Mischpoche. Andreas Pittler

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Mischpoche - Andreas Pittler

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Da gibt’s jetzt keine Extrawürscht mehr.«

      Bronstein begann Übles zu schwanen. »Sie wollen, dass wir an der Verhinderung der Sitzung mitwirken?«

      »Wollen? Von Wollen kann keine Rede mehr sein. Wir müssen! Und wie Sie sich vorstellen können, Herr Kollege, kann ich da jetzt nicht mehr den Bezirksinspektor Meier und den Revierinspektor Müller hinschicken, da müssen schon die Prätorianer ausrücken … Also unter anderen Sie, Herr Kollege.«

      Bronstein starrte fassungslos auf den Präsidenten: »Herr Präsident, ich bin vom Mord. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich für so etwas …, ich mein’, … das geht doch nicht! Da können S’ mich ja gleich den Verkehr an der Opernkreuzung regeln lassen.«

      Brandls Lächeln schlug nun ins Sardonische um: »Herr Kollege, das ist eine Weisung. Und die können S’, wenn S’ wollen, gerne schriftlich haben. Sie finden sich morgen um 14 Uhr vor dem Parlamentsgebäude ein. Die Leitung der Aktion hat der Kollege Steinhäusl als Leiter des Sicherheitsbüros. Bei dem melden Sie sich dort… Danke!«

      In Brandls Büro waren die Temperaturen merklich gefallen. So frostig war es nicht einmal auf der Straße, und dass der Präsident Bronstein entließ, ohne ihm wenigstens einen guten Tag zu wünschen, ließ darauf schließen, wie verstimmt er war. Doch dieser Umstand bedrückte Bronstein weit weniger als der Hinweis, Steinhäusl würde der Kommandant vor Ort sein. »Ausgerechnet dieser Nazi«, dachte er angewidert, »das hat mir g’rad’ noch gefehlt.«

      Aber Brandl, das musste Bronstein eingestehen, hatte recht. Weisung war Weisung, und wenn sie nicht mit der geltenden Gesetzeslage in Widerspruch stand, dann musste sie befolgt werden. Da gab es keinerlei Ermessensspielraum. Ob ihm das privat nun passte oder nicht, das war Nebensache. Er nickte, erhob sich und wünschte dem Präsidenten aufgeräumt einen guten Tag.

      »Gleichfalls«, kam es schneidend zurück.

      »Der Oasch, der!« Bronstein konnte nicht an sich halten und schimpfte wie ein Rohrspatz, kaum, dass er wieder bei Cerny in seinem Amtsraum war.

      »Wer? Der Brandl?«

      »Genau der! Macht dem Dollfuß den Stiefelknecht! Wir sollen morgen die Abgeordneten kassieren. So als wären die irgendwelche Schränker oder sonstige Bazi. Glaubt man das? Der Brandl muss narrische Schwammerl gessen haben.«

      »Ich tät’ ihn nicht vorschnell verurteilen, den Brandl. Für seine Lage hält er sich ganz wacker«, erklärte Cerny.

      »Ganz wacker? Weil er eine schriftliche Weisung verlangt hat? Na, a scho wos!«

      »Nein. Weil er die Hahnenschwanzler genauso unter die Lupe nehmen lässt wie die Parlamentarier.«

      »Ha?«

      »Er hat erfahren, dass morgen der Fey in der böhmischen Hofkanzlei Hof hält. Dorthin sind Hunderte Heimwehrmänner hinbeordert, die offenbar dem Kanzler den Rücken stärken sollen, falls die Sozis sich ihre Demontage nicht schweigend gefallen lassen. Und damit der Ersatz-Mussolini gar nicht erst zum Zug kommt, sollen morgen Abordnungen der Wiener Polizei den Judenplatz und die Wipplingerstraße abriegeln. Das Kommando führt der alte Pamer, den der Präsident extra aus dem Ruhestand zurückgeholt hat… Mich haben sie auch dorthin eingeteilt.«

      »Was? Wirklich? Na servas. Ich muss ins Parlament«, stöhnte Bronstein und beneidete Cerny um seine Aufgabe, die wesentlich weniger degoutant wirkte.

      »Na ja, im Parlament wird’s wenigstens gefahrlos abgehen. Was am Judenplatz nicht so sicher ist«, gab Cerny zu bedenken.

