Mischpoche. Andreas Pittler

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Mischpoche - Andreas Pittler

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Deitsch hot mar dar Barscheffer nit gegeben«, radebrechte Tajtelbaum. »Gavaritje Ruski? Ukrajnski?«

      Auch ohne zu wissen, was »gavaritje« bedeuten mochte, ahnte Bronstein, dass hier Russisch- oder Ukrainischkenntnisse gefragt waren. Dieser Kapu-irgendwas aus Hietzing, der kam doch aus der Ukraine. Vielleicht vermochte der sich mit dem Manne zu verständigen. »Bin gleich wieder da«, raunte Bronstein und verließ das Geschäft, einen »was fir a Goj«murmelnden Tajtelbaum zurücklassend.

      Leidlich eine Stunde später war Kapuszczak endlich aus Hietzing in der Leopoldstadt eingetroffen. Zuvor hatte er Bronstein am Telefon versichert, des Ruthenischen mächtig zu sein. In der Tat erhellte sich Tajtelbaums Miene, nachdem Kapuszczak sich in dieser Sprache bei ihm vorgestellt hatte. Auf die simple Frage des Uniformierten nach Karl Matauschek kam ein halber Roman aus Tajtelbaums Mund, den Kapuszczak penibel übersetzte. Fazit der Darlegungen war, dass Matauschek tatsächlich den gesamten Schmuck der Hellebrand bei Tajtelbaum habe versetzen wollen. Dieser hatte dem Geschäft auch zugestimmt, allerdings einschränkend gemeint, nicht über genügend Barmittel zu verfügen, um Matauschek sofort zufriedenstellen zu können. Daher sei vereinbart worden, dass Matauschek in drei Stunden wiederkomme, zu welchem Zeitpunkt man das Geschäft abschließen könne.

      Kapuszczak hatte eben seine Übersetzung beendet, als die Tür aufging und ein 22jähriges Milchgesicht in die Runde blickte. Eine Schrecksekunde lang bewegte sich Matauschek nicht, dann sprang er auf die Straße, warf die Tür zu und suchte sein Heil in der Flucht. Kapuszczak setzte ihm nach und riss ihn achtzig Meter vom Geschäft nieder. Dabei platzte Matauscheks Manteltasche auf und einige Ringe und Ohrgehänge kollerten über das Trottoir. Kapuszczak fixierte den Ganoven, dieweilen Bronstein, der nun auch herangekommen war, das Diebesgut aufhob. Er sah Matauschek lange an, dann schüttelte er nur den Kopf. »Was für ein Trottel«, murmelte er.

      Während sie auf den Gefangenenwagen warteten, fragte Bronstein unvermittelt: »Wieso können Sie eigentlich Ruthenisch?«

      »Weil bin aufwachsen dort.«

      »Ich hab’ geglaubt, Sie sind so ein strammer Deutschnationaler! Wenn Sie Ruthenisch besser sprechen als Deutsch – und das tun Sie –, warum sind Sie dann überhaupt hierhergekommen?«

      Kapuszczak zögerte eine Weile, als müsse er jedes seiner Worte sorgfältig abwägen. Dann erst antwortete er. »20 Jahre ich war Österreich dort. Nach Ende Monarchie und Anfang Republika, war Feind, obwohl immer bin Ruthene gewesen. Niemand mehr redete mit mir. Blieb nur Emigracija.«

      So war das also mit den Kapuszczaks, Narutinskys, Woprschaleks und Szentszerenyis. Sie hatten, historisch gesehen, auf das falsche Pferd gesetzt und eine Rechnung bezahlen müssen, für die jemand anderer verantwortlich zeichnete. Und jetzt gerierten sich diese Männer als Deutschnationale, in der Hoffnung, diesmal auf das richtige Pferd zu setzen. In Wirklichkeit, so wusste Bronstein, hatten diese Menschen ihre Heimat schon verloren, als sie sich bereit erklärt hatten, einem Herrn zu dienen, der von den Landsleuten als Fremdkörper empfunden worden war. Und so waren sie selbst zu Fremdkörpern geworden – dort wie hier. Bronstein bemühte sich um ein mitfühlendes Lächeln und klopfte Kapuszczak auf die Schulter. »Das haben S’ eben sehr gut g’macht. Gratulation, Herr Kollege.«

      Es ging hart auf 6 Uhr abends, als Bronstein den Verhörraum betrat. Matauschek saß da wie das sprichwörtliche Häuflein Elend und versuchte verzweifelt, ein Zittern seiner Hände zu unterdrücken.

