Mischpoche. Andreas Pittler

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Mischpoche - Andreas Pittler

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war offensichtlich benachrichtigt worden, dass es dort zu einer Gewalttat gekommen war. Weshalb ihn dies etwas angehen sollte, wo das Opfer doch offensichtlich lebte, verstand er allerdings nicht. Die Mordkommission kontaktierte man, im wahrsten Sinne des Wortes, wenn ein Mord vorlag. Und das schien ja wohl nicht der Fall zu sein. Wenn bei jeder Wirtshausschlägerei mit Verletzten die Abteilung Leib und Leben ausrücken würde, dann käme er nie mehr dazu, einen Aktendeckel zu schließen.

      »Und was geht uns das an?«, bellte er ins Telefon.

      »Bitte schen, ist versuchte Mord.«

      »Sagt wer?«

      »Sagt Opfr!«

      Bronstein verdrehte die Augen und flehte zu Gott, er möge ihn mit Geduld segnen. Dann blickte er auf die Uhr. In wenigen Minuten war es vier. Den gemütlichen Nachmittag im Schweizerhaus konnte er vergessen. Dabei war es so ein schöner Tag!

      »Pokorny!« Bronsteins Stimme donnerte durch den Raum.

      »Was liegt an, Chef?« Pokorny, bereits fix und fertig angekleidet, stand in der Zimmertür.

      »Da schau her, hast das g’rochen oder was?«

      »G’rochen? Was?«

      »Dass wir zu einem Fall ausrücken müssen!«

      »Nein! Ned sag, dass das wahr ist. Ich hab’ glaubt, wir fahren jetzt ins Schweizerhaus.« Auf Pokornys Gesicht machte sich grenzenlose Enttäuschung breit.

      »Tja, Pokorny, in diesem Fall ist Bier Bier und Dienst Dienst.«

      Bronstein orderte über die Vermittlung einen Einsatzwagen und versuchte, Pokornys Gemaule bestmöglich zu ignorieren. »Immer dasselbe! Können diese Trottel ihre Taten ned in der Dienstzeit begehen? Das ist doch wirklich eine Frotzelei sondergleichen.«

      »Du, ich werd’ eine Interpellation ans Parlament schreiben. Morde, bitteschön, ab sofort nur noch zwischen 8 und 16 Uhr.«

      Pokorny verzog seine Miene zu einem schiefen Grinsen: »Wahnsinnig lustig. Ich lach‹ mich krank… Ha, das ist die Lösung! Kranklachen! Krankenstand! … Wiederschaun.«

      »Du bleibst schön da. Nibelungentreue ist angesagt.«

      »Komm mir nicht du auch noch mit diesem teutonischen Geschwafel. Das halt’ ich schon bei unsere Ostler ned aus.«

      »Siehst, jetzt geht’s erst einmal in den Westen.«

      Sie waren bei dem Wagen angelangt, und Bronstein nannte dem Fahrer die Adresse. Am Anfang der Zehetnergasse verlangsamte der Chauffeur das Tempo und hielt nach einem uniformierten Beamten Ausschau, der das Auto stoppen würde. Tatsächlich ruderte vor dem Haus Nummer 14 ein Polizist hektisch mit den Armen.

      »Bitte schen, hier ist Tatort.«

      Bronstein kletterte aus dem Automobil und sah angewidert auf den Mann aus Galizien. Mit einer leichten Drehung des Kopfes wandte er sich an Pokorny: »Mach du das, sonst vergesse ich mich.« Ohne Kapuszczak weiter zu beachten, betrat er das Haus.

      In der Wohnung einer Frau Hellebrand sah es aus wie nach einem Granateneinschlag. Der Kleiderkasten lag umgestürzt und schwer beschädigt mitten im Raum und befand sich dabei in merkwürdiger Schräglage, da er teilweise auf dem Bett der alten Dame ruhte. Die Frau selbst war auf eine Decke gelegt worden und wimmerte in einem fort, während der herbeigeholte Arzt sich darum bemühte, sie medizinisch zu versorgen. »Na, Herr Doktor«, sagte Bronstein, während er mit seiner Kokarde wedelte, »wie schau’n wir aus?«

      »Wer immer das g’macht hat, er war ein Wahnsinniger«, antwortete der Arzt, »aber ein vertrottelter Wahnsinniger. Mit so einer Anzahl an Hieben einen Menschen nicht zu töten, das ist fast auch schon wieder eine Kunst. Die Frau da hat ein Mordstrum Massl, dass s’ ned ermordet ist.«

      Kurz fragte sich Bronstein, ob der Doktor ob des Wortspiels hatte witzig sein wollen, doch er fand, dies tat eigentlich nichts zur Sache. »Wie viele?«, fragte er nur.