      »Das kann schon sein. Aber der Tag ist mir jedenfalls versaut. Und zwar gründlich.« Bronstein dämpfte energisch seine Zigarette aus und erhob sich. »Mir reicht’s für heute. Ich mach’ Dienstschluss. Sollen sie mich doch suspendieren, wenn’s ihnen nicht passt. Wir seh’n uns in der Früh. Servus.«

      »Ja, servus.«

      Bronstein mutmaßte eine kleine Weile, der Schweinsbraten liege ihm zu schwer im Magen und deswegen könne er nicht einschlafen. Doch bald gestand er sich ein, dass es die politischen Ereignisse waren, die ihn nicht ruhen ließen. Er konnte sich noch sehr gut an die Tage am Beginn der Republik erinnern, wo es allerorten geheißen hatte, nun werde alles anders. Das war wohl ein vorschneller Schluss gewesen. Oder auch nicht, denn es wurde tatsächlich alles anderes. Nur nicht besser, wie man es vielleicht erhofft haben mochte, sondern noch schlechter. Ob er sich am nächsten Morgen krank melden konnte? Nein, das würde ihm zu Recht als Feigheit ausgelegt werden. Er würde anrücken müssen, es führte kein anderer Weg nach Küßnacht, das stand fest. Und erneut erhob er sich aus seinem Bett, um ein weiteres Glas Wein zu trinken und noch eine Zigarette zu rauchen. Es dämmerte schon fast, ehe er endlich eingeschlafen war.

      Dementsprechend verkatert war er am Morgen aufgewacht. Er hatte zwei Tassen Kaffee und fünf Zigaretten gebraucht, ehe er endlich in der Lage gewesen war, sich anzukleiden und die Wohnung zu verlassen. Mit mürrischer Miene bewegte er sich durch die Stadt, und mit einem Ausdruck des extremsten Widerwillens betrat er wenige Minuten nach 9 Uhr morgens das Büro.

      Dort saß Cerny schon hinter dem Schreibtisch. »Die Regierung macht Ernst«, begrüßte er Bronstein, »die geben wirklich nicht nach. Die anderen übrigens auch nicht. Vor dem Parlament haben s’ in der Früh schon die Fahnen aufgezogen.«

      »Das heißt, die Weisungen von gestern bleiben aufrecht?« Bronsteins letzte Hoffnung zerrann wie ein Schneemann in der Märzsonne.

      »Schaut ganz so aus.«

      »Na, servas! Ich glaub’, mir wird schlecht.« Bronstein verzog den Mund, als hätte er eben in eine Zitrone gebissen. »Ich brauch’ einen Magenbitter«, sagte er mit matter Stimme, »ich hab’ so ein flaues Gefühl im Magen.«

      Nicht, dass er sich Sorgen machte, es könnte in den hehren Hallen für ihn gefährlich werden. Dazu waren die Sozialdemokraten viel zu gesittet. Noch vor einer Woche hatten sie die Muskeln spielen lassen, hatten auf das Versammlungsverbot der Regierung, das diese auf Basis des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes erlassen hatte, mit 73 Versammlungen in ganz Wien reagiert. Doch dann waren die Sozis ganz brav in ihren Sektionen geblieben und hatten auf ›geschlossene Veranstaltung‹ gemacht, um jeden Konflikt von vornherein zu vermeiden. So würde es wohl auch bei der Sitzung des Nationalrates abgehen. Immer noch appellierten die Roten an die Schwarzen, diese mochten sich doch bitte an die Spielregeln halten. Doch Letztere zeigten mit jedem Tag mehr Entschlossenheit, der Demokratie den Garaus zu machen. Vergeblich beriefen sich die Sozialdemokraten auf die Verfassung, aber die hatte in den Augen ihrer Gegner ihre Schuldigkeit längst getan. Genauso gut hätten sich Renner, Bauer und Konsorten auf das Februarpatent Kaiser Franz Josefs beziehen können. Noch am Samstag hatten sich die Genossen im Arbeiterheim in Favoriten wechselseitig den Schwur abgenommen, die Freiheit und die Verfassung zu verteidigen, aber Bronstein war sich sicher, zuerst würden sie bei der Regierung um Erlaubnis fragen, selbiges tun zu dürfen. Und wenn dann das erwartete Nein kam, dann würde die Wiener Arbeiterschaft einfach mit den Schultern zucken und meinen, es habe eben nicht sein sollen.

      Doch berechtigte diese kleinmütige Haltung der parlamentarischen Opposition auch ihn, Bronstein, dazu, auch die Verfassung zu vergessen? Er wusste selbst nicht, weshalb ihm mit einem Mal nach vielen Jahren wieder Jelka einfiel. Die hatte ihm immer wieder gesagt, das eigene Gewissen stehe über allem Recht, und wenn das Recht zweifelhaft sei, dann wäre es die Verpflichtung des einzelnen, es zu ignorieren. Lex dubia non obligat, hatte sie dabei einmal einen Jesuitengeneral zitiert, was ihn, Bronstein, naturgemäß über alle Maßen amüsiert hatte, dass nämlich eine Kommunistin Anleihen bei einem Katholiken nahm. Doch sie hatte damals

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