Krähwinkeltod. Thomas L. Viernau

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Krähwinkeltod - Thomas L. Viernau

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gelesen. Darin waren alle Fakten bereits in dem Bericht niedergeschrieben. Auch Fotos des jungen Bürschchens waren beigefügt. Keine schönen Bilder. Ein blasses, schmales Gesicht, die seltsam ausdruckslos ins Nichts starrenden Augen und wirre Haarsträhnen, die in die hohe Stirn fielen. Dann die Bilder der Wunden. Die tödliche Halswunde, ein vielleicht acht Zentimeter langer Schnitt, blutverkrustet, klaffend. Die Schnittverletzung am rechten Arm, knapp fünf Zentimeter lang, nur oberflächlich, dennoch auch stark blutverkrustet.

      Der Fundort der Leiche, ein schäbiger Straßengraben inmitten einer tristen Felderlandschaft. Linthdorf war nach den Ermittlungen in den vielen Schlössern, Parks und kultivierten Gegenden plötzlich in der rauen Wirklichkeit des Landes Brandenburg angekommen.

      Hier gab es nichts als die große, leere Weite und dem trübgrauen Himmel darüber. Er kannte die Landschaften, mochte sie. Sie zwangen ihn, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Nichts lenkte das Auge ab, keine Geräusche störten. Es war eine große harmonische Welt, deren Stille ein angenehmer Kontrast zum hektischen Berliner und Potsdamer Leben war. Und plötzlich wurde die Stille der leeren Weite gestört. Ein Toter, der durch eine grausame Messerattacke starb. Das passte nicht hierher.

      Linthdorf verstand, warum die Wittstocker Polizei das LKA benachrichtigt hatte. Nein, diese Art von Verbrechen war in der ländlichen Ruhe der Ostprignitz selten anzutreffen. Hier gab es möglicherweise ein paar Schlägereien am Sonnabend zur Disco, manchmal auch einen Verkehrstoten oder einen Selbstmörder, der sich vor den Zug warf. Aber so etwas brachte die hiesigen Kollegen ins Grübeln.

      Sie konnten es sich nur dadurch erklären, dass vielleicht eine Art Bandenkrieg zwischen Jugendgangs aus dem fernen Berlin oder sogar aus Hamburg einen Flüchtigen in ihre Gegend verschlagen hatte und der von seinen Widersachern aufgespürt und ermordet worden war.

      »Können wir zum Fundort fahren?«

      »Sicher. Ich komme mit. Kenn‘ mich hier aus.«

      III

      Siedlung Krähwinkel

      Montag, 1. Oktober 2007

      Die beiden Männer waren im Passat Schwertfegers losgefahren. Der Regen hatte aufgehört. Der Himmel war dennoch trüb und grau. Die Landstraße 16 führte schnurgerade kilometerlang durch die Gegend, ohne dass irgendwo ein Zeichen der Zivilisation auftauchte. Links und rechts endlose Ebenen, grasbewachsen, manchmal auch mit meterhohem Mais bedeckte Felder. Am Horizont ein dunkler Streifen, da, wo der Wald begann. Die L 16 querte inzwischen das ehemalige Militärsperrgebiet.

      Nicht umsonst hatten sich die Militärs diese dünnbesiedelte Gegend für ihre Manöver auserkoren. Aber das war nun schon viele Jahre vorbei. Langsam wurde das ehemalige Sperrgebiet wieder von den Menschen der Gegend wahrgenommen.

      Es gab Pläne, dass die Bundeswehr als legitimer Rechtsnachfolger der untergegangenen Armee die Sperrzone weiter nutzen wollte. Als Bombodrom!

      Aber da regte sich ziviler Widerstand. Wozu man denn noch ein Bombodrom bräuchte? Schließlich war der Kalte Krieg doch vorbei. Und überhaupt, Krach von tieffliegenden Jagdfliegern und explodierenden Granaten, das müsse doch nicht sein. Wo leben wir denn?

      Die Bürgerbewegung »Bombenfreie Heide« setzte alle Mittel in Bewegung, um die Pläne der Generäle zu durchkreuzen. Vor dem Bundesgerichtshof wurde über die Nutzung des Geländes erbittert gestritten. Die Alternative zum Bombodrom war ein Naturschutzgebiet. Dank des jahrzehntelangen Wildwuchses hatte sich eine ursprüngliche Heidelandschaft erhalten. Die Panzer waren als Ersatzschafe tätig, zerkleinerten alle hochwachsenden Bäume schon nach kurzer Zeit, so dass der Heidecharakter erhalten blieb.