      »Wo ist s’, die Deinige?«

      Matauschek schüttelte heftig den Kopf. »Die Rosa, die kriegts ihr ned a no!«

      »Sei ned dumm, Bua. Ohne die Klunker kummt die ja eh ned weit. Und wenn wir s’ jetzt kassieren, dann macht s’ wenigstens ned noch einen Blödsinn.«

      Matauschek bemühte sich um eine Steher-Pose.

      »Hörst, Bürscherl. Du hättest die Alte fast umbracht, ist dir das klar? Jetzt hast noch eine Chance, dass d’ mit Raub und Körperverletzung im Affekt davonkommst. Das sind, na, drei bis vier Jahr, und des vielleicht ned amoi am Felsen. Aber wennst bockig bist, dann machen wir ganz schnell einen versuchten Mord mit schwerem Raub draus. Das sind dann 15 Jahr Stein. Mindestens. Also überleg’ dir gut, ob du parierst oder ned.«

      Matauschek entglitten die Züge: »15 Jahr’?«

      Bronstein nickte gewichtig.

      »Taborstraßen 2. Im Hinterhaus. Da is’ so eine verlassene Schupf’n, da hamma übernachtet. Und dort wartet sie auf mich.« Die letzten Worte waren fast tonlos aus Matauschek herausgekommen. Gleich danach vergrub er sein Gesicht in seinen Händen und fing tatsächlich zu schluchzen an.

      »Ich hab das alles ned wollen«, greinte er, »ich wollt’ doch nur das Geld. Die Rosl hat g’sagt, mit dem Gerstl von der Alten können wir wieder ein halbes Jahr gscheid leben. Ich hab ja ned g’wusst, dass die alte Vettel ihr’n depperten Kasten zusperrt. Ich hab g‹rüttelt wie ein Wilder, aber der is einfach ned aufgangen. Also hab i des Hackl g’nommen, mit dem das Holz für’n Ofen g’macht wird. Und dann war’s auf einmal wieder da, und i hab ned g’wusst, was i jetzt machen soll. In meiner Angst hab’ i aufg’rieben. Ich hab’ g’hofft, die fallt uns in Ohnmacht. Aber na, die hat zum Schreien ang’fangen, und da wollt ich nur, dass sie ruhig ist. Des war alles.«

      »Na servas, ein Gemütsmensch«, resümierte Bronstein angewidert. Dann fuhr er fort: »Und wie bist auf den Tajtelbaum kommen?«

      »Den kenn ich noch vom Krieg. Der hat in Galizien eine illegale Schnapsbrennerei g’habt, bei der die Armee aus und eingangen ist. Und im 18er Jahr ist er mit uns in den Westen g’flüchtet, weil er Angst g’habt hat, die Polen hängen ihn am nächsten Baum auf. Und seitdem lebt der da in der Leopoldstadt. Der stellt keine Fragen, wenn man ihm was vorbeibringt.«

      Eigentlich musste er diesem Vorwurf nachgehen, dachte Bronstein, aber jemand wie Tajtelbaum war ohnehin gestraft genug vom Leben, also konnte man diesen Hinweis getrost außer Acht lassen. Auch mit Matauschek war er eigentlich fertig.

      »In Ordnung, bringt ihn in die Zelle. Jetzt holen wir uns seine Eva.«

      Die Pichler leistete keinerlei Widerstand, als die Beamten kurz vor 7 Uhr den halbverfallenen Schuppen stürmten. »Na ja«, zuckte sie mit den Schultern, »wieder einmal Logis auf Staatskosten. Was wird’s denn werden? Wiener Neustadt? Für’n Mittersteig geht’s sich ja wahrscheinlich ned aus, was?«

      »Wohl kaum. Unter drei Jahr geht’s dermalen ned ab.«

      »Das hab’ ich mir gleich denkt. Der Trottel! Was geht der auch mit dem Hackl auf die Alte los? Ohne den Blödsinn wär’n wir im Frühling wieder draußen.«

      »Na ja«, grinste Bronstein, »Frühling wird schon passen. Im 24er Jahr dann.«

      »Oaschloch!«

      »Nein, Drecksloch. So heißt das, wo du jetzt hinkommst, du faule Frucht.«

      Die Pichler wollte noch etwas erwidern, doch Bronstein wandte sich ab und hieß die Uniformierten, die Pichler auf die Elisabethpromenade zu bringen. Er erinnerte sich an die Aktendeckel. Bald würde er wieder einen schließen können. Und mit dem weinerlichen Matauschek und der stahlharten Pichler mochten sich die Geschworenen herumplagen.

      Es verging eine halbe Ewigkeit, ehe Bronstein wieder über den Fall Pichler/Matauschek stolperte. Ende Oktober bekam er eine Vorladung für den Schwurgerichtssaal, wo am 5. November gegen die beiden verhandelt werden würde, weshalb er, wie im Übrigen auch Pokorny und Kapuszczak,

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