor dem finanziellen Aus bewahrt. Die ursprünglich gedachte Geschäftsgrundlage für Gut Lankenhorst hatte sich bisher so nicht realisieren lassen. Auf dem Papier hatte er damals vor vier Jahren mit Hülpenbecker und seinen beiden Töchtern einen kühnen Plan entwickelt.
Gut Lankenhorst sollte schon nach kurzer Zeit so viele Gelder erwirtschaften, dass damit die laufenden Kredite bedient werden könnten und auch die eigenen laufenden Kosten gedeckt wären. Allerdings erwies sich dieser Plan in der Realität doch nicht als so einfach. Zumal die laufenden Kosten sich deutlich höher beliefen als geplant und zum anderen die Erträge aus dem neugegründeten Hofladen und den Veranstaltungen doch deutlich geringer ausgefallen waren als erwartet.
Sein größtes Projekt, das Wiederbeleben der hofeigenen Destillerie, war bisher aus dem Versuchsstadium noch nicht herausgekommen, hatte aber schon sehr viel Geld gekostet. Hinter dem alten Verwaltungsgebäude waren immer noch die vielen alten Obstgehölze, die er schon seit seiner Kindheit kannte. Zusammen mit Zwiebel hatte er die Bäume zurückgeschnitten, verwilderte Hölzer mit ertragreichen Sorten veredelt und inzwischen auch erste, respektable Ernten eingebracht. Davon verstand er etwas. Das hatte er schon viele Jahre in seinem großen Garten im Rheinland praktiziert.
Das Verarbeiten der Äpfel, Birnen und Zwetschgen erwies sich jedoch als ausgesprochen schwierig. Destillieren wollte gelernt sein. Der alte Baron hatte extra einen Kurs bei der Handwerkskammer belegt. Doch das frisch erworbene Wissen war leider nicht so recht tauglich, um ein wirklich hochwertiges Edeltröpfchen zu erzeugen. Anstelle von guten Obstbränden hatte er bisher nur Apfelessig und leidlich gut schmeckende Konfitüren erzeugt.
Die Erträge hierfür blieben natürlich weit hinter den zu erwartenden Umsätzen aus dem Vertrieb edler Brände zurück. In seinem Versuchskeller lagerten inzwischen einige hundert Flaschen missglückter Obstwässer, die eigentlich nur noch zu Anschauungszwecken verwendbar waren. Entweder war kein wirklich gutes Obstaroma zu spüren, so dass der Brand nur wie blanker Sprit im Hals kratzte oder ein unangenehm modriger Beigeschmack machte das Wässerchen völlig ungenießbar.
Der Baron wurde plötzlich aus seinen Überlegungen gerissen. In der Ferne hörte er das langgezogene Tatütata eines Polizeiwagens. Ein Blaulicht schien er auf der Straße durch den Nebel zu erkennen. Dann war wieder Ruhe.
Momente später sah er zwei Autos vorn am Eingangstor parken. Er konnte aus der Entfernung nicht erkennen, um was für Marken es sich handelte. Auf der Eichenallee näherten sich fünf Personen dem Gutshaus. Sie waren ihm allesamt unbekannt. Auch zwei Uniformträger schienen dabei zu sein. Etwas beunruhigt schritt der alte Herr die Treppe hinab um seine morgendlichen Besucher zu empfangen.
Die fünf waren inzwischen im Gutshaus eingetroffen. Sie blickten etwas irritiert auf den Baron, der da korrekt gekleidet vorsichtig die Treppe herab kam. Einer der beiden Uniformierten, Quappendorff hatte ihn schon des Öfteren in der Gegend gesehen und auch schon ein paar Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht, trat auf ihn zu, räusperte sich kurz und baute sich vor ihm mit wichtiger Miene auf.
»Herr von Quappendorff?«
»Jaaa, das bin ich. Guten Morgen, die Herrschaften.«
»Guten Morgen ..., ja. Also ..., um es kurz zu machen. Heute früh ereignete sich ein schwerer Verkehrsunfall hinter Biesenthal. Ihre Tochter, Frau Irmingard Hopf von Quappendorff, war leider darin verwickelt. Noch am Unfallort ist sie ihren schweren Verletzungen erlegen ... Also, ja, unser Beileid hiermit ... Mein Gott, ich bin nicht so ein guter Redner, um solche schlimmen Nachrichten ... Ächm, hmm, bitte haben Sie Verständnis.«
Der alte Mann sackte einen kurzen Moment zusammen als ob ihn ein Schlag unerwartet und heftig im Genick getroffen hätte. Dann fasste er sich wieder, straffte seine Körperhaltung, holte mehrfach tief Luft, schaute den Polizisten mit einem sonderbaren Blick direkt in die Augen und fragte dann mit schwacher, tonloser Stimme: »Musste sie noch leiden? Oder war sie gleich ...?«
Jetzt trat die zweite uniformierte Person, eine junge Frau Ende Zwanzig, heran und schilderte kurz, was sie vorgefunden hatten am Unfallort. Der Baron schien innerhalb von Minuten um Jahre zu altern. Seine Lebensenergie war auf ein Minimum gesunken. Mühsam nur hielt er sich noch auf den Beinen. »Kann ich Sie kurz allein lassen? Ich möchte mich ...«
Er kam nicht weiter. Mitten im Satz versagten seine Kräfte und er brach zusammen. Die drei Herren in Zivil eilten herbei. Einer war Arzt.
»Schnell, dort auf das Sofa mit ihm. Hat wohl ein schwaches Herz ... Rufen Sie bitte jemanden aus dem Haus. Wir sollten seinen Hausarzt konsultieren.«
Mit geübtem Griff lockerte er den Hemdkragen des alten Mannes, holte eine Injektionsspritze aus seinem Köfferchen,