      Der einzige Nachteil waren die vielen Blindgänger, die auf dem ehemaligen Bombenabwurfgelände als tickende Zeitbomben herumlagen. Es würde Jahre dauern, bis die Flächen von Spezialisten freigeräumt würden. Aber das nahmen die Bürgerbewegungen in Kauf.

      Schwertfeger berichtete Linthdorf über die Querelen. Er hatte Sympathien für die Naturschützer. Nach einer Viertelstunde kam eine Forellenzucht mit Räucherei und Verkaufsstand vorbei. Linthdorf schaute sehnsüchtig zu dem Stand. Schwertfeger war es nicht entgangen.

      »Hunger?«

      Linthdorfs Fischhunger war unersättlich. Er hatte schon immer Fisch gemocht. Als Schuljunge ließ er sich von seinen Mitschülern die Fischstäbchen geben, die von den anderen verschmäht wurden. Zuhause bereitete seine Mutter oft Fisch zu.

      Frischer Fisch war zu DDR-Zeiten etwas Rares. Perleberg war zwar kein Mekka für Fischliebhaber, aber im Fischladen am Markt gab es stets ein gutes Angebot. Immerhin war Perleberg Kreisstadt und von der Fischereigenossenschaft im Elbland kamen stets frische Fische in den kleinen Laden. Seine Mutter arbeitete dort als Verkäuferin und hatte so immer den besten Zugang zu den begehrten Flossentieren.

      Lange Jahre lebte Linthdorf nun schon nicht mehr in Perleberg, der Appetit auf Fisch war geblieben. Ja, der wuchs sogar noch. Speziell, seit es nach der Wende plötzlich Fisch in Hülle und Fülle gab. Ursprünglich fuhr Linthdorf nur ins Brandenburger Umland, um seinen Fischappetit zu befriedigen.

      Er entdeckte Landgasthöfe mit erlesenem Fischangebot, besuchte Fischräuchereien und kaufte auch direkt bei den Fischern.

      In seinem gutgefüllten Tiefkühler waren Zander, Hechte, Aale, Flussbarsche, Forellen, Saiblinge und andere Leckereien eingefroren, darauf wartend, von ihm zubereitet zu werden. Bekam Linthdorf Besuch, gab es meistens Fisch.

      Das konnte Schwertfeger natürlich nicht wissen, aber er hatte bemerkt, dass sein Kollege gierige Blicke Richtung Forellenhof warf. Einträchtig standen die beiden Männer an einem kleinen Stehtisch und aßen mit großem Behagen zwei frisch geräucherte Forellen. Ein Genuss!

      Linthdorf liebte den Geschmack, speziell wenn die Forellen noch warm waren und gerade aus dem Räucherofen kamen.

      Innerhalb von zehn Minuten hatte er drei Forellen aufgegessen. Schwertfeger staunte nicht schlecht.

      »War in meinem früheren Leben mal Kormoran«, grinste Linthdorf schuldbewusst. Schwertfeger knabberte immer noch an seiner ersten Forelle herum.

      »Wo liegt denn die Siedlung Krähwinkel? Doch nicht direkt an der L 16? Da gibt es nur noch den Heimattierpark und sonst nichts mehr.«

      Linthdorf konnte mit der Siedlung Krähwinkel nichts anfangen. Er kannte sich zwar ganz gut aus in der Gegend, aber alle Landstraßen waren von ihm noch nicht befahren worden.

      Zumal er wusste, dass hier nicht viel zu sehen war. Außer endlosen Feldern gab es nichts.

      »Stimmt, wir müssen kurz vor Kunsterspring abbiegen. Raus aus dem Naturschutzgebiet. Es ist eigentlich nur eine Ansammlung von zehn, zwölf Häusern. Siedlung ist da schon ein bisschen hochtrabend. Früher war es mal ein Vorwerk. Eben der Krähwinkel. Es gab da wohl einmal eine Posse oder ein Lustspiel, das spielte in einer Kleinstadt namens Krähwinkel. Die Leute vom Herrenhaus drüben im Ruppinischen fanden es eine lustige Idee, ihr Vorwerk nach dem Theaterstück zu nennen. Wer weiß, was sie dabei für Hintergedanken hatten. Dann kamen ein paar Häuser hinzu und fertig war die Siedlung. Ganz unspektakulär. Dort gibt es nichts außer Feldern und den paar Häusern. Was den armen Burschen dahingetrieben hat, ist mir rätselhaft.«

      Sie setzten ihre Fahrt fort, zufrieden und gesättigt. Linthdorf schaute auf seine Uhr. Es war höchste Zeit, etwas zu essen. Drei Uhr vorbei. Seit heute früh um Acht hatte

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