Mischpoche. Andreas Pittler

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Mischpoche - Andreas Pittler

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      Andreas Pittler

      Mischpoche

       14 Wiener Kriminalgeschichten

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      Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

      Herstellung: Julia Franze

      Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

      unter Verwendung eines Fotos von Getty Images

      ISBN 978-3-8392-3740-3

      1933: Das Ende

      ›Der Nationalrat ohne Präsidium. Dramatische Auseinandersetzungen im Parlament.‹ Marktschreierisch verkündete die Titelseite der Reichspost eine weitere Krise in dem ohnehin schon arg vom Schicksal gebeutelten Land. Polizeioberst David Bronstein konnte dennoch nicht anders, als die Zeitung zur Hand zu nehmen, um den Leitartikel zu lesen. Irgendwie lag es wohl im Naturell des Wieners, dass er selbst noch im Untergang das prickelnde Bedürfnis entwickelte, diesen ganz neugierig mitverfolgen zu müssen. Man lebte in der Stadt der ›schönen Leich’‹, in der nichts im Leben wichtiger schien, als möglichst pompös beerdigt zu werden. Wer den größten Trauerzug, die meisten Sargträger und die längsten Ansprachen bei seinem Begräbnis vorweisen konnte, der war Sieger. Posthum zwar, aber gewonnen war gewonnen, und das war die Hauptsache. Und so verwunderte es auch nicht, dass jeder simple Verkehrsunfall sofort für einen gewaltigen Auflauf sorgte, denn man durfte als Einwohner der Wienerstadt keineswegs ein mögliches Remasuri verpassen. Was konnte für einen Wiener schlimmer sein, als wenn alle über eine spektakuläre Bluttat redeten und man selbst war nicht dabei gewesen? Und gerade, weil der Wiener so einen nachhaltigen Hang zum Morbiden hatte, was wohl auch dem Umstand geschuldet war, dass er in einem Land lebte, dessen Exitus schon seit 1740 stets auf’s Neue für die allernächste Zukunft prognostiziert worden war – und immer noch wurde –, und gerade, weil Bronstein ein echter Wiener war, war es alles andere als verwunderlich, dass Bronstein sich mit einem wohligen Schauer von der reißerischen Schlagzeile angezogen fühlte.

      Aber natürlich tat er das mit der gebührenden Skepsis. Denn auch wenn jeder Wiener diese archetypische Lust am Verderben gleichsam genetisch in sich trug – nicht umsonst kannte das Wienerische gefühlte 120 Synonyme für das Wort ›sterben‹ –, so gab es kaum einen schlimmeren Fauxpas, als diese beinahe amikale Verbindung zum Thanatos öffentlich zu bekennen. Und wenn es einem auch hundertmal ein inneres Volksfest war, sich an fremdem Elend, gleich welcher Art, zu ergötzen, so durfte man unter gar keinen Umständen zu erkennen geben, dass man dieses Unglück ›leiwand‹ fand. Im Gegenteil: je größer die innere Erregung, umso deutlicher musste die äußerliche Gelassenheit zur Schau getragen werden. Einen Autounfall mit vier Toten hatte man in Wien gefälligst mit »Na, a scho wos!« zu kommentieren, ergänzt bestenfalls um den Hinweis, dass unlängst anderswo gleich fünf Menschen zu Tode gekommen seien, wobei damals dem Fahrer auch noch der Kopf abgetrennt worden war. Ein Brand ohne Personenschaden wurde allgemein schlimmer bewertet als eine verunglückte Burgtheaterpremiere, und recht eigentlich konnte man die Wiener Grundhaltung ganz einfach, auch ohne der Vogeldoktor vom Alsergrund zu sein, auf den simplen Punkt bringen, dass den Wiener jeder Tod deswegen so freudig stimmte, weil man sich darob, selbst trotz aller eigener Misere, so lebendig fühlen durfte. ›I war’s ned, den der Quiqui g’holt hat‹, diese Erkenntnis war des Wieners bedeutendster Triumph. Der aber, wie gesagt, mit vermeintlicher Teilnahmslosigkeit zelebriert werden musste.

      Und so mimte an diesem Sonntagmorgen, an dem Bronstein gemeinsam mit seinem Kollegen Cerny Journaldienst hatte, der Herr Oberst auch äußerste Gelassenheit, als er gelangweilt die Schlagzeile der Reichspost kommentierte.

