Mischpoche. Andreas Pittler

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Mischpoche - Andreas Pittler

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der Uhrzeit nahezu völlig verwaist war.

      »Schani, an Doppelten, aber schnell a no«, keuchte er.

      »Ja, was ist denn dir g’scheh’n, dass d’ dich gar so echauffierst?« Verwundert studierte Johann, der Kantinenwirt, Bronsteins Äußeres auf der Suche nach besorgniserregenden Anzeichen.

      »Ah, nix, schlecht is’ mir. Ich glaub’, das Beuschel gestern war nimmer ganz astrein«, log Bronstein.

      »Wenn’s wirklich ein Beuschel war, dann sicher ned«, replizierte Johann, »wer kriegt heutzutag’ schon ein Beuschel? Wenn, dann haben s’ das irgendwo in Schönbrunn g’funden, wo’s von der Sisi im 97er Jahr z’ruckg’schickt worden ist.« Dabei lachte der Wirt glucksend.

      Innerlich musste ihm Bronstein beipflichten. Wie war er nur auf Beuschel gekommen? In den letzten fünf Jahren hatte er derlei nicht einmal mehr in einem Druckwerk gesehen, geschweige denn in natura. Eine blödere Ausrede war ihm wohl nicht eingefallen.

      Zu seinem Glück war’s Johann egal, und so stand wenige Sekunden später ein doppelter Slibowitz auf der Schank.

      »Dank dir recht«, murmelte Bronstein und steuerte einen der Tische an, um nicht länger mit dem Wirt Konversation machen zu müssen. Umständlich kramte er sein Zigarettenetui aus dem Inneren seines Sakkos, fingerte mit zittriger Hand einen Glimmstängel heraus und steckte ihn an. Der Rauch beruhigte ihn einigermaßen. Gleich danach kippte er den Schnaps in einem Zug hinunter, und erstmals seit dem morgendlichen Streit mit Jelka wich dieses flaue Gefühl in seinen Eingeweiden. Ein Glaserl noch, und er würde direkt in der Lage sein, sich ein klein wenig zu entspannen, der katastrophalen Lage zum Trotz.

      »Heute geben wir’s ihnen«, hörte er einen der Uniformierten am Nebentisch sagen.

      »Genau! Dieses Mal erwischen wir sie, und nicht sie uns. Und wir erwischen sie mitten zwischen den Augen.«

      Und schon war dieses flaue Gefühl wieder da. Möglichst unauffällig drehte er sich nach den Sprechern um. An dem Tisch saßen drei Polizisten, vor ihnen befanden sich drei Bier, was Bronstein ob seines Slibowitz’ nicht verurteilen wollte. Doch schon auf den ersten Blick erkannte er das ungute Flackern in den Augen der Wachmänner. Kein Zweifel, da war jemand auf Rache aus.

      »Sechs von uns haben die Hundling am G’wissen. Und das zahlen wir ihnen heute heim«, bestätigte der erste Uniformierte Bronsteins Verdacht.

      Er erinnerte sich. Am Gründonnerstag waren an die 30 Demonstranten, aber eben auch sechs Polizisten Opfer der Gewalttätigkeiten rund um das Parlament geworden. Offensichtlich hatte die Sicherheitswache diese Tatsache noch nicht vergessen.

      Es ging also um Vergeltung. Schon den großen Krieg hatte man geführt, weil man nach Rache schrie. Und alle Welt hatte gesehen, wohin eine solche Haltung führte. War die Welt denn immer noch nicht klüger geworden?

      »Also es bleibt dabei«, schwor der Rädelsführer seine Kollegen ein, »es wird scharf g’schossen, egal, was die Großkopferten sagen.«

      Plötzlich blickte er direkt auf und fixierte Bronstein. Offensichtlich war ihm erst jetzt aufgefallen, dass seine kleine Ansprache belauscht worden war.

      »Is’ wos?«, fragte er in aggressivem Ton in Bronsteins Richtung.

      »Na, eh nix«, wiegelte dieser ab, »haut’s es den Kummerln ane eine?«

      Der Polizist traute ihm sichtlich nicht.

      »I war damals a dabei«, würgte Bronstein mühsam hervor, »beim Parlament… Volkswehr! Den Wastl, der was mein Habarer is’, haben s’ mir damals z’samm’g’schoss’n. Der kann heut noch nicht g’rad’ geh’n.«

      Bronstein war ehrlich überrascht, wie leicht ihm das Lügen neuerdings von der Hand ging. Wenn er so weitermachte, konnte er glatt Politiker werden.

