Mischpoche. Andreas Pittler

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Mischpoche - Andreas Pittler

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sofort in den Ruhestand hat versetzen lassen!«

      »Der ist doch erst 58!«, entfuhr es Bronstein.

      »Weißt eh, wie’s ist. Das Alter ist wurscht, wenn’s um die Politik geht.«

      »Na ja, a scho wos!«

      »Sag das ned. Wer weiß, wer jetzt kommt… Und vor allem: Wer weiß, was jetzt kommt.«

      »Was soll schon kommen? Alles bleibt, wie’s ist.«

      Bronstein bemühte sich redlich, Bestimmtheit in seine Stimme zu legen. Doch er wusste genau, dass die letzten beiden Sätze nicht der Wahrheit entsprachen. Aber darüber wollte er nicht nachdenken, denn sonst hätte er sich unweigerlich erneut die Frage stellen müssen, wie es überhaupt so weit hatte kommen können. Diese 14 Jahre, sie waren buchstäblich wie im Flug vergangen, und in der Rückschau wirkte 1919 wie Ostern und Weihnachten gleichzeitig. Damals hatten alle euphorisiert gewirkt, so als hätte der berühmte Onkel aus Amerika ihnen gerade eine Millionenerbschaft vermacht. Selbst er war von der neuen Republik begeistert gewesen – zumindest so lange, bis ihm Jelka abhanden gekommen war. Jelka! Merkwürdig, dass er plötzlich und unvermutet zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden an sie denken musste. Vielleicht, wenn alles anders gekommen wäre, dann säße er heute gleich Cerny als Familienvater an seinem Schreibtisch, doch so besaß er nichts außer seinen Erinnerungen. Und die waren auch schon reichlich trübe. So trübe wie die Zukunftsaussichten.

      »Was hast denn? Du schaust so komisch drein«, fragte Cerny in die entstandene Stille.

      »Ach, ich glaub’, ich muss g’rad ein bisserl sentimental werden. Kümmere dich einfach nicht darum.«

      1919: Entscheidung in der Hörlgasse

      »Jetzt gehst du aber zu weit!« Bronstein beugte sich über den Tisch und sah Jelka direkt an. »Du kannst doch nicht ernsthaft behaupten, das Heute wäre genauso schlimm wie das Gestern! Kannst du dich nicht mehr daran erinnern, wie das vor dem Kriegsende war?«

      Bronstein war des ewigen politischen Zanks eigentlich leid, denn Jelka, so sehr er sie auch liebte, vermieste ihm mit ihren agitatorischen Tiraden ein ums andere Mal den Tag. Hinter allem und jedem sah sie eine Verschwörung wider das Volk, jeder Schritt vorwärts bedeutete für sie einen Rückschritt, weil mindestens zwei oder drei Schritte nach vor hätten gemacht werden müssen, und über all dem thronte die grundlegende Erkenntnis, dass sich ohnehin nichts geändert habe und eine Herrschaft so widerwärtig sei wie die andere.

      »Deine eigenen Leute«, begann Bronstein von Neuem, weil er Jelkas Sätze nicht unbeantwortet im Raum stehen lassen wollte, »wären in der Monarchie samt und sonders hinter Kerkermauern verschwunden, wo man, so nebenbei bemerkt, dafür gesorgt hätte, dass sie, wenn sie nicht ohnehin verrotteten, von irgendwelchen gedungenen Schlägern gebrochen werden. Jetzt kann jeder seine Meinung sagen! Jetzt herrscht Demokratie, jetzt sind wir alle gleichermaßen frei.«

      »Das glaubst du doch selbst nicht«, schnaubte Jelka, und ihre Wangen glühten in jenem Rot, das auch die Fahnen ihrer Partei zierte. »Dass wir heute demonstrieren dürfen, liegt doch nur daran, dass sich die Bourgeoisie vor uns fürchtet. Nicht vor dir oder mir natürlich, sondern vor der Masse, die sie im Augenblick nicht kontrollieren kann. Aber glaube mir, sobald die Herrschenden wieder Oberhand gewonnen haben, ist es vorbei mit deiner Freiheit und deiner Demokratie.«

      »Aber wieso«, Bronstein machte eine Geste, die sein Unverständnis unterstreichen sollte, »das ist doch gerade das Geniale an der Demokratie. Genau solche Tendenzen kann man durch entsprechendes Engagement von vornherein im Keim ersticken.«

      »Aber geh«, Jelka winkte ab, »wie soll denn das gehen, bitte schön?«

      »Na, indem man sich auf die Hinterbeine stellt«, beharrte Bronstein.

