Lorettoberg. Volkmar Braunbehrens
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Wem sollte er von diesem – ›Überfall‹ berichten? Es war doch ein Überfall, wie sollte man es anders nennen? Gezielt, brutal, einschüchternd. Sollte er gleich die Polizei einschalten? Aber die würden das für ein Märchen halten. Sicher, ein Unfall mit Fahrerflucht, das ließ sich noch nachvollziehen. Aber Absicht? Bei einem ehrenwerten, hochgeachteten Bürger dieser Stadt? Ohne weitere Indizien oder Zeugen? Das klang doch etwas senil. Aber selbst wenn man ihm diese Geschichte abnehmen würde, in welchem Lichte würde er selbst plötzlich dastehen? Jemand, der offenbar mit Leuten aus der Unterwelt verkehrte und dabei in Scharmützel mit ihnen geriet? Was hatte der denn mit diesem Milieu zu tun? Das ging doch wohl nicht mit rechten Dingen zu? Nein, das war einfach peinlich. Man würde ihn schief ansehen und überdies in Erklärungsnöte bringen. Wie sollte er sich jungen, unerfahrenen Beamten gegenüber verständlich machen? Peinsam, auch nur darüber nachzudenken. Und doch nagte es an ihm. Nicht, dass er selbst sich etwas vorzuwerfen hatte. Er hatte sich keine Blöße gegeben und sich durchaus so verhalten, wie er es von sich selbst erwartete, selbst in der Niederlage überlegen. Und doch ohnmächtig und ratlos. Aber gerade das durfte nicht sein. Er musste die Sache völlig nüchtern betrachten, wie ein Unbeteiligter, die einzelnen Bestandteile aufdröseln und trennen. Eigentlich waren es doch zwei verschiedene Geschehnisse. Das eine: Da hat jemand einen ziemlichen Hass auf mich. Er will ein aggressives Zeichen setzen, mir eine Lektion erteilen, wenngleich ich nicht weiß, wofür. Keine Vorstellung, wer das sein könnte. Vor allem, er will mir nicht selbst an den Karren fahren, um sich nicht zu erkennen zu geben, das war so geplant. Das andere betrifft die Ausführung: Zwei Hallodris bekommen diesen Auftrag zu einer kleinen Demütigung, wahrscheinlich wissen sie nicht einmal, warum und weshalb. Es interessiert sie auch nicht. Wie sie das so erledigen, dass sie heil davonkommen, ist ihre Sache. Vermutlich haben sie ausgekundschaftet, wann mein Wagen vor der Garage steht und ich irgendwann wegfahren werde. Dann brauchten sie nur noch zu warten. Einfache Beobachtung genügte. Schöne Typen, einschüchternd, durchaus clever. Und das alles für ein schnell verdientes Handgeld. Ohne weiter nachzufragen.
Beiden Vorgängen liegt äußerste Präzision zugrunde. Der Auftraggeber ist dabei von ungebremster Leidenschaft motiviert, die beiden Ausführenden jedoch allein vom schnell verdienten Geld. Das ist der einzige, aber entscheidende Unterschied.
Wie aber darauf reagieren? Die beiden Ganoven ausfindig zu machen, könnte Aufgabe der Polizei sein. Es ginge um Unfall mit Fahrerflucht. Nur einen Unfall, denn ein Vorsatz oder gar versuchte Körperverletzung lassen sich nicht nachweisen, obschon sie offensichtlich mitgeplant waren. Aber ohne Zeugen? Und bei der Fahrerflucht würden die beiden wahrscheinlich frech behaupten, sie hätten mir sogar noch geholfen, die Delle wieder geradezubiegen. Selbst dabei käme nicht viel heraus. So gesehen haben die nicht einmal schlechte Arbeit gemacht, abgesehen von ihrem rüpelhaften Auftreten. Geringes Risiko, begrenzter Schaden, ganz nach Anweisung.
Den Drahtzieher ausfindig zu machen, dürfte schwieriger sein. Die beiden Halunken (wenn man sie denn hätte) würden ihren Hintermann auf keinen Fall preisgeben, das gehörte zum Ehrencodex. Und da der sich ja die Hände nicht selbst schmutzig gemacht und insofern keine Spuren hinterlassen hat, bliebe nur die Suche nach einem Motiv.
Allein die Befragung durch die Beamten: ›Haben Sie Feinde?‹ Was sollte er darauf antworten? –
›Nicht, dass ich wüsste.‹
›Könnte es sein, dass aus Ihrer Anwaltstätigkeit irgendeine Gegnerschaft oder Feindseligkeit herrühren könnte? So, wie Sie es schildern, war es doch ein brutaler Angriff, bei dem auch eine Körperverletzung nicht ausgeschlossen werden musste.‹
Man würde also nach seinen Mandanten fragen, ob es zu ihnen irgendwelche Vermutungen gäbe. Aber hier sollte man besser keine Polizei herumschnüffeln lassen. Das fiel nun wirklich unter das Anwaltsgeheimnis. Und an öffentlichem Aufsehen war ihm keineswegs gelegen. Nein, keine Polizei. Es müsste andere Wege geben.