      Der Polizist musterte ihn abschätzend. Schließlich schien er zu dem Schluss zu kommen, ihm trauen zu können.

      »Bist a Kriminaler, gell?«, fragte er.

      »Ja«, entgegnete Bronstein.

      »Und? Hast g’rad’ was vor?«

      »Na.«

      »Na, dann komm mit. Wir geh’n jetzt in die Hörlgassen. Dort rotten sich diese Gfraster z’samm’. Da wirst Gelegenheit bekommen, deinem Wastl die offene Rechnung zu begleichen.«

      Bronstein dämpfte die Zigarette aus und stand auf: »Na dann, gemma’s an.«

      Die anderen taten es ihm gleich. Gemeinsam verließen sie erst die Kantine, dann das Gebäude, und Bronstein erstaunte die Ruhe, die er dabei an den Tag zu legen vermochte.

      Die Sonne heizte, wie es sich für einen 15. Juni gehörte, die Pflastersteine auf, und unwillkürlich kniff Bronstein die Augen zusammen. Sie waren noch keine 50 Meter gegangen, als undefinierbarer Lärm zu ihnen drang. An der nächsten Ecke angekommen, sahen sie sich Tausenden Menschen gegenüber, die für das Getöse verantwortlich waren. Bronstein erkannte vereinzelte Schilder, auf denen Botschaften wie ›Freiheit für Hexmann‹ oder ›Lasst Steinhardt frei‹ zu lesen standen, und fragte sich, wie er in diesem Gewühl Jelka finden sollte.

      Vom Ring und vom Kai fluteten Einheiten der sozialdemokratischen Stadtschutzwache herauf, die sich anschickten, die Kommunisten in die Zange zu nehmen. Unwillkürlich musste Bronstein an den November des Vorjahres zurückdenken, als er Jelka gerade noch hatte retten können. Würde ihm das diesmal auch gelingen? Er bezweifelte es.

      Wäre er nicht so in Sorge um seine Freundin gewesen, er hätte beinahe lachen mögen. Die Historie bewies doch beachtlichen Sinn für Ironie: just jene, die noch vor zehn Jahren von den Repräsentanten der Monarchie niederkartätscht worden waren, schickten sich nun an, ihrerseits Andersdenkende gewaltsam zu unterdrücken. Vielleicht hatte Jelka mit ihrem Sprüchlein ja doch recht, wonach das Sein das Bewusstsein bestimmte. Kaum waren diese Bauers, Renners und Elderschs an der Macht, verhielten sie sich nicht anders wie zuvor die Stürgkh, Auersperg oder Schwarzenberg. Er sehnte sich zurück in jene jungfräulichen Tage seiner Polizeikarriere, da er, noch vollkommen unangekränkelt von jedem Zweifel, alle seine Aufträge aus innerster Überzeugung hatte erledigen können, wo Gut noch Gut und Böse noch Böse gewesen zu sein schien.

      Der November 18 war ihm wie ein Aufbruch in eine neue Zeit gewesen, in der endlich alle vor dem Gesetz gleich sein würden, wo es sich niemand mehr richten konnte, sondern wo jeder sein Recht fand, ohne Ansehen der Person. Jetzt aber schien es ihm tatsächlich so, wie Jelka immer behauptete: das Staatsgebäude war nicht erneuert worden, man hatte nur die Tapeten von Schwarzgold auf Blassrot geändert.

      Bronstein schüttelte sich. Was machte er da? Er war Polizist und kein kommunistischer Agitator! Solche Gedanken standen ihm gar nicht zu. Er wurde dafür bezahlt, dass er Ruhe und Ordnung aufrecht erhielt, ungeachtet, ob seine Befehle von einem adeligen Burgherrn, einem sozialdemokratischen Bibliothekar oder gegebenenfalls von einem kommunistischen Bergarbeiter kamen. Solange die jeweilige Macht ordnungsgemäß legitimiert war, hatte er ihre Weisungen entgegenzunehmen, und wenn Jelka hundertmal meinte, er müsse zuerst sein eigenes Gewissen befragen, ehe er eine Order ausführte. Der Dienstweg eines Beamten sah eine schier unüberschaubare Zahl an Instanzen vor – aber ein Gewissen befand sich nicht darunter!

      »Alsdern, schauts euch um, wer am lautesten krakeelt. Auf den legt’s dann an!«

      Bronstein

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