      »Insgesamt neun«, entgegnete der Mediziner, »die meisten sind so dilettantisch ausgeführt, dass sie jeweils seitwärts am Kopf abglitten. Dadurch ist dann nur minimaler Schaden entstanden.«

      Schaden! Als handelte es sich um eine Sache. Aber so waren die Jünger Äskulaps ja immer. Für sie waren Patienten irgendwelche Werkstücke. Nicht umsonst sprach man von ›Behandlung‹.

      »Also, wie schwer ist der Grad der Verletzungen?« In Bronsteins Stimme klang deutlich Missfallen mit.

      »Sie ist nicht in Lebensgefahr, wenn S’ das wissen wollen. Aber so, wie die Hiebe ausgeführt wurden, liegt eindeutig Tötungsabsicht vor. Dass die Frau noch lebt, ist nur der Unfähigkeit des Täters zuzuschreiben. Aber ins Krankenhaus muss sie auf jeden Fall sofort, weil diese ganzen Wunden, die müssen ganz dringend gereinigt und ordnungsgemäß versorgt werden, sonst erreicht der Unhold schließlich doch noch sein Ziel.«

      Bronstein nickte. »Kann ich sie trotzdem befragen?«

      Als ob die Hellebrand der Unterhaltung gefolgt wäre, ließ sie just an dieser Stelle ihr Wimmern anschwellen. »Die Rosl«, stöhnte sie. Dann begann ihr Blick zu flackern, und sie wurde sichtlich ohnmächtig.

      In der Zwischenzeit betrat auch Pokorny die Wohnung und verdrehte demonstrativ die Augen nach oben. »Diese Ostler! Chef, ich sag’s dir, mit denen machst ’was mit. So gebrochen sie Deutsch reden, so geschwätzig sind sie. Du kannst dir das gar nicht vorstellen: da stellst du ihnen eine ganz einfache Frage, und sie erzählen dir etwas, von dem du nur vermuten kannst, dass es ihre Lebensgeschichte ist. Wenn da unten jetzt nicht die Hausmeisterin dazugekommen wär’, ich wissert jetzt noch nicht, was mir der Simpel da mitteilen wollt’.«

      »Ach ja«, schnarrte Bronstein, dessen Ungeduld abermals wuchs, »und was wollte er uns nun an Erkenntnissen übermitteln?«

      Pokorny zog eine Schnute, sichtlich enttäuscht darüber, dass der Chef ihm gegenüber ebenso wenig Langmut an den Tag legte wie er selbst zuvor mit Kapuszczak.

      »Die Hausmeisterin hat g’rad die Stiegen aufwaschen wollen, sagt sie, und da hat s’ hinter der Tür von der Hellebrand ein Stöhnen g’hört. Sie hat durch die Tür gerufen, ob der Alten was ist, doch die hat nicht geantwortet, sondern einfach nur weitergestöhnt. Da hat die Hausmeisterin g’schaut, ob die Tür offen ist, und das war sie nicht. Sie hat also ihren Generalschlüssel g’holt und aufg’sperrt. Das ist gegangen, weil kein Schlüssel g’steckt ist, ned wahr.«

      »Und weiter?«, belferte Bronstein in dem Bemühen zu verhindern, dass Pokorny sich in nebensächlichen Details verlor.

      »Na, nix weiter. Sie ist rein in die Wohnung, hat die Hellebrand in ihrem Blut liegen g’seh’n und sofort g’wusst, da hat’s was. Also ist sie rüber zum Doktor Bernecker, Zehetnergasse 9, weil der ein Telefon hat. Dort hat sie das Koat verständigt, und der Doktor ist gleich mit ihr mit, weil man ja nicht sagen hat können, wie’s um die Hellebrand steht.«

      Bronstein sah den Arzt an: »Sie sind der Herr Doktor Bernecker?«

      »Jawohl. Und die Frau Hellebrand ist normal ohnehin eine meiner Patienten.«

      Na servus, dachte sich Bronstein. Ein praktischer Arzt! Kein Wunder, dass der so aufgeblasen ist. Seine Routine bestand darin, Kopfwehtabletten und Fußsalben zu verschreiben,

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