Mischpoche. Andreas Pittler
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»Weißt was? Du kannst mir den Hobel ausblasen mit deinen ewigen Provokationen! Ich geh jetzt ins Büro. Weil, ein ehrlicher Mensch hat eine ehrliche Arbeit. Der hat keine Zeit zum Demonstrieren!« Ohne eine Antwort abzuwarten, trat er in den Gang und knallte die Tür zu.
Wie immer, wenn er sich mit Jelka gestritten hatte, fühlte sich Bronstein den ganzen Tag über hundeelend. Am liebsten hätte er alles liegen und stehen gelassen, um zu ihr zu laufen und sich für seine Worte zu entschuldigen. Aber Dienst war Dienst, und da gab es keinen Gewissensspielraum, der es einem erlaubte, selbigen für private Obliegenheiten zu ignorieren. Ob es da wirklich eine Demonstration gab?
Bronsteins innere Unruhe wuchs mit jeder Minute, die sein Körper an den Schreibtischsessel geschraubt war. Schließlich ertrug er es nicht länger und griff zum Telefon. Er ließ sich mit dem staatspolizeilichen Büro verbinden, wo er nach Hofrat Pataki verlangte, den er von früher gut kannte.
»Sag«, begann er vorsichtig, »weißt du irgendetwas von einer Kommunistendemonstration heute?«
»Da schau her, David. Wer hat dir denn das geflüstert? Bist ja gut informiert!«
»Na, so gut auch wieder nicht, wie du merkst. Sonst müsste ich ja nicht nachfragen.«
Pataki lachte kurz, um sofort wieder ernst zu werden. »Ehrlich, David, die G’schicht’ ist kein Spaß. Wir haben seit dem 12. dieses Monats Hinweise darauf, dass die Kommunisten putschen wollen. Du, ich sag dir’s, wenn die Sozis nicht wären, hätten wir keine Chance gegen die. Aber auf die Roten ist Verlass. Der Bauer und der junge Adler, die haben ihre Leut’ im Griff, und wenn einer von denen sagt: Fass, dann schnappen die nach allem, was sich bewegt. G’rad so, wie’s ihre Parteiführung will. Und um ganz sicher zu gehen, dass auch ja nix g’schieht, haben wir in der Nacht von gestern auf heute die kommunistischen Führer prophylaktisch in Gewahrsam genommen.«
»Ihr habt sie verhaftet?«
»Ja, praktisch die ganze Leitung. Uns ist kaum wer entwischt. Ja, dein Spezi Kisch, der hat sich rar gemacht, und so ein rothaariges Flintenweib ist uns auch durch die Lappen gegangen. Die dürfte was g’wusst haben, denn sie war weder bei sich zu Hause noch sonst wo in einer der bekannten Wohnungen.«
Bronstein fühlte, wie sein Mund trocken wurde.
»Stell dir vor«, lachte Pataki in den Apparat, »der Seidenbast, weißt eh, der alte Schrull vom Koat 1, hat noch g’meint, die hat sich sicher einen Beschützer ang’lacht, bei dem s’ Unterschlupf g’funden hat. Aber so wichtig ist die auch wieder nicht. Welcher Revoluzzer hört schon auf eine Frau? Die wirklich Wichtigen, die haben wir alle eingekastelt!«
»Verhaftet? Einfach so?«, fragte Bronstein, als er seine Sprache endlich wiedergefunden hatte.
»Schau«, sagte Pataki, »das ist ja alles Politik, nicht wahr. Wir machen nur, was die Politiker uns auftragen. Das war schon immer so, und das wird wahrscheinlich auch immer so sein.«
»Ja, ja, das weiß ich eh, aber einfach so, ohne irgendeine Grundlage? Da muss doch zumindest irgendein Verstoß vorliegen. Und zwar ein so gravierender, dass er eine Arretierung rechtfertigt.«
»Da hast schon recht«, pflichtete ihm Pataki bei, »und den gibt es ja auch.«
»Ah so?« In Bronsteins Stimme schwang eine gewisse Skepsis mit, die gleichwohl Pataki nicht zu beeindrucken schien. »Die Kommunisten«, erläuterte dieser, »haben Flugblätter verteilt, in denen sie zum bewaffneten Umsturz aufrufen. Das ist natürlich, wie du nur zu gut weißt, in höchstem Ausmaß illegal. Ein sogenanntes Revolutionäres Soldatenkomitee, hinter dem klarerweise die kommunistische Führung steckt, hat alle Wehrmänner der Volkswehr aufgefordert, samt ihrer Bewaffnung heute auf die Straße zu gehen.«
Heute!