      »Im Parlament haben s’ schon wieder g’stritten«, meinte er. Cerny sah auf, grinste schief und replizierte mit leicht falscher Silbenbetonung: »Im Parlament gab es wieder die üblichen hitzigen Debatten.« Bronstein kannte den Witz natürlich, doch da er in dieser Situation passte, verdiente er auch einen ansprechenden Lacher. »Ja, ja, wenn die Fetzen draußen sind, sind die Lumpen drinnen«, schob er gleich noch eine weitere Volksweisheit nach.

      Doch Cerny hatte sichtlich das Interesse an den politischen Petitessen verloren und konzentrierte sich wieder auf seinen Bericht, den er am Montag im Präsidium abzugeben hatte. Bronstein sah ihm dabei noch eine Weile zu, doch als Cerny keine Anstalten machte, den Gesprächsfaden wieder aufzugreifen, blieb ihm nichts anderes übrig, als den Artikel doch zu lesen. Er zündete sich eine ›Donau‹, seine neue Leibmarke, an, und widmete sich dann den Zeitungsspalten.

      Dreh- und Angelpunkt der jüngsten politischen Kalamitäten war, wie sich Bronstein, bestärkt durch die Lektüre, erinnerte, ein Streik der Eisenbahner gewesen. Die Regierung wollte die Streikführer rechtswidrig sanktionieren – noch gab es ja die Koalitionsfreiheit in diesem Land, wie Bronstein als Vertreter der Exekutive wohl wusste –, die Opposition sah die Dinge naturgemäß gänzlich anders. Und anscheinend hatte die Regierung die Abstimmung am Vorabend verloren, was üblicherweise ihrem politischen Exitus gleichkam. Allerdings, so entnahm Bronstein dem Blatt, hatte sich der rote Hinterbänkler Scheibein vergriffen und irrtümlich einen Stimmzettel seines Banknachbarn eingeworfen, sodass es zwei Stimmen des Abgeordneten Abram, aber keinen des Abgeordneten Scheibein gab. Aus diesem Umstand schöpfte die todgeweihte Regierung neue Hoffnung, da sie die Abstimmung nur mit einer Stimme Mehrheit verloren hatte. Galt also Scheibeins Votum ob des falschen Stimmzettels als obsolet, dann herrschte Stimmengleichheit, dann war der Antrag abgelehnt, dann war die Regierung gerettet.

      Nun hatte aber der Parlamentspräsident, welcher der Opposition angehörte, der Abstimmung als rechtskonform den Sanktus erteilt, was die Regierungsmandatare in Wutgeheul ausbrechen ließ. Dadurch wiederum fühlte sich der Präsident beleidigt, weshalb er sein Amt niederlegte. Und da es ihm im Zuge der Debatte seine zwei Stellvertreter gleichgetan hatten, war der Hort der österreichischen Demokratie mit einem Mal führerlos. ›Es ist nun Sache der maßgebenden Parteiführer und des Verfassungsdienstes, die Lösung der schwierigen Frage, was nun zu geschehen habe, zu finden‹, schloss der Artikel.

      »Na, a scho wos«, kommentierte Bronstein, »ein weiterer Sturm im Wasserglas! Dass sich diese Wastln andauernd so wichtig nehmen.«

      »Na ja, David, unterschätzen tät’ ich das nicht«, bemerkte Cerny, ohne von seinem Akt aufzublicken.

      »Ah, ned? Na, was soll schon sein? Im schlimmsten Fall hamma Neuwahlen! Und?«

      »Nein, David«, und jetzt legte Cerny seinen Stift weg, um sodann seinem Vorgesetzten direkt in die Augen zu sehen, »im schlimmsten Fall haben wir kein Parlament mehr. Wie seinerzeit in der Monarchie.«

      »Ach was«, schnalzte Bronstein mit der Zunge und legte die Zeitung nieder. »Lass dir das von einem alten Hasen erklären, der schon die Zeit des Kurienwahlrechts miterlebt hat. Das ist alles nur Schauspiel! Die machen das absichtlich so dramatisch, damit dann alle nach der gütlichen Regelung der jeweiligen Angelegenheit sagen: ›Na, Gott sei Dank!‹ Als wäre Gott für die jeweilige Regierung und den Unsinn, denn sie anstellt, verantwortlich – oder auch nur für die überaus begrenzte Weisheit der Mandatare.«

      »Na,

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