Der evangelische Patient. Fabian Vogt

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Der evangelische Patient - Fabian Vogt

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Menschen dazu, in Problemfällen lieber »mehr desselben« statt etwas völlig Neues zu machen. Dieses »Mehr desselben« hält nicht nur das ursprüngliche Problem instand, sondern verschlimmert es oft sogar, weil es das Problem zementiert und Ressourcen bindet, die für »Lösungen zweiter Ordnung« nicht mehr zur Verfügung stehen. Das heißt: Die vermeintliche Lösung (erster Ordnung) wird selbst zum Problem.

      Vielleicht tun wir unserer Kirche Unrecht, aber wir glauben, das beschreibt viel von dem, was wir in den letzten Jahren erlebt haben. Wie oft haben wir erlebt, dass innovative Aufbrüche, die von unten kamen, einfach abgebügelt wurden: »Das ist im geltenden Gesetz nicht vorgesehen.« Aber auch umgekehrt: dass Kirchenleitende neue Wege einleiten wollten, die dann an der Kirchenbasis gestoppt wurden, weil man lieber so weiter machen wollte wie bisher. Die Leitfrage der meisten Reformen, die wir in den letzten Jahrzehnten beobachten konnten, lautet: »Wie können wir das Bisherige unter der Maßgabe geringer werdender Finanzen in größtmöglichem Maße beibehalten?« – eigentlich eine kluge Frage. Und doch: Wenn man unter der Laterne sucht …

      Ich habe in der Schule noch mit dem Rechenschieber gearbeitet. Damals kamen gerade die ersten Taschenrechner auf. Und was wurde da nicht alles an Argumenten aufgefahren: Das sei stillos, es sabotiere das »richtige« Rechnen. Und doch setzten sich die kleinen elektronischen Ketzerlein durch. Daraufhin kam der frühere Marktführer für Rechenschieber auf eine tolle Idee und verkaufte »Rechenschieber deluxe« in Mahagoniausstattung mit goldfarbener Prägung. Die machten echt etwas her. Trotzdem kaufte in unserer Klasse nicht ein Einziger so ein Mahagoni-Teil.

      Könnte es sein, dass viele binnenkirchliche Wege zu solchen »Lösungen erster Ordnung« gehören? Dass sie die Frage stellen, wie wir trotz allgemein zurückgehenden Interesses und rückläufiger Mittel so viel wie möglich am Alten, Bisherigen festhalten können, statt die Türen zu öffnen für echte Innovationen und Weiterentwicklungen? Dass wir zwar jede Menge Reformen durchgeführt haben, uns aber an eine »neue Reformation« nicht herangetraut haben? Sie fragen, was der Unterschied ist? Ganz einfach: Eine Reform ist eine Verbesserung innerhalb eines bestehenden Systems. Eine Reformation hingegen ist ein Systemwechsel. Reformen wirken immer systemstabilisierend. Reformationen hingegen stellen das System als solches infrage.

      Jesus sagt: »Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, (nur) der wird’s finden« (Matthäus 16,25). Wir tun gut daran, dieses Wort nicht nur auf andere, sondern auch auf uns selbst und unsere kirchlichen Strukturen und Traditionen anzuwenden und unsere gängigen Wege einer grundlegenden Überprüfung zu unterziehen. Vor allem, wenn wir – wie heute weithin der Fall – an unsere Grenzen stoßen und nicht mehr weiterkommen. Ganz offensichtlich kann etwas, was früher einmal richtig war, heute richtig falsch sein. Die große Frage ist natürlich: Was kommt am Ende dieses Prozesses heraus? Sind wir, wenn wir nach einem grundlegenden Systemwechsel innerhalb unserer Kirche fragen, dann noch »evangelisch«? Wir finden: ja. Gerade dann. Denn die Reformation hat nicht allein im 16. Jahrhundert stattgefunden. Da hat sie vielleicht begonnen. Aber sie steht – wenn wir uns auf Luther berufen wollen – als bleibende Aufgabe vor uns.

       Ecclesia semper reformanda

      Die berühmte Formel, dass die Kirche ständig der Reformation bedarf, stammt zwar nicht von Luther, bringt aber sein Anliegen auf den Punkt: Kirche befindet sich ihrem Wesen nach in einem ständigen Wandlungsprozess. Zum einen muss sie Schritt halten mit den Menschen und Erfordernissen ihrer jeweiligen Zeit. Man kann nicht mit den Wegen des 20. Jahrhunderts die Herausforderungen des 21. meistern – und schon gar nicht mit denen des 16. Jahrhunderts. Die Kirche kann aber auch nie sagen, dass sie das Evangelium ganz und unverfälscht verstanden hat. Da gibt es auch nach 2000 Jahren immer noch Vieles abzustreifen, was nicht zum Wesen des Evangeliums gehört, ja, ihm sogar widerspricht. Darum gilt: Eine Kirche, die nicht die transformierende Botschaft der Bibel zu allererst an sich selbst richtet, hört auf, eine evangelische Kirche zu sein. Die Kirche der Reformation zeigt sich darin, dass sie sich ständig weiter reformiert.