      »Ah, du tätst das machen?«

      »Wenn ich davon überzeugt wäre, dass etwas falsch läuft, sicher!«

      Jelka lächelte milde: »Dann ist also in der Monarchie doch nichts falsch gelaufen?«

      »Wie meinst jetzt nachher das?«

      »Ich kann mich nicht erinnern, dass du dich vor 1918 auf die Hinterbeine gestellt hättest!«

      Bronstein schluckte. Damit hatte Jelka nicht unrecht. Er suchte nach einer Erklärung: »Ja, damals«, fing er umständlich an, »da war ich ja noch dumm und unwissend. Heute würde mir so etwas nicht mehr passieren.«

      Jelka legte den Kopf schief und sah Bronstein lange an: »Du glaubst das sogar, gell?!«

      »Ja, sicher«, übte er sich in Überzeugung.

      »Noch ehe der Hahn dreimal kräht …«

      »Was soll das jetzt?« Bronstein spürte, wie er ernsthaft zornig wurde.

      »Ich sag’ dir was: wenn es darum geht, ob irgendein Missstand fortbesteht oder deine Karriere, dann wirst du dich immer für Letzteres entscheiden. Und – Moment, lass mich ausreden – das nehme ich dir auch gar nicht übel. Jeder würde so entscheiden. Aber genau deshalb sind Revolutionen bisher immer gescheitert. Man macht ein kleines, scheinbar unbedeutendes Zugeständnis hier, toleriert einen angeblich vernachlässigbaren Missstand da, und ehe man es sich versieht, ist man selbst Teil des Sumpfes, der einst Monarchie gerufen wurde und sich jetzt Demokratie nennt. Und das Faszinierende daran: das geschieht ganz schleichend. Du merkst es selbst gar nicht, hältst dich immer noch für ehrlich und integer. Aber in Wirklichkeit bist du längst schon Teil des Krebsgeschwürs, welches das Volk zerfrisst. Denn das Sein, David, bestimmt das Bewusstsein. Wer der Herrschaft dient, ja, wer ihr auch nur gefallen will, der ist selbst Teil der Herrschaft – und damit ein Übel für das Volk.«

      Bronstein schlug mit der flachen Hand auf den Tisch: »Jetzt reicht’s aber. Das muss ich mir nicht sagen lassen. Ich habe noch nie etwas getan, wozu ich nicht stehen konnte.«

      »Vielleicht noch nicht. Aber dann kannst du auch nicht wissen, wie du reagieren würdest, wenn du vor eine solche Entscheidung gestellt würdest.«

      Bronstein unterdrückte einen Fluch.

      »Erinnere dich an den Gründonnerstag«, fuhr Jelka fort, »da haben Arbeitslose vor dem Parlament demonstriert, und deine Kollegen haben die Menge zusammenschießen lassen.«

      »Ja, weil sie das Parlament abfackeln wollten, das ist ja etwas völlig anderes«, brauste Bronstein abermals auf, »da muss man natürlich einschreiten. Aber das hat ja auch nichts mehr mit Demokratie zu tun… Die haben sogar die Pferde der berittenen Truppe getötet«, fügte er mit bitterem Ton hinzu.

      »Die an Ort und Stelle von Passanten verspeist wurden, weil in deiner Demokratie ja für alle Milch und Honig fließen.«

      »Du weißt genau, dass das der Hinterlassenschaft der Monarchie geschuldet …, ach was, das wird mir jetzt zu blöd. Ich stell mich da nicht länger hin!«

      Er stand auf und trat in den Flur, um sich ausgehfertig anzukleiden: »Wir sehen uns«, rief er in die Küche, »wennst wieder runtergekommen bist von dem Baum, den du da aufgestellt hast.«

      »Ja, aber nur, wenn deine Kollegen mich lassen!«

      Bronstein ging noch einmal in die Küche zurück: »Was soll das schon wieder heißen?«

      »Das

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