Bronstein wurde blass. Davon musste Jelka gesprochen haben. Es konnte keinen Zweifel geben. Das war die Demonstration, an der sie, zumal sie ja der geplanten Verhaftung entgangen war, teilnehmen wollte. Und offensichtlich waren die Behörden bestens informiert. Jelka und ihre Genossen würden ins offene Messer laufen. Bronstein spürte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann.
»Aber wir sind ja auch nicht von gestern, gell«, fuhr Pataki derweilen fort, »der Bauer persönlich hat sich mit dem Präsidenten ins Einvernehmen gesetzt, um alle nötigen Schritte in die Wege zu leiten, damit wir diesmal nicht wieder mit runtergelassenen Hosen erwischt werden wie damals im April.«
Bronstein wusste naturgemäß wie jeder in der Exekutive, dass die Geschichte vom Gründonnerstag die Polizeioberen immer noch wurmte, und nicht wenige sannen buchstäblich Tag und Nacht auf Revanche. Bronsteins Angst um Jelka wurde darob nicht geringer. »Vor allem arbeiten wir diesmal geradezu vorbildlich mit den Sozis zusammen«, unterstrich Pataki das bisher schon Gesagte. »Der Deutsch vom Arbeiterrat hat extra loyale Einheiten auf die 41er angesetzt, damit die auf keinen Fall einen Blödsinn anstellen können.«
Bronstein kannte die ›41er‹. Das war die Truppe von Leo Rothziegel gewesen, bei der sich auch sein Freund Egon Erwin Kisch herumgetrieben hatte, ehe ihm offenbar das Pflaster in Wien zu heiß geworden war.
»Aber stell dir vor, das hat den Sozis nicht gereicht. Der Eldersch hat unsere Behörde amtswegig angewiesen, alle bekannten Führer der KP zu verhaften. Und du weißt, was das heißt: Weisung ist Weisung, ganz besonders, wenn sie vom Minister kommt.«
Bronstein bezweifelte, dass eine solche Maßnahme mit dem geltenden Recht in Einklang zu bringen war, denn sogar in der Monarchie hatte es eines konkreten Vorwurfs an eine Person bedurft, um diese in Arrest nehmen zu können, doch keinesfalls bezweifelte er, dass ein Minister jederzeit bereit war, das Recht in seinem Sinne zu beugen.
»Wenn die heute also wirklich losmarschieren«, lautete inzwischen Patakis Resümee, »dann sind sie in jedem Fall führerlos, und so sollte es uns ein Leichtes sein, mit ihnen fertig zu werden.«
Ja, damit konnte er recht haben, der Pataki, dachte Bronstein. Instinktiv griff er sich an die Brust und versuchte, seine Atemfrequenz wieder unter Kontrolle zu bringen. Eigentlich wollte er Pataki noch fragen, für wann die Demonstration angesetzt war, doch er fühlte, dass ihm seine Zunge nicht länger gehorchen würde.
»Aha«, lallte er. Er hielt kurz den Hörer zu, sog lange und tief Luft ein, dann zwang er sich noch einmal zur Ruhe. »Ich dank’ dir schön. Das war’s auch schon.« Die letzten Worte hatte er regelrecht zwischen den Zähnen hervorgepresst.
»Na hallo, hallo, ned so gach!«, hörte er Pataki am anderen Ende der Leitung rufen. »Wozu willst denn das alles überhaupt wissen?«
»Ach, nur eine Anfrage von oben. Weißt eh, wie’s ist. Alsdern, danke und servus.«
Noch ehe Pataki abermals reagieren konnte, hängte Bronstein ein.
Er ließ seinen Körper zurück auf die Sessellehne plumpsen und fiel förmlich in sich zusammen. Jelka schwebte in höchster Gefahr, er musste sie unbedingt aus der Schusslinie bekommen. Nur, wie sollte er das bewerkstelligen? Er wusste ja nicht einmal, wo sie war.
Er sah sich zur Tatenlosigkeit verurteilt, und das war jener Zustand, den er am meisten hasste. Jeder Versuch, sich abzulenken, war in solchen Momenten von vornherein zum Scheitern verurteilt. Und dass er das Unabänderliche einfach hingenommen hätte, lag ohnehin jenseits jeder Vorstellung. Den grausamen Wechselfällen des Schicksals wehrlos ausgeliefert zu sein, erschien ihm wie eine schwere Erkrankung, und die einzige Medizin, die ihre Symptome wenigstens teilweise zu lindern