      Aber genau an dieser Stelle erleben wir eine Starrheit, die der spätere Hamburger Bischof Peter Krusche bereits vor über 50 Jahren als »morphologischen Fundamentalismus« (= ein ideologisches Festhalten an äußeren Formen) bezeichnet hat. Dieser sei für die evangelische Kirche fast noch gefährlicher als der Bibel-Fundamentalismus. So könne man heute über die Frage der Auferstehung durchaus frei und kritisch diskutieren. Aber wenn es um die Frage der gottesdienstlichen und gemeindlichen Strukturen oder der Schwerpunktbildung in der Aufgabenstellung des Pfarrberufes gehe, stoße man allenthalben auf erbitterte Gegenwehr. Dieses starre Festhalten an äußeren Formen und Strukturen verhindere letztlich die Sendung der Gemeinde, das Evangelium unter die Menschen zu bringen.

       Die alten Rezepte vergessen

      »Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein.« Der Gelähmte hat klare Vorstellungen davon, wie seine Heilung erfolgen könnte. Doch Jesus geht auf diese Argumente überhaupt nicht ein. Es ist, als ob er dem Kranken sagen würde: »Vergiss die alten Rezepte.« Was wir brauchen, sind nicht »mehr derselben« alten Lösungen, sondern »Lösungen zweiter Ordnung«: Wege, die völlig neu sind – auch und gerade gegenüber unserer bisherigen Vorgehensweise.

      Im Buch Jesaja heißt es: »Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige! Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?« (Jesaja 43,28f.). Es geht dabei nicht um einen Systemwechsel um des bloßen Wechsels willen. Die alten Wege können und sollen wir durchaus achten und würdigen. Sie haben lange Zeit geholfen, das angestrebte Ziel zu erreichen. Nur heute tun sie es offensichtlich nicht mehr. Und nur deswegen, weil sie es nicht mehr tun, wir aber weiterhin dem Auftrag Gottes treu bleiben wollen, schauen wir nach etwas Neuem aus.

      Blicken wir zurück in das 16. Jahrhundert, dann können wir lernen, dass eine Reformation immer damit beginnt, dass sich die Kirche auf ihren ursprünglichen Auftrag bzw. ihre ursprüngliche Sendung besinnt. Wenn das geschehen ist, müssen in einem zweiten, dritten und vierten Schritt alle gängigen Wege daraufhin überprüft werden, ob sie noch zu diesem Ziel führen, ob sie noch hilfreich sind, der ursprünglichen Mission nachzukommen.

      So geht es beispielsweise um die Frage, ob unsere Gottesdienste wirklich noch in der Lage sind, in die Herzen der Menschen zu sprechen bzw. ihnen die Möglichkeit zu geben, Gott in der Sprache ihrer Herzen zu antworten. Früher haben sie das zweifellos getan. Heute stimmt das aber nur noch für ganz wenige Menschen. Da hilft kein »Mahagoni-Rechenschieber«, wir brauchen völlig neue Formen von Gottesdiensten. Nicht nur ab und an als Ausnahme, sondern als Regelangebot.

      Es geht auch um die Frage, ob wir es uns wirklich leisten können, Gemeindegrößen von mehreren Tausend Menschen aufrechtzuerhalten. Die Menschen treten unter anderem doch deshalb in Scharen aus, weil sie keinen persönlichen Bezug mehr zu ihrer Gemeinde haben. Die »Lösung«, Gemeinden zusammenzulegen und noch größere, von den Menschen immer weiter entfernte Verwaltungskonstrukte zu schaffen, beseitigt dieses Problem nicht, sondern verschärft es. Wir bräuchten eigentlich nicht größere, sondern deutlich kleinere Gemeinden vor Ort. Persönlicher und näher. Und da kommt sofort das Argument: »Wir haben doch gar nicht genug Pfarrerinnen und Pfarrer für so etwas.« – Das ist völlig richtig. Aber wer sagt eigentlich, dass einer Gemeinde unbedingt jemand Hauptamtliches vorstehen muss? Klar kennen wir es hierzulande nicht anders, aber in der weltweiten Ökumene ist das weithin die Ausnahme.

       Nimm deine Matte und geh!

      Dieser Satz ist die zentrale Botschaft unseres Textes. Nicht weniger als fünfmal wird der Befehl zitiert (V. 8, 11 und 12) bzw. variiert (V.

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