II.
Graber überlegte schon eine ganze Weile, wie er mit dieser Klientin fertig werden sollte. Sie war nicht nur äußerst aufgebracht und redete dauernd dazwischen, sondern sie ließ ihren Sohn, um den es doch eigentlich ging, kaum zu Wort kommen, schon gar nicht, wenn er den eigentlichen Sachverhalt schildern sollte. Ein im Grunde ziemlich harmloser Ladendiebstahl, der von einem Kaufhausdetektiv beobachtet worden war, hatte in einem wüsten Gerangel bei der Aufnahme der Personalien im Büro geendet. Sowohl der Detektiv wie auch der Delinquent hatten erhebliche Blessuren davongetragen und beschuldigten sich nun gegenseitig der Körperverletzung.
Der Sohn, gerade noch minderjährig, von schlaksiger, aber sportlicher Gestalt, grinste vor sich hin, schien die Sache nicht sehr ernst zu nehmen und zeigte eine leicht verächtliche Distanz zu seiner Mutter. Frau Müller, eine kleine, etwas korpulente Beamtenwitwe, drückte schon durch die Art, wie sie sich breit auf ihrem Stuhl vor dem Schreibtisch platzierte und ihren Sohn, der schräg hinter ihr saß, fast verdeckte, deutlich genug aus, wer hier das Sagen haben sollte. Als sie aber schon am Beginn der Schilderung der Vorfälle, auf die es doch ankam, wenn eine Verteidigungsstrategie sinnvoll entwickelt werden sollte, resolut dazwischenfuhr »Sei still, Bub!« und dann mit einem so plastischen Bericht anhob, als sei sie selbst dabei gewesen, reichte es Graber und er bat sie, draußen zu warten.
Er selbst schloss hinter ihr die Tür, nicht ohne vorher seiner Bürovorsteherin einen sprechenden Blick zuzuwerfen, den sie nur mit einem kaum merklichen Kopfnicken beantwortete. Die Verständigung zwischen Graber und ihr konnte sich in solchen Situationen mit knappsten Zeichen begnügen. Sie waren ein langjährig eingespieltes Team von zwar sehr unterschiedlicher Wesensart, aber beide in dem Ziel vereint, eine recht und schlecht laufende Anwaltspraxis einigermaßen über die Runden zu bringen. Er nannte sie seit jeher Elfi, obschon sie eigentlich Elfriede hieß, aber das klang doch allzu altmodisch. So hatte sich diese Verkürzung längst unter allen ihren Freunden und Bekannten durchgesetzt, obschon sie nichts Elfenhaftes an sich hatte.
Frau Müller maulte wieder los:
»Ihr Chef hat mich nicht einmal ausreden lassen.«
Aber Elfi traf offenbar den richtigen Punkt, als sie antwortete:
»Vor Gericht steht Ihr Sohn allein, da werden Sie ihm kaum helfen können. Und wenn Sie vor dem Richter dazwischenquatschen, werden Sie ohnehin auf den Flur verbannt. Da kann nur noch einer helfen und das ist der Anwalt. Und ich sagen Ihnen, Herr Graber setzt sich für ihn ein, das werden Sie sehen.« Jedenfalls beruhigte sich Frau Müller allmählich und nahm neben dem missmutigen älteren Herrn Platz, der bereits im Wartebereich der kleinen Kanzlei saß. So konnte Elfi sich wieder dem Computer zuwenden, neben sich eine aufgeschlagene Akte, an der anderen Seite das Telefon, hinter sich die Tür zum Büro, links vor sich der Garderobenständer neben dem Eingang und rechts dahinter die Flurerweiterung mit der Sitzecke. Sie hatte alles im Blick.
Der Vormittag war ruhig angelaufen. Graber, der ohnehin meist erst spät in die Praxis kam, hatte um zehn Uhr einen Gerichtstermin gehabt, eine Strafsache, aber da eine Schöffin krank geworden und der Ersatzschöffe so schnell nicht aufzufinden war, wurde die Verhandlung zum Ärger des Richters kurzfristig verschoben. Angemeldet war nur noch Herr Keilholz, der bereits wartete, – eine unangenehme Mietsache, bei der ein Räumungsbefehl beantragt war. Dabei hatte der Hausbesitzer allerdings völlig überzogen. Zwar war der arbeitslose Keilholz bereits sieben Monate im Mietrückstand und hatte weder auf die Mahnungen noch auf die Kündigung reagiert, zugleich hatte er aber Hauswartsaufgaben übernommen, zwar ohne Vertrag, doch stets bezahlt und insofern wohl